Neuer Gewerkschaftschef Witthaut:Polizist für besondere Aufgaben

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"Wer längere Laufzeiten für Atomkraftwerke beschließt, darf sich nicht über längere Laufzeiten für Castor-Transporte wundern": Vom künftigen Chef der Gewerkschaft der Polizei darf man markige Sätze erwarten.

Detlef Esslinger

Wer diesen Vorsitz übernimmt, der ist ein Vorsitzender für besondere Aufgaben. Er ist kein Gewerkschafter, der vor allem auf Tariferfolge angewiesen ist; seine Kernkompetenz ist eine andere. Beim Castor-Einsatz neulich hat Bernhard Witthaut, 55, gezeigt, dass seine Kollegen hier mit ihm rechnen dürfen. "Wer längere Laufzeiten für Atomkraftwerke beschließt, darf sich nicht über längere Laufzeiten für Castor-Transporte wundern" - die Formulierung stammte von ihm, dem Mann, der an diesem Montag zum Chef der Gewerkschaft der Polizei (GdP) gewählt werden soll.

Bernhard Witthaut soll am Montag zum neuen Chef der Gewerkschaft der Polizei gewählt werden. (Foto: dapd)

Schöner Satz, zumindest leicht zu merken, und exakt das, was Polizisten von ihm erwarten. Weil Polizeipräsidenten es in der Regel gar nicht schätzen, wenn einfache Beamte öffentlich Kommentare zu Politik oder Arbeitsbedingungen abgeben, muss der Vorsitzende ihrer Gewerkschaft dies für sie übernehmen. Bei dem gehört das zum Job, den kann niemand deckeln, und deshalb wird Witthaut es genauso halten wie sein Vorgänger Konrad Freiberg, der nach neun Jahren in den Ruhestand geht: Wenn die "Tagesschau" etwas zur inneren Sicherheit wissen will, wird er immer zur Verfügung stehen.

Für die besondere Job-Beschreibung dieses Vorsitzes gibt es zwei Gründe. Erstens ist die GdP mit Abstand die kleinste der acht DGB-Gewerkschaften. Nur 170.000 Mitglieder hat sie, während zum Beispiel Verdi auf mehr als zwei Millionen kommt. Zweitens handelt es sich bei den meisten GdP-Mitgliedern naturgemäß um Beamte, um Arbeitnehmer also, die zwar viel fordern, nichts davon aber mit dem Mittel des Streiks durchsetzen dürfen. Wenn im Januar wieder Tarifverhandlungen für die Beschäftigten der Länder anstehen, wird die GdP daher wieder die "Tarifkooperation" mit Verdi suchen, wie Witthaut das nennt. Was praktisch heißt: das Verhandlungsmandat an die Großgewerkschaft abtreten. Er wird stattdessen lieber Auskunft zu Terrorwarnungen, Sicherungsverwahrung und Castor-Einsätzen geben.

Diese spezielle Form von Polizeiarbeit ist dem neuen Vorsitzenden seit Jahren vertraut. Die Zeit, in der er selbst noch wegen Diebstahls oder Betrugs ermittelte, in Osnabrück und Vechta, liegt lange zurück. Seit 1994 ist Witthaut hauptberuflich Interessenvertreter, sein Arbeitsplatz ist das Innenministerium in Hannover, wo er "Stellvertretender Vorsitzender Polizeihauptpersonalrat in Niedersachsen" ist; ein erhebender Titel, den er nun aber abgeben wird.

Als Personalrat und als GdP-Funktionär macht man vermutlich immer dieselbe Erfahrung: Solange es nur ums Allgemeine und um kostenloses Lob geht, sind Politiker immer auf der Seite der Polizisten; zum GdP-Kongress kommt diesmal sogar der Bundespräsident. Wird es aber konkret, geht es darum, dass Polizisten beim Castor-Einsatz nicht nur die Zeit an der Bahnstrecke voll bezahlt wird, sondern auch das Warten in der Unterkunft, dann macht Witthaut immer dieselbe Erfahrung: "Die Finanzminister haben das Sagen, nicht die Innenminister." Bevor sich daran etwas ändert, wird wahrscheinlich noch sein Nach-Nachfolger viele "Tagesschau"-Interviews geben müssen.

© SZ vom 22.11.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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