Nahost-Konflikt:Grenzen der Wahrheit

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Israel erlaubt der kranken Tochter eines Hamas-Führers die Behandlung im Land und feiert das anschließend als große Geste der Humanität. Die Palästinenser selbst schweigen.

Peter Münch

Ilham ist krank, sehr krank. Im Hospital haben sie der jungen Frau nicht mehr helfen können, womöglich wurde sie dort sogar falsch behandelt. Klar ist nur eines: Sie liegt im Koma, und sie musste heraus aus dem Gaza-Streifen, um im Ausland die dringend benötigte medizinische Hilfe zu bekommen.

Grenzübergang in Erez: Auch die Tochter von Hamas-Führer Fathi Hamad dürfte von hier aus nach Israel fahren, um sich dort behandeln zu lassen. (Foto: Foto: AP)

Die 22-Jährige ist doch gerade erst Mutter geworden, so ist zu erfahren, drei Monate ist ihr Baby alt. Doch der Gaza-Streifen ist abgeriegelt von der israelischen Armee. Keine Waren dürfen hinein, keine Menschen hinaus. Was kann man tun für diese Frau?

Es ist dies die Geschichte einer Rettung, die selbstverständlich sein müsste - und doch im umkämpften Nahen Osten zu einer vertrackten Staatsaktion geworden ist. Gewiss, immer wieder macht die israelische Armee Ausnahmen von der Abriegelung. Schwerkranke mit Sondergenehmigung dürfen hinaus aus dem Gaza-Streifen, am Grenzübergang Erez stehen dafür Tragen und Rollstühle bereit.

Ein berüchtigter Vater

Doch Ilham hat einen berühmten, manche sagen berüchtigten Vater: Fathi Hamad kämpfte als hoher Kommandant der Kassam-Brigaden gegen Israel. Nun ist er, seit sein Vorgänger im letzten Krieg den vermeintlichen Märtyrertod starb, Innenminister der Hamas-Regierung in Gaza.

Wer wissen möchte, was das mit der Hilfe für seine Tochter zu tun hat, kann in einer Geschichte über diese Rettung im israelischen Massenblatt Jedioth Ahronot lesen, dass Fathi Hamad als Innenminister an den Verhandlungen zur Freilassung des vor knapp vier Jahren entführten israelischen Soldaten Gilad Schalit beteiligt ist. Schalit, heißt es, werde von den Geiselnehmern eine medizinische Untersuchung verweigert. Hamad soll zudem hinter dem Kopfgeld stecken, das im November für die Entführung weiterer israelischer Soldaten ausgelobt wurde.

Um solche Fakten vom Tisch zu wischen, braucht es wohl mindestens den Einsatz eines Königs. König Abdullah von Jordanien also hat sich in diesem Fall persönlich an Israels Verteidigungsminister Ehud Barak gewandt. Schließlich war die junge Frau in einem jordanischen Feldhospital im Gaza-Streifen ins Koma gefallen, und es stand zu befürchten, dass der Nachweis eines ärztlichen Behandlungsfehlers ernste politische Folgen gehabt hätte.

Der israelische Verteidigungsminister beriet sich mit seinem Generalstabschef, und als dann offenbar auch Premierminister Benjamin Netanjahu keine Einwände hatte, durfte Ilham begleitet von ihrer Mutter die Grenze in Erez passieren. Einige Stunden lang wurde sie in einem israelischen Krankenhaus notbehandelt, und dann nach Ammann gebracht - mit einem Helikopter, der Berichten zufolge von zwei Kampfjets abgesichert wurde.

In Israel wird dies als große Geste der Humanität gefeiert, die vielleicht noch dadurch größer wird, dass Ilham als "dreijährige Tochter des Hamas-Führers Fathi Hamad" beschrieben wird. Im Gaza-Streifen wundern sie sich darüber, aber offiziell muss strengstes Stillschweigen gewahrt werden. Die Medien dürfen nicht berichten, und ein Hamas-Sprecher sagte auf Anfrage, dies alles habe mit ihnen nichts zu tun, die Israelis hätten lediglich dem jordanischen König einen Gefallen getan.

Er weiß, dass die Leute auf der Straße schon darüber reden, warum sich ein Hamas-Mann helfen lässt vom Feind. Ilham soll es übrigens besser gehen.

© SZ vom 26.04.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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