Nach dem Bundestagsbeschluss zur Euro-Rettung:Da denkt Ihr besser noch mal drüber nach!

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Nach der EFSF-Abstimmung ist vor der ESM-Abstimmung. Besser, wenn da einige noch mal kurz zurückblicken, und aus ihren Fehlern lernen. Wir zeigen, wo das dringend angebracht wäre. Die fünf wichtigsten Lehren für Kanzlerin und Co. aus der Debatte um die Euro-Rettungs-Debatte.

Thorsten Denkler, Berlin

Lehre eins: Erkläre deine Politik!

Besser spät als nie: Kanzlerin Angela Merkel geht in die Talkshow von Günther Jauch, um den Deutschen die Euro-Rettung zu erklären. (Foto: dapd)

Irgendwie dachte Kanzlerin Angela Merkel wohl, sie könne einfach ein bisschen vor sich hin entscheiden, die Leute würden ihr schon folgen. Schließlich ist sie die Kanzlerin. Das ging gehörig schief. Selbst wenn Merkel verstanden hat, um was es genau in diesem ganzen Euro-Rettungs-Drama geht, mitgeteilt hat sie ihre Erkenntnisse nur selten, und schon gar nicht in verständlicher Form. Erst als sie merkte, dass ihre Mehrheit im Bundestag tatsächlich in Gefahr sein könnte, fing sie an zu reden - und zwar nicht nur in langatmigen Regierungserklärungen.

Auf Regionalkonferenzen wirbt sie für ihre Politik, um die Parteibasis zu beruhigen. Sie gibt vermehrt Interviews im Radio und in Tagesszeitungen. Und besuchte zuletzt sogar eine Talkshow, was sie seit Jahren nicht mehr für nötig befunden hatte. Plötzlich trainierte sich die sonst eher spröde Physikerin so etwas wie Leidenschaft an. "Scheitert der Euro, scheitert Europa", ist ihre wichtigste Botschaft. Die hatte Wirkung. Vor Wochen noch hätten einige darauf gewettet, das Merkel bei der Euro-Abstimmung im Bundestag ihre eigene Mehrheit verfehlen würde. Jetzt konnte sie sogar eine Kanzlermehrheit vorweisen.

Wenn sie so weitermacht ist nicht ausgeschlossen, dass auch die Bürger wieder mehr Vertrauen in ihre Bundeskanzlerin fassen.

So richtig weiß ja im Moment keiner, was der FDP noch helfen kann. Aber wenn sie etwas aus den vergangenen Wochen lernen kann, dann dies: Geh nicht mit Anti-Europa-Parolen in den Wahlkampf. Schon gar nicht dann, wenn jedem klar ist, dass damit nur die letzte Landtagswahl des Jahres noch irgendwie gewuppt werden soll. Versucht hat das die FDP in Berlin, sekundiert vom neuen Parteichef Philipp Rösler, der auf den letzten Drücker noch öffentlich eine Insolvenz Griechenlands zur denkverbotsfreien Zone erklärte.

Neue FDP, neue Fehler: Die Anti-Europa-Strategie von Parteichef Rösler vor der Berliner Abgeordnetenhauswahl zahlt sich nicht aus. (Foto: dapd)

Die FDP hat mit dieser Strategie 1,8 Prozent gewonnen. Verloren hat sie das wichtigste Gut von Parteien: Vertrauen und Ansehen (Wenn es da für die FDP überhaupt noch etwas zu verlieren gab).

Gut, die Länge einer Rede entscheidet nicht unbedingt über ihre Qualität. Was sich aber FDP-Chef Philipp Rösler in der Euro-Debatte dachte, als er für geschlagene vier Minuten ans Pult trat um im Grunde nichts Wesentliches zur Diskussion beizusteuern, das wird wohl sein Geheimnis bleiben. Doch, ein paar Sätze bleiben in Erinnerung. Dieser etwa: "Die Menschen haben längst das Vertrauen verloren." Die Reaktion der Opposition hätte sich Rösler auch denken können. "Ja, in Euch!", schallt es ihm aus der SPD entgegen.

Das ist das Problem: Die Menschen haben längst das Vertrauen verloren. Wenig glaubwürdig klingt auch der Satz: "Jeder, der proeuropäisch denkt und fühlt, muss alles dafür tun, die Akzeptanz Europas zu erhöhen." Genau das Gegenteil hat Rösler mit seinem Gerede von einer Insolvenz Griechenlands erreicht. Motto: kein deutsches Steuergeld für die Pleitegriechen.

Geschadet hat ihm dieser halbherzige Auftritt auch, weil vor ihm schon das alte liberale Schlachtross, FDP-Fraktionschef Rainer Brüderle, gesprochen hat. Der hat immerhin etwas Stimmung ins Plenum gebracht, dass sogar Linken-Fraktionschef Gregor Gysi lobte: "Ihnen höre ich immer gerne zu."

