Bauern, denen man nicht zuhört, verschaffen sich Gehör. So geschah es am Montagabend in Groningen, Hauptstadt der gleichnamigen Provinz im Norden der Niederlande. Mit einem Trecker zogen aufgebrachte Landwirte das Portal des Verwaltungsgebäudes der Provinz aus den Angeln, drangen ein, und nur mit Mühe konnten Polizisten sie zurück vor die Tür prügeln. Ähnlich gewalttätige Szenen spielten sich in sieben anderen niederländischen Provinzen ab. So wird es weitergehen, überall im Land, die ganze Woche: An diesem Mittwoch marschieren die "boze boeren", die wütenden Bauern, wieder nach Den Haag. Beim ersten Mal, Anfang Oktober, lösten sie mit Tausenden Traktoren das größte Verkehrschaos in der Geschichte der Niederlande aus.
Bauern protestieren oft und laut, meist wollen sie mehr Subventionen oder Schutz gegen Importe. Die neuen Proteste, getragen von der Sympathie der Bevölkerung, sind anders, sie richten sich gegen angeblich ungerechte Umweltauflagen. Die Landwirte sehen sich als Sündenböcke einer Politik, die eine intakte Umwelt offensichtlich nicht mehr garantieren kann, als Hauptleidtragende der "Stickstoffkrise", die das Land seit Monaten umtreibt und nun vollends ausgebrochen ist.
Ausgelöst wurde sie, für viele überraschend, im Mai durch ein Urteil des Raad van State, des höchsten Verwaltungsgerichts. Es erklärte das nationale Programm zur Begrenzung des klimaschädlichen Stickstoffausstoßes für untauglich, weil es die Emissionen nicht in dem Maße begrenze, wie es das europäische Naturschutzgesetz vorschreibt. Das Programm besteht im Kern darin, Lizenzen zu vergeben für Aktivitäten, die Stickstoff freisetzen: in der Landwirtschaft, die viel mit Dünger arbeitet, aber auch beim Wohnungs- oder Straßenbau. Bei der Lizenzvergabe wurden künftige Reduktionen bisher eingerechnet. Das sei unzulässig, so das Gericht.
Man könnte ja, der Umwelt wegen, den Viehbestand halbieren, hat ein Politiker vorgeschlagen
Die Folgen des Urteils wurden erst nach und nach deutlich. Nicht nur weil 18 000 Bauvorhaben im ganzen Land vorläufig auf Eis gelegt werden mussten. Sondern wegen der umstrittenen Lösungsvorschläge aus der Politik, die vor allem auf die Bauern zielen. Eine Kommission erklärte, es müssten "drastische Maßnahmen" ergriffen werden, um die 118 Schutzgebiete "Natura-2000" des Landes zu erhalten. Dort gibt es laut einer Studie durchschnittlich ein Drittel zu viel Stickstoff, was Brombeeren, Gräser und Brennnesseln gedeihen lässt auf Kosten gefährdeter Pflanzenarten. Der größte Teil, 46 Prozent, der Stickstoff-Vorkommen in den Schutzgebieten stamme nun einmal aus der umliegenden Landwirtschaft, vor allem in Form von Ammoniak aus der Viehhaltung. Man solle daher in großem Stil Agrarflächen aufkaufen. Warum nicht einfach den - vergleichsweise sehr hohen - Viehbestand des Landes um die Hälfte senken?, fragte ein Politiker der linksliberalen Regierungspartei D66 und löste einen Aufschrei der Bauern aus. Sie zweifeln die Zahlen der Wissenschaftler an und klagen über Heuchelei und mangelnden Respekt. Man möge sich bitte auch an die Touristen wenden, die für ein paar Euro durch Europa flögen, sagen sie, oder an die Autofahrer oder die umweltverschmutzenden Betriebe. Ohne Bauern könne ein Land nicht leben.
Umweltministerin Carola Schouten versuchte die Landwirte zu beruhigen, sie werde ihnen nicht das halbe Vieh konfiszieren. Stattdessen plant die Regierung, Bauern überschüssige "Kuhrechte" wegzunehmen, so dass sie den Bestand zumindest nicht ausweiten können. Umgesetzt werden muss diese Politik seit einiger Zeit aber auf regionaler Ebene, wo inzwischen Chaos herrscht. Die zwölf Provinzregierungen hatten sich ursprünglich auf einen härteren Kurs verständigt als Schouten, doch Friesland, Drenthe, Overijssel und Gelderland sind unter dem Druck der Proteste eingebrochen und haben die vorgesehenen Einschnitte vorerst ausgesetzt. Sie wollen sich mit den Landwirten an einen Tisch setzen. Für deren Sorgen äußerte Ministerin Schouten am Montag "volles Verständnis". Die Aktion in Groningen sei allerdings "inakzeptabel".