Migrationspolitik:Türkei stellt Rücknahme von geretteten Flüchtlingen infrage

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Am Strand der griechischen Insel Lesbos kommen unzählige Flüchtlinge an. Die meisten von ihnen, so auch diese Familie, haben ihre gefährliche Reise über das Mittelmeer in der Türkei begonnen. (Foto: Santi Palacios/AP)
  • Türkei, Griechenland und Deutschland hatten sich auf die Rahmenbedingungen eines Nato-Einsatzes gegen Schlepper in der Ägäis verständigt.
  • Nun steht die Zusage der Türkei, von der Nato gerettete Flüchtlinge zurückzunehmen, infrage.
  • Mit der Garantie der Rücknahme von Flüchtlingen steht und fällt allerdings der ganze Nato-Einsatz.
  • Der Türkei und Griechenland fällt damit eine Schlüsselrolle zur Lösung der Flüchtlingskrise zu.

Von Daniel Brössler, Luisa Seeling und Mike Szymanski, Brüssel/Istanbul

Auf dem Papier liegen die Dinge klar. In sieben Punkten, kurz und knapp zusammengefasst, hatten sich die Verteidigungsminister der Türkei, Griechenlands und Deutschlands auf die Rahmenbedingungen eines Nato-Einsatzes gegen Schlepper in der Ägäis verständigt. Als Aufgaben sind unter Punkt drei aufgeführt: "Aufklärung, Beobachtung und Überwachung illegaler Überfahrten". Ganz eindeutig klingt auch Punkt vier: "Im Fall der Rettung von Personen, die von der Türkei aus kommen, werden diese in die Türkei zurückgebracht." So jedenfalls dachte Bundesverteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU), die den Deal beim Treffen der Nato-Verteidigungsminister Mitte Februar klargemacht hatte. Besonders hatte von der Leyen die Bereitschaft der Türkei gelobt, von der Nato gerettete Flüchtlinge zurückzunehmen. Doch genau diese Zusage steht jetzt infrage.

Eine Rücknahme von Flüchtlingen, die von Nato-Schiffen in der Ägäis aus Seenot gerettet werden, ist nach Angaben der türkischen Regierung jedenfalls noch nicht abschließend vereinbart. Dieser Punkt werde nach seinem Wissen noch verhandelt, sagte Vize-Ministerpräsident Numan Kurtulmuş am Dienstag bei einem Treffen mit internationalen Nachrichtenagenturen in Ankara.

Mit der Garantie der Rücknahme von Flüchtlingen aber steht und fällt der ganze Nato-Einsatz. Das hatte von der Leyen beim Treffen der Nato-Verteidigungsminister klargemacht. Keinesfalls wollte sich die Allianz auf einen Ägäis-Einsatz einlassen, der in der Konsequenz den Weg nach Griechenland und damit in die EU sicherer macht. Stünde die Türkei also nicht zu ihrer ursprünglichen Zusage, wäre ein wichtiges Element des Plans von Bundeskanzlerin Angela Merkel zur Entschärfung der Flüchtlingskrise dahin.

Griechenland fordert die Nato auf, die Vereinbarung umzusetzen

Der griechische Verteidigungsminister Panos Kammenos forderte Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg nach eigener Darstellung in einem Schreiben auf, die Ägäis-Vereinbarung umzusetzen - was dieser sicher gerne würde. Schon seit mehr als einer Woche befinden sich die vier Schiffe des Ständigen maritimen Nato-Einsatzverbandes 2 aus Deutschland, Kanada, Griechenland und der Türkei in den internationalen Gewässern der Ägäis. Bisher sind sie nach Angaben der Nato "routinemäßig" mit Aufklärung, Beobachtung und Überwachung beschäftigt. An den Einzelheiten des Einsatzes werde noch gearbeitet, was auch für die geplante Übermittlung von Informationen an die EU-Grenzschutzagentur Frontex gelte. Das solle "so schnell wie möglich abgeschlossen werden".

Im Nato-Militärausschuss stehen dem aber noch Verhandlungen über diverse Einzelheiten im Wege. Diskutiert wurde auch am Dienstag - erschwert durch türkisch-griechische Empfindlichkeiten - über das genaue Einsatzgebiet sowie den heiklen Punkt der Flüchtlingsrücknahme. Auf militärischer Arbeitsebene scheint die politische Einigung auf erhebliche Hindernisse zu stoßen. Einen Rückzieher der Türkei von der Zusage, von Nato-Schiffen gerettete Flüchtlinge zurückzunehmen, gebe es aber nicht, heißt es aus Nato-Kreisen. Die fast schon historische Vereinbarung stehe, Hindernisse sollen noch an diesem Mittwoch ausgeräumt werden.

So oder so bleibt das Verhältnis zwischen der Türkei und Griechenland angespannt. Darüber können auch die freundlichen Worte des türkischen Europaminister Volkan Bozkır kaum hinwegtäuschen. Er sagt, es sei jetzt nicht die Zeit für Schuldzuweisungen. Der griechische Migrationsminister Yannis Mouzalas wettert seit Tagen, die Türken würden sich nicht an die Absprachen halten und damit eine Lösung der Flüchtlingskrise aufs Spiel setzen.

Syrienkrieg und Flüchtlingskrise
:Amnesty kritisiert: "Die flüchtlingsfreundliche Haltung der Bundesregierung gibt es nicht mehr"

Im neuen Jahresbericht prangert Amnesty an, dass es noch immer keine Lösung für Syrien gibt. Grund sei die "egoistische Fokussierung auf nationale Interessen".

Es geht dabei auch um die Zahl der Flüchtlinge, welche die Türkei aus Griechenland im Zuge eines Rückführungsabkommens abnimmt. 2014 seien fast 10 000 Personen von den Griechen angemeldet worden. Die Türkei hätte großzügig aufnehmen wollen, am Ende seien aber nur sechs Menschen gekommen. 2015 hätten die Türken angeboten, mehr als 5000 Flüchtlinge zurückzunehmen. Es seien dann 56 gewesen. Auf die Frage, warum der Prozess nur so schleppend läuft, entgegnet Bozkır, ein Großteil der Migranten sei den griechischen Behörden wohl entwischt.

Einfacher wäre es, wenn ein Boot das andere anfunkt

So läuft das seit Wochen. In der Flüchtlingskrise gibt es nicht bloß ein Land, dem die Schlüsselrolle zur Lösung der Krise zufällt, sondern zwei - Griechenland und die Türkei. Zwar erklärt Bozkır, die Griechen brauchten auch Hilfe. Aber ausgerechnet jene Länder, welche die Schnittstelle in dieser Krise bilden, kooperieren und kommunizieren offenbar schlecht. An manchen Küstenabschnitten trennen nur wenige Kilometer Wasser griechischen und türkischen Boden. Wenn sich dort ein Flüchtlingsboot aufmacht und von der griechischen Küstenwache noch in türkischen Gewässern entdeckt wird, könnte man meinen: Man funkt das Boot der türkischen Küstenwache kurz an, und es nimmt die Flüchtlinge auf. "Aber sie reagieren nicht oft", erzählt ein Oberleutnant zur See.

Offiziell müsse die Anfrage ohnehin über die Ministerien in Athen und Ankara laufen. Griechenlands Migrationsminister sagt dazu, man bestehe darauf, dass "die Türkei sich an die Vereinbarungen hält. Sonst hat Griechenland ein großes Problem und Europa genauso".

© SZ vom 24.02.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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