Neue Details über die Zwickauer Terrorzelle:Badetag in der Frühlingsstraße

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Sie gab Pizza aus und auch mal eine Flasche Prosecco: Beate Zschäpe galt als nette Nachbarin. Jahrelang lebte sie mit Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos als Teil eines Terrortrios unauffällig in Zwickau - und narrte ihre Umgebung mit falschen Namen, falscher Vita und falscher Freundlichkeit.

Hans Leyendecker

Die Berichte der Augenzeugen unterscheiden sich zwar in einigen Details, aber das kann auch am Stoff liegen. Die Materie ist schon ziemlich wüst. Fest steht der Schauplatz der Handlung: Frühlingsstraße 26 im Zwickauer Stadtteil Weißenborn, einer besseren Gegend.

Überreste des Terrors: In den Trümmern der Doppelhaushälfte in der Zwickauer Frühlingsstraße fand die Polizei Hinweise auf das Leben des Neonazi-Trios. (Foto: dpa)

Am Nachmittag des 4. November 2011, um 15.05 Uhr, knallt es ganz laut. Aus dem ersten Obergeschoss des Hauses steigt Rauch auf. Auf der Etage lebt seit gut drei Jahren Beate Zschäpe mit Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt. Gisela I. aus dem Nachbarhaus arbeitet im Garten und sieht Zschäpe kommen. Die schreit: "Ruft die Feuerwehr".

Ingrid F., die ein paar Häuser weiter weg wohnt, staunt beim Blick nach draußen, wie ein Eckfenster aus dem ersten Stock wegfliegt. Eine andere Nachbarin, die gerade ihr Kind aus dem Hort geholt hat, sieht den Qualm und dann nähert sich eine Frau, die zwei Katzenkörbe trägt. "Was ist denn hier los?", fragt sie die Frau. Nach ihrer Erinnerung dreht sich die Frau um, schaut ins Feuer und sagt: "Ach, Du Scheiße". Dann bittet sie, auf die Katzen aufzupassen und läuft davon.

Zumindest für die Ermittler gibt es keinen Zweifel, dass Beate Zschäpe die Wohnung mit Brandbeschleunigern angezündet hat, um Spuren zu vernichten. Dann kam es zur Explosion. Die beiden Männer, mit denen sie im Januar 1998 untergetaucht war, hatten sich erschossen.

Jahrelang zog das Trio eine Blutspur durchs Land

All die Jahre hatten sie eine breite Blutspur durchs Land gezogen: Zehn Morde, zwei Sprengstoffanschläge und vierzehn Banküberfälle, mindestens. Die Bundesanwaltschaft wirft Zschäpe nicht nur vor, Gründungsmitglied der Terrorvereinigung "Nationalsozialistischer Untergrund" (NSU) gewesen zu sein, sondern verdächtigt sie auch der besonders schweren Brandstiftung, weil sie angeblich so Straftaten verdecken wollte.

Allein dieses Delikt könnte im Fall einer Verurteilung zu bis zu 15 Jahren Haft führen. Spezialisten der Ermittlungseinheit "Trio" versuchen auch zu klären, ob Zschäpe durch Brandstiftung das Leben anderer Menschen gefährdet hat.

Bei der Suche in der Feuersglut wird auch ein Teil der Geschichte des Trios sichtbar. Die zwei Männer und die Frau, die jahrelang mit Steckbriefen gesucht wurden, hatten die Wohnung im Frühherbst 2008 unter falschem Namen angemietet. Die Miete wurde von einem Konto überwiesen, das auf einen falschen Namen eingetragen war. Echt war nur der Preis: Für 77,33 Quadratmeter (vier kleine Zimmer, Küche, Diele, Bad, Keller) zahlten sie einschließlich Nebenkosten 774 Euro Miete.

Was denken die von nebenan, wenn zwei junge Männer und eine Frau zusammenleben? Kurz nach dem Einzug, berichtet der Nachbar Olaf B., habe sich die Zschäpe bei ihm vorgestellt. Natürlich unter falschem Namen. Einer der beiden Männer, soll sie gesagt haben, sei ihr Freund. Der andere sei ihr Bruder. Sie sage das nur, damit keine Gerüchte aufkämen.