Rösler sollte wissen, dass er mit seiner eher zurückhaltenden Art entweder alleine für die FDP spricht oder es gleich lässt. Nicht Brüderle hat ihm die Show gestohlen, Rösler hat gar nicht erst versucht, Eindruck zu hinterlassen. Weder inhaltlich, weil er ein paar neue und kluge Gedanken gehabt hätte, noch in der Art seines Auftritts. Als Parteichef, Vizekanzler und Wirtschaftsminister kann er sich das nicht erlauben.

Peer Steinbrück mangelndes Selbstvertrauen zu unterstellen, ist ähnlich unklug, wie der Faust von Vitali Klitschko fehlende Durchschlagskraft zu attestierten. Doch auch Klitschko hat schon Boxkämpfe verloren. Und so ging in der Bundestagsdebatte zum Euro am Donnerstag Steinbrück sang und klanglos unter. Wer hier eine kraftstrotzende Arbeitsprobe für eine mögliche Kanzlerkandidatur des SPD-Mannes erwartet hatte, der wurde enttäuscht.

Eine Spur zu staatstragend fabulierte er von einer "Neuerzählung" der europäischen Geschichte, statt mal klar die sozialdemokratische Position in der Euro-Rettung zu bestimmen. Irritierender aber war, wie sich der ehemalige Finanzminister und Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen von den Zwischenrufen aus den Koalitionsfraktionen hat beeindrucken lassen.

Wie ein Professor, der es nicht gewohnt ist, unterbrochen zu werden, stockte er mehrfach in seiner Rede. Einmal sogar mit den Worten: "Ich will mich davon nicht ablenken lassen." Was damit natürlich schon geschehen ist. Ein andermal wundert er sich: "Sind Sie nicht in der Lage, einem solchen Redebeitrag einigermaßen ruhig zu folgen?" Was einigermaßen anmaßend klingt. Kürzlich erst wurde Steinbrück von Wolfgang Schäuble wegen schlechter Manieren gerüffelt, weil der ihn ständig unterbrochen hatte.

Sollte Steinbrück Kanzlerkandidat werden, bekommt er es mit einer inzwischen recht abgebrühten Angela Merkel zu tun. Die bringt so schnell nichts mehr aus der Ruhe. Dass sie jedenfalls so angefasst auf Zwischenrufe reagiert hätte, ist bei ihr seit Jahren nicht mehr beobachtet worden. Aber Steinbrück kann ja noch dazulernen. Klitschko hat es am Ende zum Weltmeister gebracht.

Seit Herbert Wehners Zeiten gilt unter Demokraten dieser Leitsatz: Mehrheit ist Mehrheit. Seit Angela Merkel muss das differenzierter gesehen werden. Über Wochen haben sie und ihr parlamentarischer Wachhund Peter Altmaier den Eindruck erweckt, in der Euro-Frage reiche eine einfache Mehrheit, also: Hauptsache mehr Ja-Stimmen als Nein-Stimmen.

Formal ist das richtig. Ein einfaches Gesetz braucht eben nur die einfache Mehrheit. So gesehen hätte es gereicht, wenn im Bundestag zwei Abgeordnete von Union und FDP für den Euro-Rettungsschirm EFSF gestimmt hätten, ein Oppositionspolitiker dagegen und alle anderen sich enthalten hätten oder gar nicht erst erschienen wären.

Doch das Euro-Rettungsgesetz ist nur formal ein einfaches Gesetz. Politisch ist es ein Gesetz mit unabsehbaren Folgen für das Land. Deutschland haftet mit 211 Milliarden Euro für Kredite, die an Pleitestaaten wie Griechenland gezahlt werden. Die Summe entspricht zwei Drittel des Bundeshaushaltes. Wenn die Nummer schiefgeht, dann ist Deutschland pleite. Die Kanzlermehrheit ist da wohl das mindeste, was eine Bundesregierung aufbringen muss, um so ein Gesetz überzeugend durchzubringen. Heißt: Eine Stimme mehr als die Hälfte der Mitglieder des Bundestags, in diesem Fall 311 Ja-Stimmen.

Es wurden dann 315 Ja-Stimmen. Besser noch hätte Merkel nur dagestanden, wenn sie dieses Ziel von Anfang an ausgegeben hätte. Sie hätte damit den Ernst der Lage deutlich und Führungsstärke sichtbar machen können. Jetzt wirkt es ein wenig wie: Gerade noch Glück gehabt. Merkel wird aber noch genug Gelegenheiten bekommen, sich unter Beweis zu stellen. Im Januar soll über den EFSF-Nachfolger ESM entschieden werden, den dauerhaften Europäischen Stabilitätsmechanismus. Da geht es um ähnlich viel Geld. Und wohl um ähnliche Mehrheiten im Bundestag.

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