Bielefeld:Wo Deutschland sich selbst ins Gesicht blickt

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Bielefeld gilt als Musterstadt der langweiligen Provinz. Doch wer hier einmal Fuß gefasst hat, weiß, warum die Stadt zu Unrecht unterschätzt wird - und will ein Leben lang nicht mehr weg.

Von Bernd Dörries, Bielefeld

Immer mal wieder fragen ihn Leute, warum er nicht gegangen ist, obwohl es doch die Möglichkeit gegeben hätte. Nach Amerika, nach England. In die weite, schöne Welt. Die Zellentür stand offen, aber Wilhelm Heitmeyer ist immer wieder zurückgekommen. "Nach ein paar Tagen woanders reicht es mir immer, dann will ich nach Hause zurück", sagt er. Zurück nach Bielefeld. Es ist wie ein Leben im offenen Vollzug. So sehen es zumindest manche Leute, die selbst nicht in Bielefeld wohnen, die dort nie vorbeigeschaut haben. Für die Bielefeld aber ein Symbol ist, eine Chiffre für die Langeweile der Provinz. Heitmeyer kann da nur gähnen.

"Die meisten Leute in den sogenannten Weltstädten sagen doch: Ich könnte heute dies und das tun, wenn ich wollte. Sie tun es aber nicht. Sie lügen sich in die Tasche", sagt Wilhelm Heitmeyer. Also ist er geblieben in Bielefeld, wo er alles hat, was er braucht. Ein Restaurant, eine Kneipe, die Natur und seine Universität, die ihn zum Professor gemacht hat. Und die er im Gegenzug zu einer der ersten Adressen der Gewalt- und Konfliktforschung gemacht hat. Er hat von Bielefeld aus das Land wach gerüttelt mit seinen Studien zu Rechtsextremismus und Fremdenfeindlichkeit. Deutschland hat sich immer für seine Forschungen interessiert. Für die Stadt hinter ihm eher nicht. Sie war unsichtbar.

Im DFB-Pokal kann der Amateurverein Arminia Bielefeld bundesweit Schlagzeilen machen

Am Mittwoch spielt Arminia Bielefeld im DFB-Pokal-Halbfinale gegen den VFL Wolfsburg. Es ist ein Duell zweier Städte, die es nicht leicht haben in Deutschland. Von Wolfsburg wissen die meisten nur, dass die Stadt für Volkswagen am Reißbrett entworfen wurde, wie ein Golf.

Von Bielefeld kennen viele nur die Bielefeld-Verschwörung, einen Internet-Gag, dessen Pointe darin bestand, dass es die Stadt eigentlich gar nicht gibt. Heitmeyer sagt, das liege vielleicht daran, "dass wir hier die Klappe nicht so weit aufreißen wie im Rheinland". Der frühere Ministerpräsident Fritz Steinhoff hat es einst so formuliert: "Die Westfalen müssen immer das halten, was die Rheinländer versprechen." In Ostwestfalen wird das Geld verdient, das die Landesregierung in Düsseldorf dann ausgeben kann. Manche denken bei Bielefeld auch an Tiefkühlpizza von Dr. Oetker; der Konzern hat hier seinen Sitz. Entscheidender für das Klima in der Stadt sind aber die von Bodelschwinghsche Stiftungen, die der Stadt eine soziale Atmosphäre geben. "Der Umgang mit Flüchtlingen kann sich sehen lassen", sagt Heitmeyer.

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