NSA-Sonderuntersuchung des EU-Parlaments:Wenn Lobbyisten wie Bürgerrechtler klingen

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Wer wusste wann was? Und wer sagt nun die Wahrheit? Der NSA-Skandal untergräbt das Vertrauen vieler Menschen in die USA, die eigene Regierung sowie große Tech-Firmen. Vor EU-Abgeordneten wollen sich Vertreter von Microsoft, Google und Facebook als Aufklärer profilieren. Ein US-Abgeordneter will die NSA sogar per Gesetz bremsen.

Von Matthias Kolb, Brüssel

Nach der dritten Erklärung platzt Sophie in 't Veld der Kragen. Die Niederländerin leitet die Sitzung der Sonderuntersuchung des Europaparlaments zum NSA-Skandal an diesem Montagnachmittag. "Mich erinnern all Ihre Statements an die sorgfältigst formulierte Aussage von Bill Clinton im Sexskandal um Monica Lewinsky", ruft die 50-jährige Liberale. Fast eine halbe Stunde lang hatten Vertreter von Microsoft, Google und Facebook über ihre Sicht auf die NSA-Affäre und die Datensammelwut der amerikanischen und britischen Geheimdienste referiert.

"Wir sind keine Juristen, sondern Menschen, die die Wahrheit wissen wollen", sagt Sophie in 't Veld. Für sie klinge es so, als würden Bürgerrechtler vor ihr sitzen und nicht die Vertreter von globalen Unternehmen mit Milliardenumsätzen. Seit Jahren rede sie mit Angestellten der Tech-Firmen, die ihr off the record "schockierende Sachen" erzählen würden. Doch niemand sei bereit, dies ins Mikrofon zu sagen. Sie wisse, dass es "viel Druck" aus Washington gebe. Aber wer könne es den Bürgern verübeln, wenn sie Google, Facebook, Microsoft und Co. nicht mehr vertrauen würden.

Da tauchte es wieder auf, das wichtigste Wort des Nachmittags. Überall geht es um Vertrauen - zwischen den Tech-Firmen und ihren Kunden, den Bürgern und ihren Volksvertretern und auch zwischen Amerika und den europäischen Partnern, wie der republikanische Abgeordnete Jim Sensenbrenner zu Beginn der Sitzung betont hatte. Wie wichtig Vertrauen für globale Firmen wie Microsoft, Google und Facebook ist, wird in der 90-minütigen Anhörung schnell deutlich.

Ihr Arbeitgeber sei bestrebt, die Menschenrechte und die Privatsphäre zu verteidigen, betont Dorothee Belz, Vizechefin der Microsoft-Rechtsabteilung für Europa, Nahost und Afrika. Keine Regierung und kein Geheimdienst habe per Hintertür Zugang zu Microsoft-Daten. Es bedürfe konkreter Angaben der Behörden, die penibel geprüft würden, bevor etwas herausgegeben würde.

Ähnliches erklären Nicklas Lundblad, Googles Direktor für Öffentlichkeitsarbeit und Regierungsbeziehungen, sowie Richard Allan, der oberste PR-Mann von Facebook in Europa. Alle versichern, von Prism, Tempora und all den anderen Spähprogrammen erst aus der Zeitung erfahren zu haben. Nichts würden sie lieber tun, als so transparent wie möglich zu sein und offenzulegen, welche Daten staatliche Behörden in aller Welt von ihnen fordern.

Denn die Geheimniskrämerei der US-Regierung, gegen die Google und andere klagen, schafft große Probleme. Jeder Bürger kann die Beteuerungen glauben, dass die Verschlüsselungsprogramme funktionieren und selbst bei korrekter Rechtslage so wenige Daten wie möglich herausgegeben werden, glauben - oder eben nicht. Ohne Transparenz und Beweise lässt sich Vertrauen schwer wiederherstellen.

