Nach Luftangriff in Afghanistan:Verteidigungsminister Jung in der Defensive

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Scharfe Kritik an der Bundeswehr aus dem In- und Ausland nach dem Nato-Luftangriff in Afghanistan: Verteidigungsminister Jung wehrt sich - und keilt zurück.

Die Bundeswehr sieht sich nach dem von ihr angeforderten Nato-Luftangriff in Afghanistan mit Dutzenden Toten scharfer Kritik aus den Reihen der Bündnispartner ausgesetzt. Der französische Außenminister Bernard Kouchner bezeichnete den Luftangriff als "großen Fehler". Der Oberbefehlshaber der US- und Nato-Truppen in Afghanistan, General Stanley McChrystal, bestätigte, dass bei dem Einsatz Zivilpersonen verletzt worden seien.

Verteidigungsminister Franz Josef Jung (CDU) hingegen betonte erneut, dass keine unschuldigen Zivilisten getötet worden seien. Jung sagte der Bild am Sonntag: "Nach allen mir zurzeit vorliegenden Informationen sind bei dem durch ein US-Flugzeug durchgeführten Einsatz ausschließlich terroristische Taliban getötet worden."

Auf die Kritik reagierte der Bundesminister mit Unverständnis. Der Bild am Sonntag sagte Jung: "Überhaupt kein Verständnis habe ich für jene Stimmen, die ohne Kenntnis der Sachlage und der Hintergründe bereits zu einem sehr frühen Zeitpunkt Kritik an dem militärischen Vorgehen üben. Dies wird nicht den schwierigen Situationen gerecht, in denen unsere Soldaten im Einsatz für die Stabilität in Afghanistan und damit im Interesse unserer Sicherheit in Deutschland Leib und Leben riskieren."

Jung stellte sich hinter den Kommandeur in Kundus. "Durch sehr detaillierte Aufklärung über mehrere Stunden durch unsere Kräfte hatten wir klare Hinweise darauf, dass die Taliban beide Tanklastzüge circa sechs Kilometer von unserem Lager entfernt in ihre Gewalt gebracht haben, um einen Anschlag auf den Stützpunkt unserer Soldaten in Kunduz zu verüben. Wäre ihnen das gelungen, hätte es einen Anschlag mit entsetzlichen Folgen für unsere Soldaten gegeben. Deshalb halte ich die Entscheidung des deutschen Kommandeurs vor Ort für richtig", sagte der Verteidigungsminister der BamS.

Führte ein Missverständnis zu dem tödlichen Luftangriff?

Nach dem tödlichen Luftangriff in der Nähe der afghanischen Stadt Kundus soll untersucht werden, inwieweit Kommunikationsprobleme zwischen Bundeswehrsoldaten und den US-Streitkräften eine Rolle gespielt haben. Die geplante Untersuchung der Militäraktion vom Freitag müsse auch der Frage möglicher Sprachbarrieren zwischen den deutschen Kommandeuren in Kundus und den amerikanischen Piloten der eingesetzten Flugzeuge nachgehen, sagte US-Konteradmiral Gregory Smith, der Sprecher von McChrystal.

Es sei noch nicht entschieden, welche Nation die Untersuchung leiten solle. Geplant sei auch die Mitwirkung afghanischer Behördenvertreter. Bei dem Luftangriff auf zwei von Aufständischen entführte Tanklastwagen kamen nach Angaben des Gouverneurs der Provinz Kundus, Mohammed Omar, insgesamt 54 Menschen ums Leben. Davon seien 48 bewaffnet gewesen. Laut Omar wurden 15 Menschen verletzt, darunter zwei Taliban.

Nach der Militäraktion war die Bundeswehr international kritisiert worden. Die Europäische Union (EU) sprach am Samstag von einer "Tragödie". Der schwedische Außenminister Carl Bildt sagte für die EU-Ratspräsidentschaft zu dem Bombenangriff: "Wir gewinnen diesen Krieg nicht, indem wir töten." Frankreichs Außenminister Bernard Kouchner sprach von einem "großen Fehler": "Wir müssen mit ihnen zusammenarbeiten statt sie zu bombardieren. Sie müssen die Sache genau untersuchen." Luxemburgs Außenminister Jean Asselborn kritisierte: "Ich verstehe nicht, dass Bomben so einfach und so schnell abgeworfen werden können."

Scharfe Kritik aus dem Inland

Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) forderte in der Bild am Sonntag restlose Aufklärung des Vorfalls. "Gegen verbrecherische Terroristen muss entschieden vorgegangen werden. Gleichzeitig müssen wir aber alles tun, um unschuldige zivile Opfer zu vermeiden."

