Nach dem Nato-Luftangriff:Die afghanische Zäsur

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Die Luftangriffe der Nato haben die Diskussion um den Afghanistan-Einsatz der Bundeswehr verschärft. Die Regierung muss nun eine Entscheidung über ihre Strategie treffen - trotz und wegen des Wahlkampfs.

Stefan Kornelius

Jeder Krieg produziert ein Bild, in dem sich das Drama des Konflikts spiegelt, und das für eine Zäsur steht. Im Kosovo war es die Bombardierung der chinesischen Botschaft, im Irak der immer wiederkehrende Feuerball, der nach einer Bombenexplosion am Straßenrand emporstieg. In Afghanistan sind es die Luftangriffe, die Taliban-Kämpfer treffen sollen aber auch Zivilisten töten, weil es in der Natur eines Guerilla-Krieges liegt, dass die Kombattanten den Tod von Zivilisten billigend in Kauf nehmen.

Symbol für die Diskussion um den Afghanistan-Einsatz: Der verkohlte Tankwagen. (Foto: Foto: AP)

In Afghanistan hat die internationale Truppe genug schlechte Erfahrung gesammelt mit diesem Phänomen, und dennoch hat es viele Jahre gedauert, bis die neue Luftschlag-Doktrin des Kommandeurs erlassen wurde. Sie gibt klar vor, dass im Zweifel nicht aus der Luft bombardiert werden soll, und dass der Schutz der Zivilisten Vorrang hat. Warum der deutsche Befehlshaber in Kundus dennoch den Beschuss zweier Tanklastzüge befahl, bleibt so lange ein Rätsel, bis es genügend Informationen gibt. Der Darstellung der Bundeswehr - die Lastzüge sollten als rollende Bomben eingesetzt werden - muss ebenso geglaubt werden wie der Behauptung, die Fahrzeuge seien längst im Morast steckengeblieben und Zivilisten hätten Treibstoff abgezapft. Ähnliche Erfahrungen im US-Befehlsbereich lehren, dass meist beide Versionen ihre Berechtigung hatten. Die Erfahrung lehrt aber auch, dass es nun ein Symbol gibt für den afghanischen Krieg. Eine Zäsur steht bevor.

Die Nato und die UN haben schon vor Monaten die Praxis eingeführt, eine unabhängige Kommission mit der Aufklärung solcher Bombardements zu betrauen. Die Ergebnisse werden öffentlich gemacht, weil nur so das Vertrauen gehalten werde kann. Umso verwunderlicher ist es, wie schnell sich nun ein Urteil gebildet hat: Vom Kommandeur der Isaf-Truppe bis hin zu einer ganzen Reihe europäischer Außenminister richten sich scharfe Vorwürfe gegen die Bundeswehr.

Das ist nicht nur außergewöhnlich und unsolidarisch, sondern auch gefährlich: Wenn die Verbündeten dem deutschen Verteidigungsminister die Glaubwürdigkeit absprechen, wozu dann eine Untersuchung? Gründe für diesen harschen Ton gibt es viele: Der Isaf-Kommandeur muss um seine Glaubwürdigkeit fürchten, wenige Wochen nach seinem Strategiewechsel. Bei den Verbündeten herrscht eine Grundverbitterung über die deutsche Politik, die zwar das drittgrößte Truppenkontingent entsandt hat, aber sonst durch gute Ratschläge und mangelnde Taten auffällt.

Nun hat diese Einsatznation, die immer alles besser wusste und das militärische Gedröhne der Truppensteller im Süden kritisierte, den Luftschlag mit der möglicherweise höchsten Zahl an Toten zu verantworten. Besonders empört war der EU-Außenbeauftragte Solana - vielleicht aber auch nur, weil er im deutschen Außenminister einen Konkurrenten für den Sessel des EU-Chefdiplomaten wittert?

In Deutschland wollte die große Koalition den Einsatz aus dem Wahlkampf heraushalten, so wie sie über Jahre diese wichtigste Militärmission des Landes keiner breiten öffentlichen Debatte unterworfen hat. Der Norden stand immer für den "guten Aufbau-Einsatz" der Deutschen, während im Süden die harten Jungs aus den USA mit zweifelhaften Methoden Krieg führten. Dieses Konstrukt brach im Frühjahr zusammen, als die Bundeswehr immer wieder in Gefechte verwickelt wurde und Tote zu beklagen hatte. Plötzlich wurden die Einsatzregeln geändert, der Ton verschärft. Ob nun SPD-Außenminister oder CDU-Kanzlerin: Allen Akteuren war klar geworden, dass sie den deutschen Selbstbetrug auflösen und auch das Publikum zu Hause an die harte Realität Afghanistans gewöhnen mussten. Aber: Bitteschön nicht vor der Bundestagswahl. Die Mehrheit der Deutschen unterstützt den Einsatz nicht. Gegen diese Stimmung lässt sich schlecht Wahlkampf führen.

Die Ironie will es, dass nun nicht die Taliban das Thema in den Wahlkampf eingeführt haben, zumindest nicht direkt. Es war der Befehl eines deutschen Kommandeurs, der schlagartig den Einsatz in den Mittelpunkt der Wahldebatte rückte.

Dort muss er nun diskutiert werden, ob es passt oder nicht. Zwei wichtige Entscheidungen zeichnen sich ab, über die nach der Wahl verhandelt werden wird: Erstens wird die internationale Gemeinschaft mehr Soldaten und vor allem mehr zivile Aufbauhelfer nach Afghanistan entsenden. Landwirtschaftsberater, Polizeiausbilder, Verwaltungsfachleute, Ärzte. Die US-Regierung diskutiert diese nach dem irakischen Vorbild modellierte Aufstockung ("surge") seit einer Woche. Wird sich die nächste Bundesregierung daran beteiligen? Zweitens wird die internationale Gemeinschaft der afghanischen Regierung ein Ultimatum setzen müssen. Präsident Karsai muss sich entscheiden, auf welcher Seite er spielt, und ob er es ernst meint mit dem Staatsaufbau. Wird auch die nächste Bundesregierung den Druck auf Karsai ausüben und ein Ultimatum stellen?

Zwei Tanklastzüge, viele Tote, ein tragisches Ereignis - und zwei Fragen. Das afghanische Drama hat allen Anspruch darauf, ohne schrille Obertöne auch im deutschen Wahlkampf eine wichtige Rolle zu spielen.

© SZ vom 07.09.2009 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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