Regelmäßig sprechen Belz, Allan und Lundblad von "einigen wenigen Fällen" und beklagen eine "Hysterie" der Medien. Facebook habe 1,2 Milliarden Kunden weltweit, doch zwischen Januar und Juni 2013 hätten das soziale Netzwerk lediglich 12.000 Anfragen der US-Regierung und 8500 Anfragen aus Europa erreicht. "Es ist also nur ein Bruchteil der Nutzer betroffen", sagt Allan.

Und alle nicken, als Google-Mann Lundbald vom "ständigen Wettrennen" zwischen den Tech-Firmen sowie den Hackern und Cyberkriminellen spricht: "Wir arbeiten ständig daran, unsere Sicherheitsprogramme zu verbessern, das hört niemals auf, denn die Angreifer schlafen nicht." Und Dorothee Belz bemerkt spitz in Richtung der liberalen Politikerin Sophie in 't Veld: "Es wird Sie überraschen, aber die meisten Attacken auf unsere Server stammen noch immer von Verbrechern und nicht von Geheimdiensten."

Für Richard Allan von Facebook ist die Sache ganz einfach: Eigentlich stünden die kritischen Brüsseler Abgeordneten und die Tech-Firmen auf der gleichen Seite, da sich alle für eine freies Internet einsetzen würden. "Ihre Bürger sind unsere Kunden, das kann man gar nicht trennen", sagt er in die skeptischen Politiker-Gesichter. Ein anderer Vorschlag Allans müsste besser ankommen: Da Behörden und Regierungen "in unser aller Namen" agieren, sollten auch sie Informationen herausgeben und genau sagen, was sie von den Firmen anfordern.

Mehr Transparenz und strengere Kontrolle wünscht sich auch Jim Sensenbrenner, für den sich auch fast alles um Vertrauen dreht. Die Enthüllungen über die Spähprogramme des US-Geheimdiensts NSA hätten viel von jenem Vertrauen zerstört, das seit dem Zweiten Weltkrieg zwischen Amerika und den EU-Mitgliedern aufgebaut wurde. Also verbringt der 70-Jährige den Feiertag Veterans Day nicht in Washington oder seiner Heimat Wisconsin, sondern diskutiert in Brüssel eine Stunde lang mit Abgeordneten des Europäischen Parlaments über die Folgen des NSA-Skandals.

Die Botschaft des Republikaners ist klar: Dieses transatlantische Vertrauen muss zurückgewonnen werden, denn Terrorismus lässt sich nur mit internationaler Zusammenarbeit bekämpfen. Und Sensenbrenner hofft, dass die Europaparlamentarier pragmatisch mit den Amerikanern zusammenarbeiten. Also stellt der Republikaner ausführlich die Grundzüge seines Reformgesetzes "USA Freedom Act" vor, mit dem endlich wieder die richtige Balance aus Bürgerrechtsschutz und Terror- und Verbrechensbekämpfung gefunden werden soll.

Sensenbrenner besitzt in dieser Frage große Autorität (Hintergründe in diesem US-Blogbeitrag): Er stand 2001 dem Justizausschuss des Repräsentantenhauses vor, als sich die Terroranschläge von 9/11 ereigneten. Er schrieb federführend am "Patriot Act" mit, der die Befugnisse der Geheimdienste erheblich ausweitete. Damals hätte Amerika "neue Möglichkeiten" benötigt, doch es sei niemals beabsichtigt gewesen, dass sich die National Security Agency in das Leben von unzähligen unschuldigen Menschen einmische, so Sensenbrenner.

Das Zitat "Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser" (engl.: trust, but verify) schreibt der 70-Jährige natürlich nicht dem Sowjetrussen Lenin, sondern dem republikanischen Präsidenten Ronald Reagan zu. Schnell wird aber deutlich: Für Sensenbrenner hat die NSA das in sie gesetzte Vertrauen auch verspielt. Mit mehr Transparenz und mehr Kontrolle will er nun die "außer Kontrolle" geratenen Agenten wieder einfangen. Dem Eindruck, dass die USA seit 9/11 nie überprüft hätten, ob die beschlossenen Anti-Terror-Gesetze Wirkung zeigen, tritt er entgegen: Nach vier Jahren seien alle 17 Maßnahmen überprüft und 14 von ihnen verlängert worden.

