Seine erste politische Rede hat Barack Obama im Jahr 1979 gehalten. Zusammen mit anderen Studenten am Occidental College in Kalifornien führte er ein Protest-Theater auf: Er sollte ein paar Sätze gegen die Apartheid in Südafrika sagen, daraufhin würden ihn andere Studenten, als Polizisten verkleidet, von der Bühne entfernen.
"Dieser Kampf ist weit weg, aber er berührt uns alle, er stellt uns alle vor eine Wahl zwischen Würde und Knechtschaft, Fairness und Ungerechtigkeit", sagte Obama so eindringlich, dass die Studenten noch Tage später davon redeten. Obama erkannte nicht nur seine Leidenschaft für die Politik, sondern auch, dass er Menschen mit seinen Worten berühren konnte.
Ohne Nelson Mandela also hätte es vielleicht nie einen Politiker namens Barack Obama gegeben. Unmittelbar nach Mandelas Tod ließ der amerikanische Präsident die US-Flaggen auf halbmast setzen. Er würdigte den großen Versöhner als einen der "einflussreichsten, mutigsten und durch und durch guten Menschen, mit denen wir je auf dieser Erde leben werden". Und er erinnerte daran, wie sehr Mandela seinen eigenen Lebensweg beeinflusst habe, als Inspiration vom ersten Studentenprotest bis heute. "Wie so viele andere kann ich mir mein Leben kaum vorstellen ohne das Vorbild Nelson Mandelas", sagte der Präsident am Donnerstag.
Obama ist ins Weiße Haus aufgestiegen, weil er die Hoffnung wecken konnte, Unwahrscheinliches bis Unmögliches zu vollbringen - der erste schwarze US-Präsident zu sein, Rechte und Linke zu versöhnen. "Hope", oder Hoffnung, ist einer seiner Werbesprüche gewesen, und Mandela hat ihn auch dazu inspiriert. "Der Tag seiner Freilassung aus dem Gefängnis gab mir eine Ahnung davon, wozu Menschen imstande sind, wenn sie sich von ihrer Hoffnung leiten lassen und nicht von ihren Ängsten", sagte er nach Mandelas Tod.
Es klingt unwahrscheinlich, aber Obama und Mandela, die jeweils ersten schwarzen Staatschefs ihrer Länder, sind sich nur ein Mal begegnet: Im Jahr 2005 bei einem Besuch Mandelas in Washington, als Barack Obama gerade in den US-Senat gewählt worden war. Das Treffen dauerte nur wenige Minuten, aber das Erinnerungsfoto haben sich dann beide Männer auf ihre Schreibtische gestellt. Sie sollten sich nie wieder begegnen.
Trauer:Blumen, Kerzen, Schweigen
Menschen auf der ganzen Welt erweisen Friedensnobelpreisträger Nelson Mandela die letzte Ehre. Vor seinem Haus, den südafrikanischen Botschaften und in zahlreichen Gottesdiensten trauern sie um den ersten schwarzen Präsident Südafrikas.
"Ich brauche keinen Fototermin"
Als Obama in diesem Sommer Südafrika besuchte, war Mandela schon zu krank, um Gäste zu empfangen. Obama wollte nicht aufdringlich wirken, obwohl alle Welt freilich auf ein Wiedersehen der beiden Symbolfiguren gespannt war. "Ich brauche keinen Fototermin", sagte Obama.
Beide Männer sind oft mit einander verglichen worden. Beide haben die Vorurteile weißer Mitbürger überwinden müssen, beide haben als Versöhner mit weltweiter Ausstrahlung den Friedensnobelpreis gewonnen. Allerdings sind ihre Lebenswege ansonsten kaum zu vergleichen. Anders als Mandela musste Obama für seine politischen Überzeugungen nie im Gefängnis sitzen oder sein Leben riskieren. Mandela ist der Mann, der die größeren persönlichen Opfer gebracht hat.
Obama hat das öffentlich anerkannt. Als er 2009 den Nobelpreis entgegennahm, sagte er, er habe im Vergleich zu Männern wie Albert Schweitzer, Martin Luther King oder Nelson Mandela nur Bescheidenes erreicht. Obamas früherer Sprecher Robert Gibbs hat erzählt, wie er mit Obama die einstige Gefängniszelle Mandelas auf Robben Island besuchte. "Wenn man dort steht, erkennt man, dass Mandela immer eine einmalige Persönlichkeit in der Weltgeschichte bleiben wird", sagte Gibbs. "Ich glaube nicht, dass Präsident Obama selbst seinen schlimmsten Tag mit dem besten Tag Mandelas im Gefängnis auch nur vergleichen würde."
Mandela ist aus der selbstbezogenen Perspektive Washingtons immer ein Riese gewesen, seine Besuche erregten enorme Aufmerksamkeit. Für weiße und besonders für schwarze Amerikaner war er eine Lichtgestalt, ein Vorbild für friedlichen, würdevollen Widerstand, wie es Martin Luther King war. Besonders im Süden der USA ähnelten etliche Gesetze bis weit in die 1960er-Jahre hinein jenen der südafrikanischen Apartheid, und viele Schwarze sind bis heute zumindest wirtschaftlich benachteiligt. John Lewis, ein Bürgerrechtler und einstiger Wegbegleiter Kings, sagt, er habe sich in Mandelas Gegenwart unwürdig gefühlt. "Ich wusste, dass ich wahrer menschlicher Größe begegnet war."
Obamas Ehefrau Michelle hat einmal geschildert, wie sie Mandela zu danken versuchte und keine Worte fand, die groß genug waren. Sie sagte nur "Danke". Mandela selbst dürfte Obamas Erfolg als Fortsetzung oder gar Vollendung seiner eigenen Geschichte gesehen haben. Nachdem Obama 2008 die Präsidentschaftswahl gewonnen hatte, schrieb ihm Mandela, dieser Sieg "beweist, dass jeder Mensch an jedem Ort davon träumen kann, diese Welt zu verbessern".