Bielefeld im DFB-Pokal-Halbfinale:Kübelweise Balsam für die ostwestfälische Seele

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Ausgelassener geht nicht: Florian Dick (links) und seine Bielefelder Mitspieler feiern den erstaunlichen Sieg gegen Gladbach. (Foto: Bongarts/Getty Images)

Sorry, liebe Gladbacher, aber das musste sein. Arminia Bielefeld musste sensationell als Drittligist ins DFB-Pokalhalbfinale einziehen. Kein anderer Klub hat das Glück so sehr verdient.

Von Michael König

Der Ostwestfale ist an sich kein emotionaler Mensch. Fragt man uns nach unserem Befinden, sagen wir: "Muss ja." Kocht man unser Leibgericht, Grünkohl mit Mettwurst oder Kastenpickert, dann sagen wir: "Kann man essen." Als meine Mutter einmal wissen wollte, welche Brötchen besser seien, die mit Körnern oder jene ohne, entgegnete mein Vater: "Ja."

An diesem Donnerstag könnte es trotzdem sein, dass Ihnen Ostwestfalen mit geballter Faust begegnen, mit vom Jubel heiserer Stimme oder gar einer Träne der Rührung im Augenwinkel. Der Klub der Ostwestfalen, Arminia Bielefeld, steht im Halbfinale des DFB-Pokals, nachdem er drei Bundesligisten in Folge ausgeschaltet hat. Zuletzt am Mittwochabend die Borussia aus Mönchengladbach im Elfmeterschießen. Zuvor hatten Hertha BSC und Werder Bremen ein schmerzhaftes Ausscheiden auf der Bielefelder Alm zu beklagen.

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Mehr als die klassische Underdog-Geschichte

Für Außenstehende ist das eine klassische Underdog-Geschichte. Bielefeld spielt in der dritten Liga, der Etat für die Saison wird auf 4,5 Millionen Euro geschätzt. Das verdient beim VfL Wolfsburg, dem Halbfinal-Gegner der Arminen, das Maskottchen.

Aber es steckt mehr dahinter, wenn die Rentner auf der Haupttribüne der Alm, die sonst jede 1:0-Führung mit "Wetten, das Ding verlieren wir noch" kommentieren, vor Freude komplett ausrasten. Das Schicksal, muss man wissen, war in der Vergangenheit ein mieser Verräter für uns.

Sieben Bielefelder Bundesliga-Aufstiegen stehen sieben Abstiege gegenüber, das wird nur getoppt vom 1. FC Nürnberg. Aber der gewann 2007 den DFB-Pokal, während sich die Arminia von 2009 an peu à peu in die dritte Liga verabschiedete. Natürlich nicht, ohne zuvor in dem Glauben, sich durch fünf Jahre Bundesliga etabliert zu haben - nach dem Aufstieg 2004 mit Trainer Uwe Rapolder und Spielern wie Patrick Owomoyela und Rüdiger Kauf - dem bis dato eher beschaulichen Stadion eine massive neue Haupttribüne zu gönnen. Inklusive "Sky Offices" mit Blick auf den Teutoburger Wald. Sky Offices! In Bielefeld!

Die Kosten explodierten selbstredend, davon hat sich der Klub bis heute nicht erholt. Hätte nicht die Bielefelder Wirtschaft die Schatulle geöffnet und hätten nicht etliche Fans gespendet, der Verein wäre jetzt pleite.

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Es war immer schon heikel, der Arminia Geld zu geben: Im krassen Gegensatz zu Bielefelder Unternehmen wie Dr. Oetker, Gerry Weber oder Schüco gab sich der Deutsche Sport-Club selten bodenständig. Manager Rüdiger Lamm und Trainer Ernst Middendorp peitschten den Verein Mitte der neunziger Jahre auf Pump von der Ober- in die Bundesliga. Altmeister wie Fritz Walter und Thomas von Heesen spielten sicher nicht für ein Butterbrot auf der Alm. Europameister Stefan Kuntz wurde aus Istanbul gekauft und von seinem Sturmpartner Giuseppe "Billy" Reina hieß es, die Arminia habe ihn in Einfamilienhäusern bezahlt.

Doch das Schicksal ließ sich meist nicht bestechen. Auch mit "Welttorjäger" Ali Daei und dem Ex-Bayern-Profi Michael Sternkopf im Kader schaffte Arminia den Abstieg.

Das ging so weiter, als die finanzielle Vernunft zurückgekehrt war, und die dritte Liga hinter uns lag. Gut, es ging 2014 in die Relegation, aber waren wir nicht der Zweitligist und Darmstadt der Underdog? Und hatten wir das Hinspiel nicht 3:1 gewonnen? Ätsch: Verlängerung, 122. Minute, ein Darmstädter Fernschuss - drin. Und schon wieder abgestiegen, DSC.

Arminia-Fan zu sein, das ist ein entsetzlicher Schmerz. Von dem dämlichen Witz, wonach es Bielefeld gar nicht gibt, will ich erst gar nicht reden. Die 2005 erschienene Vereinschronik trägt nicht umsonst den Titel "100 Jahre Leidenschaft". Mit Betonung auf Leiden.

Die nächste Tragödie wäre der verpasste Wiederaufstieg

Es hätte gut gepasst, wenn der DSC das mühsam erkämpfte Elfmeterschießen gegen Gladbach noch vergeben hätte. "Das ist wieder so ein Bielefelder Moment", schrieb mir ein Kollege, als Marc Lorenz den fünften Elfmeter vergab. Aber dann hielt Torhüter Schwolow, und der Rest war Jubel. Die nächste Tragödie kann warten. Vielleicht verspielt der DSC jetzt noch den Wiederaufstieg in die zweite Liga, bei aktuell sechs Punkten Vorsprung als Tabellenführer. Das würde passen.

Vorher aber ist Pokal-Halbfinale, es geht gegen Wolfsburg, den Zweiten der Bundesliga. Wie der Ostwestfale sagt: Kann man machen.

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