Demnach sei der Dammbruch 2006 geschehen: Damals sei in die Regeln das Wort "relevant" eingefügt worden, was von der NSA aber ungewöhnlich interpretiert worden sei. Dies habe nicht zu einer Verengung des Zielrahmens geführt, sondern vielmehr zu einer Ausweitung der Maßnahmen - die Dienste hätten beschlossen, Daten massenweise zu speichern, um Terrorverdächtige zu finden. Hier müsse gegengesteuert werden, erklärt Sensenbrenner.

Die Liste der Gegner sei lang: Weder das Weiße Haus noch die Geheimdienstchefs oder Dianne Feinstein, die Vorsitzende des Geheimdienstausschusses im Senat, unterstützten seinen Vorschlag bislang. Er wünsche sich öffentliche Anhörungen wie es im Justizausschuss üblich sei - und keine "Geheimniskrämerei" wie im Gremium der Demokratin Feinstein, so Sensenbrenner. Er hofft: Je länger die Enthüllungen andauern, umso mehr Abgeordnete werden ihn unterstützen.

Dass es der Ex-NSA-Mitarbeiter Edward Snowden war, der die Details über die Datensammelwut der NSA öffentlich machte, sagt Sensenbrenner kein einziges Mal. Auf die Frage der SPD-Abgeordneten Birgit Sippel, ob die USA nicht ihre gnadenlose Haltung gegenüber dem Whistleblower ändern sollten, da dieser doch ein Riesenproblem aufgedeckt habe, antwortet der Republikaner einfach nicht.

Er spricht lieber über das Vertrauen, das er in Patrick Leahy setzt, den demokratischen Senator aus Vermont. Ihn braucht der Republikaner, um eine Mehrheit in beiden Kongresskammern für den "Freedom Act" zu finden. Obwohl sie sehr unterschiedlich seien, hätten sie den Gesetzestext zusammen geschrieben, bemerkt Sensenbrenner grinsend: "Leahy ist viel linker als der Mainstream und ich bin viel konservativer als der Durchschnitt." Doch weil sie vor zwölf Jahren den "Patriot Act" eingebracht und durchgesetzt hätten, kennen sie sich gut und wollen die eigene Glaubwürdigkeit in ihren jeweiligen politischen Lagern nutzen, um die NSA besser zu kontrollieren.

Deutschlandweite Proteste gegen Überwachung
:"Wir vertrauen Snowden, Angie geh nach Hause"

Kanzlerin Merkel erteilen sie Redeverbot, Innenminister Friedrich halten sie die Augen und Kanzleramtschef Pofalla die Ohren zu: Mit deutlichen Symbolen protestieren in den deutschen Großstädten Tausende gegen die Spähprogamme der Geheimdienste und fordern Solidarität mit Whistleblower Edward Snowden.

An ein global privacy law, also an weltweit gültige Regeln zum Schutz der Privatsphäre, glaubt der Republikaner nicht, da jedes Land seine eigenen rechtlichen Besonderheiten und Traditionen habe. Die Hoffnung, dass irgendwann für EU-Bürger in den USA der gleiche Rechtsschutz wie für Amerikaner gelten würde, zerstört er also sofort. Allerdings stehe für ihn fest, dass alles, was Geheimdienste tun, in den jeweiligen Ländern rechtskonform sein müsse: "Wenn die Gesetze und Verfassungen nicht eingehalten werden, dann wird es natürlich Trouble geben."

Dieser Satz klingt so gut, dass ihn auch Bürgerrechtler und die hochbezahlten Lobbyisten der Tech-Firmen unterschreiben würden. Dass es sich - anders als von Sophie in 't Veld spöttisch vermutet - bei den Vertretern von Facebook, Microsoft und Google nicht um Gesandte von Datenschutzorganisationen oder Aktivisten handelt, verrät ein Blick in die letzte Reihe des Sitzungssaals: Dort sitzen mehrere Facebook-Mitarbeiter und protokollieren alle Aussagen mit. Bevor das Vertrauen weiter verlorengeht, ist es ratsamer, vorbereitet zu sein.

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