Die militärische Eskalation zwischen Israel und den militanten Palästinensern in Gaza bringt einen Mann in Schwierigkeiten, der sich gerade anderen Weltregionen widmet: Barack Obama. Während der US-Präsident eine ausgedehnte Asienreise antritt, wird die unmittelbare Wirksamkeit seiner Außenpolitik im Nahen Osten getestet. Der Konflikt verlangt nach einer amerikanischen Stimme. Aber diese Stimme ist kaum zu vernehmen, und so könnte sich der Präsident kurz nach seiner Wiederwahl einen wenig schmeichelhaften Realitäts-Check einhandeln.
Plötzlich stehen die USA unter dem Druck, die Tragfähigkeit ihrer Beziehungen zu Ägypten und auch zu Israel zu beweisen. Sie werden angesichts der Härte der Auseinandersetzung Schwierigkeiten haben, mit ihren Appellen zur Deeskalation durchzudringen. Nun rächt sich, dass Obama die Umwälzungen in der arabischen Welt ohne Strategie begleitet hat.
Die instabile und angespannte Lage im Dreieck Israel, Gazastreifen und der Halbinsel Sinai birgt große Gefahren für amerikanische Interessen. Die Krise ist Amerika enteilt, die Politik aus Washington läuft den Ereignissen hinterher, schon seit geraumer Zeit. Obama hat der Lösung des israelisch-palästinensischen Konflikts von Anfang an eine hohe Bedeutung beigemessen. Er hat eine Zwei-Staaten-Lösung bevorzugt - aus Überzeugung, aber auch weil diese Lösung amerikanischen Interessen dient, gerade im Augenblick des arabischen Erwachens. Bisher verfolgte Obama die Strategie, sich in den Konflikt nicht weiter einzumischen, solange eine Annäherung der Kontrahenten nicht in Sicht ist. Nun verkompliziert die Gaza-Konfrontation die Lage. Für einen Friedensprozess fehlen immer mehr der palästinensische Partner, es fehlt aber auch die israelische Bereitschaft.
Obama müsste also seine abwartende Position aufgeben, aber offenbar fehlen ihm die Alternativen. Und so stellt sich die Frage, ob die gegenwärtige Krise als Chance genutzt werden könnte, um die festgefahrene Lage zwischen Israel und der palästinensischen Behörde aufzuweichen.
Sollten sich die Palästinenser bewegen, wird sich Obama nicht scheuen, Druck auf Israel und die unnachgiebige Haltung der Regierung Netanjahu auszuüben. Umgekehrt wird Obama zur Intervention gegen die Palästinenser gezwungen sein, wenn sie in der kommenden UN-Generalversammlung erneut den Versuch unternehmen werden, ihren Status aufzuwerten. Eine Eskalation wäre dann unvermeidbar. Um Präsident Abbas von seinem Vorhaben abzubringen, wird Obama mehr als Drohungen brauchen. Kann er heute (erst recht vor den Wahlen in Israel) Versprechungen abgeben - und auch einhalten?
Ein zweites Szenario, das Obama zum Handeln zwingt, wird ein Zusammenbruch der palästinensischen Regierungsbehörde sein. Abbas gerät mehr und mehr unter Druck der radikalen Kräfte. Die Eskalation in Gaza hat seine Isolation noch verstärkt. Die Umarmung der Islamisten in der Region gilt den Radikalen in Gaza, nicht seiner Regierung. Obama wird in diesem Moment das tun, was er immer schon als Präsident getan hat: abwarten. Da es momentan keine andere zufriedenstellende Alternative gibt, wird der Präsident auch gegenüber Syrien nur in der Beobachterrolle bleiben. Eine sich anbahnende humanitäre Katastrophe könnte ihn vielleicht zwingen, seine Position zu verändern. Aber zu einer militärischen Intervention wird es nicht kommen.
Vor dem Hintergrund der vergangenen vier Jahre und der Einmischung Netanyahus in den Wahlkampf zugunsten seines Freundes Romney wird man mit Spannung beobachten, wie sich Obamas Beziehungen zum israelischen Premierminister gestalten werden. Es ist nicht davon auszugehen, dass Obama sich für Netanjahus Verhalten rächen wird. Ebenso wenig ist zu erwarten, dass die beiden sich versöhnen werden. Trotz der potenziellen Spannungen, die man bei den iranischen und palästinensischen Themen nicht ausschließen kann, wird Obama an den Beziehungen im Sicherheitsbereich nicht rütteln, da sie amerikanischen Interessen entsprechen.
Bleibt die Iran-Krise, die Obama tatsächlich zum handeln zwingen könnte. Alles deutet darauf hin, dass 2013 das Jahr der Entscheidung sein wird. Obama wird einen Nuklearstaat Iran nicht als sein außenpolitisches Erbe hinterlassen wollen. Andererseits kann er sich nach zwei kriegerischen Auseinandersetzungen im Irak und in Afghanistan kein neues militärisches Abenteuer leisten. Hier kann er also nicht abwarten, zumal seine Ziele eindeutig formuliert sind: Ein nuklearer Iran ist inakzeptabel, und eine Politik der Eindämmung ist keine Alternative.
Vor diesem Hintergrund wird Obama die diplomatische Karte ausspielen müssen. Es ist davon auszugehen, dass die USA Iran in den ersten Monaten 2013 ein Angebot unterbreiten werden, kombiniert mit klaren Forderungen. Man kann nur hoffen, dass mithilfe der Sanktionen und einer ernsthaften Verhandlungsbereitschaft beider Seiten tatsächlich ein politischer Prozess eingeleitet wird. Diese Verhandlungen werden lang und schwierig sein, aber aus Obamas Sicht wird ihn ein glaubwürdiger Prozess von der Notwendigkeit entbinden, ernsthaft über eine militärische Option nachzudenken. Sollte die diplomatische Option scheitern, wird er notgedrungen militärisch vorgehen müssen.
Sollte dies gelingen, wird Iran auf die militärische nukleare Option verzichten müssen (und dafür die Anerkennung des Rechts auf Anreicherung für zivile Zwecke erhalten). Und schließlich muss Israel zu zwei Zugeständnissen bereit sein: Zumindest einstweilen wird es auf militärische Optionen verzichten müssen; und sollten die Verhandlungen zwischen Iran und den USA zum Erfolg führen, muss Israel eine diplomatische Lösung zähneknirschend tolerieren. Sollten die Verhandlungen scheitern, wird es Israel den USA überlassen müssen, militärisch vorzugehen.
Die Transformation in der arabischen Welt stellt die USA vor eine Herausforderung, weil sie keine einheitliche Strategie für alle Staaten entwickeln können. Im Gegenteil geraten sie in ein echtes Dilemma: Wie geht man seinen strategischen Interessen nach und bleibt doch den Werten, für die man steht, in einer sich islamisierenden Gegend treu? Diese Frage wird Obama seine Amtszeit hindurch begleiten.
Es gibt also viele Themen, aber nur geringe Aussichten, dass Obama in der Außenpolitik eine historische Handschrift hinterlässt - erst recht nicht im Nahen Osten. Trotz mancher Erwartungen (insbesondere in Europa) wäre Obama gut beraten, nicht für die Kontrahenten im Nahostkonflikt die Kastanien aus dem Feuer zu holen. Das bleibt deren Aufgabe.
Shimon Stein, 64 Jahre, war 2001 bis 2007 Botschafter des Staates Israel in Deutschland. Zurzeit ist er Senior Fellow am Institute für Nationale Sicherheitsstudien (INSS) an der Universität Tel Aviv.