Der FDP-Verteidigungsexperte Jürgen Koppelin verlangte eine ehrliche Debatte über den deutschen Afghanistan-Einsatz. Es handele sich um einen Krieg. Linken-Fraktionschef Gregor Gysi kritisierte die Informationspolitik: "Während in Afghanistan die toten und verletzten Zivilisten betrauert werden, versucht sich die Bundeswehrführung und das Verteidigungsministerium weiter im Verschleiern."

Schröder: Bundeswehr 2015 aus Afghanistan abziehen

Unterdessen hat als erster prominenter SPD-Politiker Alt-Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) ein konkretes Datum für den Abzug der Bundeswehr aus Afghanistan genannt. Im Jahr 2015 müsse Schluss sein, sagte Schröder am Samstag in einer Rede im ostwestfälischen Lübbecke, wie das Westfalen-Blatt in seinem Online-Portal und die Welt am Sonntag  berichteten.

Dem neu gewählten afghanischen Präsidenten solle gesagt werden, er müsse es in den nächsten fünf Jahren schaffen, dass Afghanistan selbst für Sicherheit und Stabilität sorgen könne. Deutschland müsse weiter verstärkt Aufbauhilfe für Polizei und Militär in Afghanistan leisten. Auf die Frage, ob die SPD noch im Wahlkampf seine Position übernehmen solle, sagte Schröder der Welt am Sonntag, dies sei seine "private Meinung".

Der oberste Nato-Kommandeur in Afghanistan, US-General Stanley McChrystal, bemühte sich derweil um Schadensbegrenzung. Er besuchte am Samstag den Ort des Angriffs auf die gekaperten Tanklaster nahe Kundus und sprach mit Dorfbewohnern. McChrystal erklärte dabei nach Angaben der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung: "Für mich ist es klar, dass es einige zivile Opfer gab."

Vor seinem Besuch in dem Unruhedistrikt Char Darah, wohin die Taliban die gekaperten Tanklaster gebracht hatten, hatte sich Isaf-Kommandeur McChrystal über das afghanische Fernsehen an die Bevölkerung gewandt. Er versicherte dabei den Afghanen, dass die Nato alles unternehme, um die Bevölkerung bei Militäreinsätzen zu schonen.

Staatsanwaltschaft prüft Angriff auf Taliban

Die Staatsanwaltschaft Potsdam prüft, ob ein Ermittlungsverfahren gegen den für den Luftangriff verantwortlichen deutschen Kommandeur eingeleitet werden muss. Der leitende Oberstaatsanwalt Heinrich Junker sagte der Bild am Sonntag: "Wir prüfen einen Anfangsverdacht wegen eines eventuellen Tötungsdeliktes gegen den deutschen Oberst, der diesen Luftangriff befohlen beziehungsweise angefordert hat."

Der Kommandeur des Bundeswehr-Lagers in Kundus, Oberst Georg Klein, hatte am Freitag beim Hauptquartier der internationalen Schutztruppe Isaf Luftunterstützung angefordert, nachdem die Taliban zwei Tanklastzüge entführt hatten. Er befahl auch den Angriff.

Zu der Zahl der Opfer des Nato-Angriffs gibt es nach wie vor unterschiedliche Angaben. Die Bundeswehr spricht von mehr als 50 getöteten Aufständischen. Der afghanische Präsident Hamid Karsai teilte mit, es seien "rund 90 Menschen getötet oder verletzt" worden.

Dorfbewohner sprechen von bis zu 150 Toten

Nach afghanischen Quellen gibt es aber auch zivile Opfer. Stammesälteste des Dorfes Omarchel sprachen von bis zu 150 Zivilisten, die getötet worden seien. Ein Mitarbeiter der Deutschen Presse-Agentur dpa, der am Samstag zwei der Dörfer im Distrikt Char Darah besuchte, zählte dort 60 frische Gräber. Ein Sprecher des Einsatzführungskommandos warb um Verständnis, dass die Aufklärung Zeit brauche. "Das wird minutiös aufgearbeitet."

Die Taliban setzten derweil ihre Angriffe am Samstag fort: Bei einem Anschlag wurden fünf deutsche Soldaten und ein afghanischer Dolmetscher verletzt. Nach afghanischer Darstellung hatte sich ein Selbstmordattentäter mit seinem Auto in die Luft gesprengt. Schon am Freitag waren deutsche Soldaten, die die Umstände des Luftangriffs untersuchen sollten, unter Beschuss geraten.

© dpa/AFP/AP/hai - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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