Schwedens Nato-Mitgliedschaft:Willkommen im Klub

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Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan ließ seinen halben Zusagen immer wieder Phasen des Wartens folgen. (Foto: Marton Monus/dpa)

Die Türkei hat sich viel Zeit gelassen, doch nach 20 langen Monaten stimmt das Parlament in Ankara dem Nato-Beitritt Schwedens zu. Nun fehlt noch Erdoğans Unterschrift - und ein Ja aus Ungarn.

Von Raphael Geiger und Alex Rühle, Stockholm/Istanbul

Seit Schweden im Mai 2022 gemeinsam mit Finnland als Reaktion auf den Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine seinen Antrag im Nato-Hauptquartier in Brüssel eingereicht hat, wurden viele, sehr viele Texte geschrieben, die endgültige Durchbrüche vorhersagten oder Zeitpunkte, an denen die Türkei nun aber wirklich, wenn nicht gar definitiv, ihre Zustimmung geben werde. Mit dieser journalistischen Gattungsform ist es jetzt vorbei. Am Dienstagabend hat das türkische Parlament in Ankara der Nato-Mitgliedschaft Schwedens zugestimmt. 287 Abgeordnete votierten mit Ja, 55 mit Nein und vier enthielten sich.

Zuletzt hatte Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg gesagt, er sei sehr zuversichtlich, dass Schweden im Juli beim Bündnisgipfel als 32. Mitglied mit am Tisch sitzen werde. Das hatte er freilich ganz ähnlich schon vor dem Gipfel von Vilnius im Juli 2023 formuliert und ebenso im Herbst, ohne dass sich jeweils viel getan hätte. Präsident Recep Tayyip Erdoğan ließ seinen halben Zusagen wie im vergangenen Sommer immer wieder Phasen des Wartens folgen, in denen er von Schweden weitere Schritte forderte.

Türkei verlangt von Schweden mehr Härte gegen vermeintliche Terroristen

Offiziell nämlich begründete Ankara das lange Zögern immer damit, dass die schwedische Regierung einen viel zu laxen Umgang mit vermeintlichen Terroristen pflege. Die Türkei hat die kurdische PKK vor Jahren schon als Terrororganisation eingestuft, ebenso wie USA und EU. Schweden aber hat vielen türkeistämmigen Kurdinnen und Kurden Asyl gewährt.

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Erdoğan sagte mehrfach, Schweden sei der wichtigste Zufluchtsort für "diese Terroristen". Die Regierung in Stockholm hat daraufhin im vergangenen Frühjahr seine Terrorgesetze verschärft, was die Regierung in Ankara allerdings nicht zum Einlenken brachte. Erdoğan übergab den Schweden zum Beispiel eine Liste mit Personen, die er gern an die Türkei ausgeliefert sähe.

Im Herbst übersandte Erdoğan den schwedischen Antrag dennoch zur Ratifizierung ans Parlament. Nachdem aber die PKK kurz nach Silvester im Irak neun türkische Soldaten tötete und PKK-Sympathisanten auf einer Demonstration in Göteborg eine bunte Erdoğan-Puppe verprügelt hatten, ging man in Schweden nicht davon aus, dass das türkische Parlament direkt nach dem Ende der Winterpause abstimmen würde. Außerdem war nicht klar, welche Signale Erdoğan aus Washington bezüglich der gewünschten F-16-Kampfjets bekam - deren Lieferung aus den USA nämlich hatte er ziemlich offen zur Bedingung gemacht. Womöglich waren sie ihm sogar wichtiger als manche Demos in Stockholm.

Und nun? Ende gut, alles gut? Nicht ganz, schließlich muss Erdoğan noch unterschreiben. Wenn er wollte, könnte er sich damit noch Zeit lassen. Unwahrscheinlich, aber immerhin hat der Präsident die ganze Sache mit den Schweden seit 2022 hinausgezögert. Und zudem fehlt immer noch die Zustimmung des ungarischen Parlaments. Ministerpräsident Viktor Orbán hat zwar mehrfach gesagt, man werde nicht das letzte Land sein, das das schwedische Gesuch unterzeichne. Allerdings haben die ungarischen Abgeordneten gerade Winterpause, bis in den Februar hinein. Als vergangene Woche die Regierungsagenda für die Frühjahrssitzung veröffentlicht wurde, war die Abstimmung über die schwedische Nato-Mitgliedschaft nirgends erwähnt.

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Aus Orbáns Büro hieß es, Schweden scheine "der Nato-Mitgliedschaft keine Priorität einzuräumen" und habe nichts unternommen, um das Vertrauen in die Eignung des Landes für eine Mitgliedschaft zu stärken. Am Dienstagmorgen gab Orbán plötzlich bekannt, er habe Schwedens Premier Ulf Kristersson nach Budapest eingeladen, um über das Thema Nato "zu verhandeln". Außenminister Tobias Billström wollte sich nicht dazu äußern, ob Kristersson die Einladung annehmen werde. Er ergänzte aber recht schmallippig, er sehe keinen Grund, mit Ungarn zu verhandeln.

Nato-Generalsekretär Stoltenberg begrüßte die Zustimmung des türkischen Parlaments und betonte noch am Dienstagabend, dass er darauf zähle, dass Ungarn seine Ratifizierung "so schnell wie möglich" abschließe. Der nächste reguläre Nato-Gipfel findet vom 9. bis 11. Juli in Washington statt. Die Partner wollen dort den 75. Geburtstag des Verteidigungsbündnisses feiern. Mal sehen, ob dann 31 oder mit Schweden tatsächlich 32 Delegationen ihre Gläser erheben werden.

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