NRW-Wahl: Rüttgers:"Ich kann auch Innenminister"

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Der CDU-Maulwurf schlägt wieder zu: Ein Stellengesuch zeigt, wie sich Jürgen Rüttgers die Zukunft vorstellt.

Michael König

Der Morgen nach der Wahl, 5:30 Uhr. In der Wasserstraße 6 in Düsseldorf-Friedrichstadt brennt Licht. Im Garten schlummern einige Mitglieder der Jungen Union, die sich mit Wahlplakaten ihres Ministerpräsidenten zugedeckt haben - zum Schutz gegen die soziale Kälte. Im Schlaf murmeln sie: "Doch noch stärkste Partei geworden." Oder: "Führungsanspruch".

Auf zu neuen Aufgaben: Noch-Ministerpräsident Jürgen Rüttgers. (Foto: Foto: dpa)

Aus dem ersten Stock der CDU-Landesgeschäftsstelle ist das Klackern einer Tastatur zu hören. Auf dem Balkon erscheint plötzlich ein Mann mit Sonnenbrille. Der Maulwurf! Er faltet ein Blatt Papier zu einem Flieger und lässt es nach unten gleiten. "An die Blogger" hat er auf den Ausdruck einer E-Mail gekritzelt. sueddeutsche.de dokumentiert den Wortlaut.

Empfänger: Mailverteiler "Für den Notfall" (undisclosed recipients) Blindkopie: Mailverteiler "Wähler für den Wechsel" Antwort an: CDU NRW, Büro Jürgen Rüttgers, scampi-boris@cdu-nrw.de

Betreff: Eine neue Herausforderung

Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Freunde,

wir in Nordrhein-Westfalen haben die Wahl gewonnen. Die CDU ist für weitere fünf Jahre die stärkste Partei im Land. Mit dem Wahlergebnis von 34,6 Prozent habe ich mein persönliches Ziel erreicht: Die Bürgerinnen und Bürger betrachten uns im Stammland der Sozialdemokratie als gleichwertige Alternative zur SPD.

Wir sind auf Augenhöhe und stehen doch etwas höher. Wir sind die bessere SPD! Angela Merkel müsste neidisch sein auf das, was wir erreicht haben.

Unter dem Eindruck von zehn Prozentpunkten minus im Vergleich zur Wahl 2005 wird es jedoch einige Zeit brauchen, bis sich diese Sichtweise durchgesetzt hat. Ich möchte den Bürgerinnen und Bürgern diese Zeit geben. Dafür übernehme ich die politische Verantwortung. Deshalb suche ich eine neue Herausforderung - in Berlin, in Deutschland, in Europa, in der Welt. In Politik, Wirtschaft und Kirche.

Viele von Ihnen werden in den vergangenen Wochen und Monaten anderes zu tun gehabt haben, als die Politik im schönen Nordrhein-Westfalen zu verfolgen. Die drohende Veröffentlichung der Steuersünder-CD, die Geschäfte in Griechenland, die Rettung des Euro, das alles band die Aufmerksamkeit. Dafür habe ich vollstes Verständnis. Deshalb möchte mich kurz vorstellen und aufzeigen, warum ich eine Bereicherung für Ihre Firma/Partei/Kirche bin.

Als gelernter Jurist und Spitzenpolitiker im besten Alter (58 Jahre) bringe ich die nötigen Voraussetzungen mit, um auch in schwierigen Zeiten ein Unternehmen/Ministerium/eine Partei/eine Kirchengemeinde zu führen. Ich beherrsche die wichtigen Verhandlungs- und Kampagnentechniken und passe mich problemlos an das Umfeld an.

In Nordrhein-Westfalen haben viele meine landesväterliche Güte gelobt. Wie Johannes Rau halte ich viel davon zu versöhnen statt zu spalten. Das ist eine wichtige Voraussetzung für Koalitionen aller Art. Unter meiner Führung war die CDU ein wirtschaftlich intaktes Unternehmen, das moderne Formen der Geldbeschaffung nutzt und Sponsoren nicht ausspart.

Wenn es einmal hart auf hart kommt, bin ich jederzeit bereit und willens, harte Bandagen anzulegen. Dabei vertraue ich einem eingespielten Team von Mitarbeitern. Eintracht macht stark, das ist ein Grundgesetz meines politischen Handelns, das die konsequente Bekämpfung des Gegners erst wirksam macht. Sollte doch einmal etwas schiefgehen, opfere ich einen Mitarbeiter, um ihn Jahre später woanders wieder auftauchen zu lassen.

In der Diskussion um die Bildungspolitik habe ich bewiesen, dass ich reformorientierte Vorschläge der Gegenseite problemlos als wahre Schreckgespenster enttarnen kann. Wenn internationale Experten solche Reformvorschläge womöglich sogar gutheißen, hilft der Verweis auf andere Bundesländer. Sollte die Gegenseite darauf beharren, dass dieser Vergleich hinkt, werfe ich ihr vor, mit falschen Zahlen zu arbeiten.

Droht Ärger von einer nominell übergeordneten Stelle, etwa aus Berlin, arbeite ich mit einer patentierten Doppelstrategie: Ich gebe mich als Einzelkämpfer und stelle mich in der Öffentlichkeit mutig allen Maßnahmen in den Weg, die in meiner Wählerschaft als neoliberale Politik verstanden werden könnten. Ich beharre auf meiner ablehnenden Haltung, selbst wenn ich die Maßnahme im Bundesrat oder im Koalitionsvertrag persönlich abgesegnet habe, und schiebe die Schuld der übergeordneten Stelle zu. Nie würde ich den Fehler machen, so wie ein Parteifreund aus Bayern, offensichtlich meine Meinung immer wieder zu ändern.

Ich bin sicher, dass ich mit diesen Fähigkeiten jede Spitzenposition bekleiden kann. Als langjähriges Mitglied der Pfadfinderschaft St. Georg fand ich immer einen Ausweg, als Mitglied im Rat der Stadt Pulheim kenne ich die Probleme ganz unten, und als Volljurist fällt es mir leicht, mich in unterschiedliche Fachgebiete einzuarbeiten. Denken Sie daran, dass ich mit 43 Jahren schon Minister für Zukunft war, als Helmut Kohls Mann für Bildung, Wissenschaft, Forschung und Technologie. Ich kann zum Beispiel auch Innenminister werden.

Viele meiner Zitate belegen, wie sehr ich die deutsche Debatte mitgestalten konnte. Meine private Situation - seit 1982 verheiratet, drei Kinder - ist anders als bei manch anderen Politikern stabil. Nicht umsonst wurde ich als Kommandeur der Ehrenlegion gerühmt.

Wenn Sie also einen tüchtigen Ministerpräsidenten/Vorstandsvorsitzenden/Gemeindepfarrer brauchen, der zupackt und seine reichhaltige Erfahrung einbringt, dann kontaktieren Sie mich in den nächsten Tagen. Geben Sie mir eine Chance. Es könnte meine letzte sein.

Hochachtungsvoll,

Jürgen Rüttgers

PS: Von Angeboten aus der Zeit- und Leiharbeitsbranche bitte ich abzusehen.

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