Für diverse Politiker stellt der Sieg der britischen "Leave"-Kampagne einen Karrierehöhepunkt dar. Für Michael Gove etwa, den Justizminister, der den Brexit mit sanfter Verbohrtheit betrieb, oder für den ehemaligen Londoner Bürgermeister Boris Johnson, dessen politisches Kalkül sich im Wettstreit mit seinem innerparteilichen Rivalen David Cameron voll ausgezahlt hat. Keiner aber kann und wird sich die Kokarde dieses Sieges mit so unverhohlenem Stolz ans Revers heften wie Nigel Farage, Vorsitzender der United Kingdom Independence Party (Ukip). Der Brexit ist nicht weniger als die Vollendung seines politischen Lebenswerks.
"Spinner und verkappter Rassist"
Farage, 52, hat es allen gezeigt, die ihn noch bis vor wenigen Jahren als eine Art politischen Clown betrachteten, die ihn und seine Partei, wie Cameron es tat, als "Spinner und verkappte Rassisten" abtaten. Farage, der sich fast immer mit einem breiten Grinsen im Gesicht präsentiert, hat wie kein Zweiter unermüdlich auf den Ausstieg der Briten aus der EU hingearbeitet. Der ehemalige Börsenmakler verließ 1992 die Konservative Partei aus Protest gegen die Unterzeichnung der Maastrichter Verträge. Seit 1999 sitzt er für Ukip im Europäischen Parlament, wo er dem früheren Ratspräsidenten Herman Van Rompuy vorhielt, er habe das "Charisma eines nassen Lappens".
Mitglied des britischen Unterhauses ist Farage nie gewesen. Vergangenes Jahr scheiterte sein Versuch, als Abgeordneter des südostenglischen Wahlkreises Thanet South ins House of Commons einzuziehen. Doch wer gedacht hatte, diese Niederlage würde ihn entmutigen, hatte sich getäuscht. In seiner Partei blieb er, nach einem extrem kurz währenden Rückzug ins Privatleben, unumstrittener Platzhirsch. Herausforderer wie Suzanne Evans, die ihm den Vorsitz streitig machen wollte, oder den einzigen Unterhausabgeordneten, Douglas Carswell, hielt er mühelos in Schach.
Dass er keinen Sitz in Westminster hatte, wusste er für seine Zwecke zu nutzen. Unbelastet von einem nationalen Mandat, konnte er rückhaltlos gegen die "politische Elite" wettern, die er als volksfern geißelte, während er selbst mit Zigarette und Bierglas in der Hand den Mann des gemeinen Volkes gab. Dass er als Brüsseler Abgeordneter selbst Teil dieser Elite war, schien seine vielen Anhänger nicht zu stören. Sie betrachteten ihn als einen, der das System von innen bekämpft.
Farage hat lustvoll die Schmutzarbeit verrichtet
Gesegnet mit scheinbar unendlichem Selbstbewusstsein sowie einem unterschätzten rhetorischen Charisma, hat der Ukip-Chef in den vergangenen Wochen geradezu lustvoll die Schmutzarbeit verrichtet. Er versprach allen alles, sei es die Rückgewinnung der Kontrolle über die Fanggründe in der Nordsee für britische Fischer oder die absolute Kontrolle über die nationalen Grenzen. Zudem schürte er offen Immigrationsängste, wenn er vor einem Plakat mit syrischen Flüchtlingen posierte und warnte, Tausende Türken würden ins Land einwandern, sollte das Vereinigte Königreich in der EU bleiben. Die offizielle, von Gove und Johnson angeführte Leave-Kampagne, der Farage nicht angehörte, ließ ihn, mit dem absoluten Mindestmaß an Distanzierung, gewähren.
Mit dem eingängigen Mantra, nur durch einen Ausstieg aus der EU würden die Briten "ihr Land zurückbekommen", hat Farage vor allem in England Wähler mobilisiert. Der Daily Telegraph erklärte ihn am Freitag zum "Mann, dem das britische Volk zu folgen beschloss". Sein Parteifreund, der Europa-Abgeordnete David Coburn, hat bereits gefordert, in Westminster Abbey schon einmal eine Ecke für Farages Beisetzung zu reservieren - eine Ehre, die bisher nur den größten Briten vorbehalten blieb. Auch wenn das ein wenig weit hergeholt zu sein scheint: Als Nigel Farage den 23. Juni 2016 am Freitag triumphierend zum britischen "Unabhängigkeitstag" erklärte, konnte er es im Bewusstsein tun, sich seinen Platz in der britischen Geschichte endgültig gesichert zu haben.