Afghanistan:Luftangriff traf offenbar auch Zivilisten

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Nach den verheerenden Luftangriffen in Afghanistan steht die Bundeswehr in der Kritik. Es häufen sich Vorwürfe, dass Zivilisten ums Leben gekommen seien - auch Nato-Kommandeur Stanley McChrystal hält das für möglich. Verteidigungsminister Jung jedoch ist sich sicher, dass ausschließlich Taliban getötet wurden.

Unter den Verletzten des jüngsten Nato-Luftangriffs in Afghanistan waren nach Angaben von US-General Stanley McChrystal auch Zivilpersonen. Der Oberkommandierende der US- und Nato-Truppen in Afghanistan sprach am Samstag in Kundus von einem "ernsten Vorfall", der zeigen werde, ob das Militärbündnis zu Transparenz bereit sei.

Stanley McChrystal (rechts), der oberste Nato-Komandeur in Afghanistan, macht sich selbst ein Bild von der Lage. (Foto: Foto: AP)

Der Vorfall sei auch ein Test für die Bereitschaft der Nato, zu zeigen, dass sie zum Schutz des afghanischen Volks im Land sei. "Es ist mir sehr wichtig, dass wir das wahr machen", sagte McChrystal. Der General war zum Ort des Angriffes gereist, um sich selbst ein Bild der Lage zu machen.

Nach allem, was er vor Ort und im Krankenhaus gesehen habe, sei es eindeutig, dass auch Zivilpersonen zu Schaden gekommen seien. Ob Zivilpersonen getötet wurden, sagte er nicht.

Auf die Frage, ob der Vorfall von der Internationalen Schutztruppe (ISAF) untersucht werde, sagte McChrystal: "Es wird eine Untersuchung geben. Meine Einschätzung ist, dass es eine Isaf-Untersuchung geben wird, und möglicherweise werden auch andere Nachforschungen anstellen."

Verteidigungsminister Franz Josef Jung (CDU) hat die Vorwürfe, dass Zivilpersonen umgekommen seien, zurückgewiesen. Er betonte, nach bisherigen Erkenntnissen seien "ausschließlich terroristische Taliban getötet worden".

Die Bundeswehr spricht von mehr als 50 getöteten Aufständischen. Der afghanische Präsident Hamid Karsai teilte mit, es seien "rund 90 Menschen getötet oder verletzt" worden. Dorfbewohner sprechen von bis zu 150 Toten.

Nach afghanischen Quellen gibt es auch zivile Opfer. Stammesälteste des Dorfes Omarchel sprachen von bis zu 150 Zivilisten, die getötet worden seien. Ein Mitarbeiter der Deutschen Presse-Agentur dpa, der am Samstag zwei der Dörfer im Distrikt Char Darah besuchte, zählte dort 60 frische Gräber.

Ein Sprecher des Einsatzführungskommandos warb um Verständnis, dass die Aufklärung Zeit brauche. "Das wird minutiös aufgearbeitet."

Die Staatsanwaltschaft Potsdam prüft, ob ein Ermittlungsverfahren gegen den für den Luftangriff verantwortlichen deutschen Kommandeur eingeleitet werden muss. Der Leitende Oberstaatsanwalt Heinrich Junker, sagte der Bild am Sonntag: "Wir prüfen einen Anfangsverdacht wegen eines eventuellen Tötungsdeliktes gegen den deutschen Oberst, der diesen Luftangriff befohlen beziehungsweise angefordert hat."

Der Kommandeur des Bundeswehr-Lagers in Kundus, Oberst Georg Klein, hatte am Freitag beim Hauptquartier der internationalen Schutztruppe Isaf Luftunterstützung angefordert, nachdem die Taliban zwei Tanklastzüge entführt hatten. Er befahl auch den Angriff.

Gegenangriffe der Taliban

Die Taliban setzten ihre Angriffe auf die Bundeswehr am Samstag fort: Bei einem Anschlag wurden fünf deutsche Soldaten und ein afghanischer Dolmetscher verletzt.

Nach Angaben des Einsatzführungskommandos in Potsdam ereignete sich der neue Zwischenfall am Samstag um 9.50 Uhr Ortszeit etwa drei Kilometer nordöstlich von Kundus. Nach afghanischer Darstellung hatte sich ein Selbstmordattentäter mit seinem Auto in die Luft gesprengt.

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Die Bundeswehr muss sich nach dem verheerenden Luftangriff auf zwei Tankwagen Kritik gefallen lassen. Die Europäische Union (EU) sprach von einer "Tragödie", Frankreichs Außenminister Bernard Kouchner von einem "großen Fehler".

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Der schwedische Außenminister Carl Bildt sagte für die EU- Ratspräsidentschaft in Stockholm zu dem Bombenangriff: "Wir gewinnen diesen Krieg nicht, indem wir töten. Luxemburgs Außenminister Jean Asselborn kritisierte: "Ich verstehe nicht, dass Bomben so einfach und so schnell abgeworfen werden können. Wenn nur ein Zivilist unter den Opfern sei, "ist diese Aktion eine Aktion, die nicht hätte stattfinden dürfen." Spaniens Ministerpräsident José Luis Rodríguez Zapatero bezeichnete den Angriff als "nicht hinnehmbar".

Der deutsche Verteidigungsminister rechtfertigte den Angriff. Die Taliban hätten vor der Bundestagswahl mit Anschlägen gedroht, sagte Jung der ARD. "Deshalb war es eine sehr konkrete Gefahrenlage, wenn die Taliban in den Besitz von zwei Tanklastwagen gekommen sind, die eine erhebliche Gefahr für unsere Soldaten bedeutet haben."

Schützenhilfe erhielt Jung vom Vorsitzenden des Bundeswehrverbandes, Ulrich Kirsch. "So viel Treibstoff ist in der Hand von Terroristen eine gefährliche Waffe, da musste der Kommandeur handeln", sagte er der B.Z. am Sonntag.

Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) forderte in der Bild am Sonntag restlose Aufklärung. "Gegen verbrecherische Terroristen muss entschieden vorgegangen werden. Gleichzeitig müssen wir aber alles tun, um unschuldige zivile Opfer zu vermeiden."

Der FDP-Verteidigungsexperte Jürgen Koppelin verlangte eine ehrliche Debatte über den deutschen Afghanistan-Einsatz. Es handele sich um einen Krieg.

Linken-Fraktionschef Gregor Gysi kritisierte die Informationspolitik: "Während in Afghanistan die toten und verletzten Zivilisten betrauert werden, versucht sich die Bundeswehrführung und das Verteidigungsministerium weiter im Verschleiern."

In der Nähe des Ortes der Luftangriffe ist ein westlicher Journalist entführt worden. Der Journalist, der für die New York Times arbeiten soll, sei in dem Dorf Omarchel gewesen, um mit den Bewohnern über den Luftangriff und die Opfer zu sprechen als er von Taliban entführt wurde, sagte Provinzgouverneur Mohammed Omar.

Der Reporter und sein afghanischer Dolmetscher seien von den Taliban an einen unbekannten Ort verschleppt worden. Nach Angaben eines Sprechers der radikal- islamischen Aufständischen handelt es sich bei dem Journalisten um einen Briten.

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