Obama stoppt Raketenschild:"Das ist das Ende der Eiszeit"

Lesezeit: 2 min

SWP-Sicherheitspolitik-Experte Kaim über die amerikanisch-russischen Beziehungen, Obamas Paradigmenwechsel - und die Komplikationen, die dem US-Präsidenten nun drohen.

Wolfgang Jaschensky

Markus Kaim leitet die Forschungsgruppe Sicherheitspolitik der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) in Berlin. Kaim forscht zur transatlantischen sicherheitspolitischen Zusammenarbeit, zur Nato-Politik der USA und der Kooperation von Nato und EU mit Russland und anderen Sowjetrepubliken bei der Konfliktbearbeitung.

Bricht das Eis in den amerikanisch-russischen Beziehungen? Barack Obama spricht bei seinem Moskau-Besuch im Juli vor Absolventen der New Economic School. (Foto: Foto: AFP)

sueddeutsche.de: US-Präsident Obama stoppt die Pläne seines Vorgängers George W. Bush, einen Raketenschild in Osteuropa zu bauen. Der offizielle Grund ist die nachlassende Bedrohung durch Iran. Ist das nur ein Vorwand?

Markus Kaim: Iran mag auch eine Rolle gespielt haben, das kann ich nicht ausschließen. Der entscheidende Grund aber ist der Paradigmenwechsel in den amerikanisch-russischen Beziehungen. Seit Obamas Amtsantritt kann man ganz deutlich erkennen, dass die US-Regierung von völlig neuen Grundannahmen ausgeht. Bush hat, vor allem am Ende seiner Amtszeit, Russland als Rivalen und potentiellen Störenfried angesehen, sei es im Kosovo oder im Verhältnis zu Iran. Bei der Regierung Obama überwiegt ganz deutlich die Einsicht, dass die USA Russland zur Lösung einer Vielzahl von Problemen benötigt - von Regionalkonflikten wie in Georgien bis hin zu den großen Themen Iran oder Rüstungskontrolle.

sueddeutsche.de: Erleben wir damit eine Zäsur in den amerikanisch-russischen Beziehungen?

Kaim: Das ist das Ende der Eiszeit. Allerdings ist das Moratorium für den Raketenschild nicht das erste Anzeichen dafür. Bei seinem Besuch in Moskau im Juli hat Obama sich mit Russland in einigen wichtigen Fragen der Abrüstung und Rüstungskontrolle geeinigt. In diesem Feld ist am Ende der Ära Bush überhaupt nichts mehr passiert. Zweites Stichwort ist die Nato-Osterweiterung. Bush drängte auf einen baldigen Eintritt Georgiens und der Ukraine in das Verteidigungsbündnis, Obama trat auch hier so stark auf die Bremse, sodass auch diese Pläne erst einmal vertagt sind. Und das dritte Feld ist eben die Raketenabwehr.

sueddeutsche.de: Läuft die Regierung Obama nicht Gefahr, den Russen zu weit entgegenzukommen?

Kaim: Wichtig ist für Obama, eine Balance zu finden. Entgegenkommen: Ja. Aber eines darf aus Sicht der USA nicht passieren: Dass man den Russen signalisiert, sie hätten eine sicherheitspolitische Einflusssphäre oder gar ein Veto in Osteuropa. Diese feine Linie muss Obama gehen.

sueddeutsche.de: Tschechien, Polen und viele andere Staaten werden enttäuscht auf die Ankündigung reagieren, weil sie sich von dem Raketenschild einen zusätzlichen Schutz versprochen haben. Wie kann der US-Präsident die Ängste dieser Länder zerstreuen?

Kaim: Obama wird versuchen, auf anderen Wegen zu signalisieren, dass die USA weiter zu den Demokratien in Osteuropa stehen. Denkbar wäre beispielsweise, dort wieder häufiger Nato-Manöver durchzuführen oder sogar Nato-Stützpunkte auszubauen. Außerdem wird der Präsident sicher nicht müde werden zu versichern, dass die USA weiter zu den Staaten stehen. Aus den ersten Reaktionen aus Osteuropa kann man aber auch ablesen, dass Obama die Regierungen vor seiner Entscheidung nicht mehr extra konsultiert hat. Das ist durchaus ein Fingerzeig dafür, dass er klar andere Prioritäten hat als Bush.

sueddeutsche.de: Muss Obama nun fürchten, dass seine Landsleute ihm vorwerfen, zu wenig die Interessen der Amerikaner zu vertreten?

Kaim: Natürlich werden morgen die üblichen Verdächtigen, die außenpolitischen Hardliner, Obama beschimpfen. Die breite Bevölkerungsschicht hat derzeit jedoch andere Prioritäten. In der Innenpolitik dominiert der Streit um Obamas Gesundheitsreform, in der Außenpolitik der Krieg in Afghanistan. Einzig die einflussreiche Gruppe polnischstämmiger Amerikaner könnte sich Obama vergraulen. Die zeigten bereits deutlich ihren Unmut, als sich ihre Hoffnungen auf Visafreiheit für Polen nicht erfüllt haben. Die nächsten Wahlen in den USA, die midterm elections, sind aber noch mehr als ein Jahr entfernt - bis dahin dürfte auch deren Ärger verraucht sein.

© sueddeutsche.de/jja/gba - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Gipfeltreffen Obama und Medwedjew
:Unter Kameraden

US-Präsident Obama bei Russlands Präsidenten Medwedjew: Beide brauchen Erfolge - und einander. sueddeutsche.de zeigt Ähnlichkeiten und Unterschiede in Bildern.

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: