NSU 2.0:"Ich war etwas fassungslos"

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Die Linken-Chefin Janine Wissler wurde immer wieder von einem Rechtsradikalen bedroht, der sich NSU 2.0 nannte. (Foto: JOHN MACDOUGALL/AFP)

Linken-Chefin Janine Wissler erzählt im NSU-2.0-Prozess, wie die Polizei ihr nach den Drohungen Stillschweigen auferlegte - nur um dann selbst zu plaudern.

Von Annette Ramelsberger, Frankfurt

Wie sich Opfer von Verbrechen fühlen, hat auch damit zu tun, wie der Staat mit ihnen umgeht. Ob sie geschützt werden, wie sie informiert werden. Schwierig wird es, wenn sie erfahren, dass staatliche Stellen ihr Schicksal der Öffentlichkeit preisgeben, ohne dass sie es wissen. Das hat auch die Linken-Chefin Janine Wissler erfahren, die immer wieder von einem Rechtsradikalen bedroht wurde, der sich NSU 2.0 nannte.

Sie selbst, sagte Wissler am Donnerstag vor dem Landgericht Frankfurt, habe sich an absolutes Stillschweigen gehalten - um die Ermittlungen nicht zu gefährden, um ihre Familie nicht zu beunruhigen. Der damalige hessische Landespolizeipräsident aber habe Journalisten in einem Hintergrundgespräch über die Drohungen informiert. "Ich bin aus allen Wolken gefallen", sagte Wissler als Zeugin. "Das Landeskriminalamt hatte mich gebeten, nichts zu sagen. Ich hatte mich daran gehalten. Ich war etwas fassungslos."

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Vor allem, als sie dann auch noch erfuhr, dass ihre Daten in einer Polizeidienststelle abgefragt worden waren - genauso wie die Daten der Frankfurter Anwältin Seda Başay-Yıldız, mit deren Bedrohung die Serie von NSU 2.0 ihren Anfang genommen hatte. Dass Wisslers Daten von der Polizei abgefragt worden waren, hatte das LKA ihr gegenüber immer bestritten.

Der Angeklagte hat für die bedrohten Frauen einen Ratschlag

Eine ganze Reihe von Zeuginnen, die NSU 2.0 bedroht hat, sind vor dem Landgericht Frankfurt geladen: neben Wissler auch die Kabarettistin Carolin Kebekus und die Comedian Idil Baydar, Journalistinnen wie Anja Reschke oder Maybrit Illner. Selbstbewusste, erfolgreiche Frauen, die offensichtlich genau deswegen ins Visier von NSU 2.0 geraten sind. Den Zeuginnen gegenüber sitzt der Angeklagte Alexander M., 54, und schaut angestrengt an ihnen vorbei.

Als Wissler gefragt wird, ob sie ihr Leben geändert habe nach der Morddrohung, sagt sie: Sie habe die Wohnung etwas sicherer gemacht, sei etwas vorsichtiger geworden. Ja, es habe sich ein Gefühl von Misstrauen gegenüber der Polizei eingeschlichen. Aber sonst? "Ich denke nicht, dass sich meine politische Arbeit dadurch verändert hat." Der Angeklagte sieht fast ein wenig enttäuscht aus.

Dann dreht er auf. Seine Anwälte wollen es noch verhindern, doch er lässt sich nicht bremsen. "Ich will hier nicht entmündigt werden", begehrt er auf. Die Richterin spricht begütigend auf ihn ein, es nützt nichts. Dann beantragt er: Die Anwältin Seda Başay-Yıldız und die Bundestagsabgeordnete Martina Renner, die beide von NSU 2.0 bedroht wurden, sowie ihre Anwältinnen sollen aus dem Verfahren ausgeschlossen werden. Sie hätten sich die Nebenklage "erschlichen". Es gehe doch nur um Beleidigungen und Bedrohungen, das sei Kleinkriminalität, die niemanden zur Nebenklage berechtige. Außerdem seien die Schreiben von NSU 2.0 "nur anonymes Rumpöbeln im Internet" gewesen, "zu keinem Zeitpunkt habe das eine reale Gefahr" dargestellt.

Dann gibt der Angeklagte den Bedrohten noch einen Rat: Sie hätten die Mails doch einfach ignorieren können. Wie ein bockiges Kind sitzt er an seinem Platz. Dann sagt er, er werde nicht "kleinlaut dasitzen und sich alle Unverschämtheiten gefallen lassen". Seine Verteidiger seufzen.

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