Natürlich haben sich die Nachbarn und Bekannten Gedanken gemacht, was die drei so beruflich machen. Die Zwickauer Freundin, bei der Zschäpe noch drei Tage vor dem Brand vorbeigeschaut hat, glaubte, dass der Freund der Zschäpe bei einer Baufirma im Erzgebirge arbeite, die seinen Eltern gehöre. Deshalb sei er häufig nicht dagewesen. Mundlos erzählte gern, dass er im PC-Laden seines Vaters arbeite, der Professor gewesen sei. Böhnhardts Eltern hatten angeblich eine Auto-Leasing-Firma, in der er angeblich arbeitete. Bekannte von Zschäpe meinten, dass "Liese", wie sie sich nannte, im Geschäft der Eltern jobbe.

In der Frühlingsstraße 26 wohnten nette Leute

Einige Zeugen fanden es erwähnenswert, dass das Trio oft mit Rädern unterwegs gewesen sei. Manchmal habe ein Wohnmobil vor dem Haus geparkt. Oft seien die Männer nachmittags gegen halb fünf Uhr nach Hause gekommen. Die Treppenstufen hätten so geknarrt. Einig waren sich die Bekannten, dass die Bewohner der Frühlingsstraße 26 nette Nachbarn waren, Zschäpe besonders. Manchmal habe sie den Nachbarn eine Familienpizza ausgegeben oder eine Flasche Prosecco vorbeigebracht. Ähnliches erzählten Urlauber, die sich Jahr für Jahr mit den Zwickauern auf dem Fehmarner Campingplatz "Wulfener Hals" getroffen hatten.

Auch der Untergrund hat offenbar seine Rituale: Immer wieder Donnerstags sei eine Frau mit zwei kleinen Kindern zu Besuch bei Beate Zschäpe gewesen, berichtet ein weiterer Zeuge. Die Kinder hätten gebadet. Wenn es laut im Haus wurde, habe er gewusst: "Heute ist wieder Badetag." Zschäpe soll gesagt haben, dass die Besucherin ihre Schwester sei. Zschäpe hat aber keine Schwester

Einige Bedeutung für die Frage, ob es sich um schwere Brandstiftung handelt oder nicht, haben die Aussagen zweier Trockenbauern, die die Dachgeschosswohnung im Haus Frühlingsstraße 26 ausbauten. Am 4. November gegen 14.40 Uhr verließen beide die Baustelle, machten Pause und fuhren zu einem Bäcker, um Kaffee zu trinken und Kuchen zu essen. Als sie wieder losfahren wollten, war die Hölle los.

Der Arbeiter hörte einen Riesenknall

Er habe einen "Riesenknall" gehört und "Riesenqualm" aus Richtung Frühlingsstraße gesehen, sagte einer der Arbeiter. Im ersten Augenblick habe er gedacht, "wir könnten damit was zu tun haben". Aber da war doch kein Gasanschluss im Dachgeschoss und die Elektrik war auch in Ordnung.

Hat Zschäpe, bevor sie das Feuer legte, ganz oben nachgeschaut, ob die beiden Arbeiter noch im Haus waren? Konnte sie sicher sein, dass beide zusammen im Auto weggefahren waren? Bei einer 89 Jahre alten Dame, die in der anderen Hälfte des Hauses lebte, hat sie wohl heftig geklingelt. Die Frau gab später zu Protokoll, sie sei zur Tür gegangen, habe durch den Spion geguckt und niemanden gesehen. Sie sei in der Wohnung geblieben, aber ihr ist nichts passiert.

Zschäpe surfte am Vormittag im Internet: Um 10.40 Uhr, anderthalb Stunden nach dem Überfall von Böhnhardt und Mundlos auf eine Sparkasse im 180 Kilometer entfernten Eisenach, klickte sie die "Sachsen-Nachrichten" des MDR. Um 10.57 Uhr die "Sachsen News". Später "Autounfall Sachsen", "Autounfall Mitteldeutschland". Dann die "Zwickauer News" und um 12.43 Uhr das "Sachsen Radio". Da waren Böhnhardt und Mundlos schon tot.

Um 13.07 Uhr rief die Tierfreundin, die sie auch war, die Greenpeace-Seite auf. Sechs Minuten später die Seite "Gegen Pelz" und um 13.26 "Biobauern Zwickau". Dann wurde der Computer ausgeschaltet.

© SZ vom 31.12.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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