Putin-Kritiker:EGMR verurteilt Russland wegen mangelnder Nawalny-Ermittlung

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Der Kremlgegner Alexej Nawalny im Moskauer Gerichtssaal 2021. (Foto: dpa)

Die Behörden hätten zu dem Giftanschlag auf den Kreml-Kritiker nicht ausreichend ermittelt. Damit habe Russland gegen die Europäische Menschenrechtskonvention verstoßen.

Im Fall des mutmaßlichen Giftanschlags auf den Kreml-Kritiker Alexej Nawalny hat Russland gegen die Europäische Menschenrechtskonvention verstoßen. Die Behörden hätten es versäumt, effektiv zu ermitteln, urteilte der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) in Straßburg. So seien die Ermittler den Vorwürfen nicht nachgegangen, dass es bei dem Mordversuch ein politisches Motiv und eine mögliche Beteiligung staatlicher Agenten gegeben haben könnte. Sie hätten zudem Meldungen nicht aufgegriffen, wonach eine verbotene chemische Waffe eingesetzt wurde.

Der EGMR urteilte nun einstimmig, dass Nawalny in seinem Recht auf Leben aus der Europäischen Menschenrechtskonvention verletzt worden sei. Die Ermittlungen der russischen Behörden seien nicht nachvollziehbar. Nawalnys Recht auf Beteiligung am Verfahren sei ebenfalls nicht berücksichtigt worden. Russland wurde deshalb zur Zahlung von 40 000 Euro Schadenersatz verurteilt.

Im Jahr 2020 hatte Nawalny einen Anschlag mit dem Nervengift Nowitschok nur knapp überlebt. Nach der Behandlung seiner Vergiftung in der Berliner Charité kehrte Nawalny im Januar 2021 nach Russland zurück, wurde verhaftet und später zu neun Jahren Gefängnis wegen angeblichen Betrugs verurteilt. Seither sitzt der prominenteste Kritiker von Kremlchef Wladimir Putin als politischer Gefangener seit mehr als zwei Jahren im Gefängnis. Er ist seit Monaten fast durchgängig in einer zwei mal drei Meter kleinen Isolationszelle eingesperrt. Menschenrechtler sprechen von Folter.

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Russische Behörden hatten nach eigenem Bekunden keine Anzeichen für eine Vergiftung gefunden, als Nawalny am 20. August 2020 auf einer Reise von Tomsk nach Moskau einen Zusammenbruch erlitt und ins Koma fiel. Nachdem er zur Behandlung nach Deutschland geflogen worden war, wies ein Speziallabor der Bundeswehr zweifelsfrei einen Nervenkampfstoff der Nowitschok-Gruppe nach. Diese ist nach dem Chemiewaffenübereinkommen verboten. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte stellte dazu fest, dass die russische Justiz die Meldung, dass es sich bei dem fraglichen Giftstoff um ein nach internationalem und russischem Recht verbotenes Kampfmittel handele, nicht weiterverfolgt hat, obwohl sie dazu verpflichtet gewesen wäre.

Russland erkennt die Urteile des Gerichtshofs für Menschenrechte nicht mehr an. Das Land wurde wegen des Angriffskrieges gegen die Ukraine aus dem Europarat ausgeschlossen. Damit ist es auch kein Mitglied der Europäischen Menschenrechtskonvention mehr, für deren Einhaltung der Gerichtshof sorgt. Urteile des Gerichts, die sich auf Handlungen oder Unterlassungen Russlands vor dem 16. September 2022 beziehen, bleiben aber weiter bindend.

Nawalny drohen in Russland weitere 30 Jahre Lagerhaft

In Russland beginnt an diesem Dienstag ein weiteres Strafverfahren gegen den inhaftierten Kremlgegner. Insgesamt hat die Justiz sieben neue Anklagepunkte formuliert, darunter Gründung und Finanzierung einer extremistischen Organisation und Verharmlosung des Nazismus. Der Kremlgegner weist die Vorwürfe zurück. Das Moskauer Stadtgericht tagt nach Angaben von Nawalnys Anwältin in einem Straflager - 260 Kilometer nordöstlich der Hauptstadt, unter Ausschluss der Öffentlichkeit. Nawalny drohen bei dem Verfahren weitere 30 Jahre Lagerhaft.

Die nationale und internationale Unterstützung für Alexej Nawalny bleibt derweil weiter ungebrochen. So gingen in Russland am Wochenende anlässlich des 47. Geburtstags des inhaftierten Kremlkritikers Hunderte Unterstützer auf die Straßen - mehr als 100 von ihnen wurden dem Bürgerrechtsportal OVD-Info zufolge festgenommen. Demonstration gab es nicht nur in Russland, sondern auch in anderen Ländern. Nawalnys Sprecherin Kira Jarmysch veröffentlichte auf Twitter Fotos von Unterstützern aus Japan, Australien und Georgien. Auch in Berlin gingen Menschen für Kundgebungen auf die Straße.

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