Nach dem Amoklauf in Afghanistan:"Die Toleranzgrenze ist erreicht"

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Nach der Bluttat eines US-Soldaten greifen Aufständische eine afghanische Regierungsdelegation an, Studenten fordern bei einer Demonstration den Tod von Obama, die Taliban drohen mit Vergeltungsschlägen. Die US-Regierung ringt noch um eine angemessene Reaktion - und erwägt Medienberichten zufolge, ihre Strategie zu ändern.

Melanie Staudinger

Gut zwei Tage ist es nun her, dass ein US-Soldat in Afghanistan 16 Menschen erschossen hat. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) hat das Land längst wieder verlassen. In der ostafghanischen Stadt Dschalalabad demonstrieren Hunderte Studenten. Wütend schreien sie Parolen wie "Tod für Amerika" oder "Tod für Obama", wie Augenzeugen der Nachrichtenagentur dpa berichten. Und sie verbrennen Strohpuppen. Es bleibt aber friedlich, was in Afghanistan vor allem bedeutet, dass es zumindest keine Toten gibt. Doch an anderen Orten eskaliert die Lage.

Im Süden des Landes wird fast gleichzeitig zum Protestmarsch eine hochrangige afghanische Regierungsdelegation angegriffen. Präsident Hamid Karsai hatte sie in den Distrikt Panjwai (Pandschwai) geschickt. Sie sollten dort das Massaker an 16 Zivilisten untersuchen, das ein US-Soldat am Sonntag begangen haben soll. Aufständische beschossen die Delegierten, unter ihnen zwei Brüder des Präsidenten, den Stabschef der afghanischen Armee sowie den Gouverneur und den Polizeichef der Provinz Kandahar.

Mindestens ein afghanischer Soldat soll getötet worden sein, schreibt die afghanische Nachrichtenagentur PAN. Ein örtlicher Journalist, der die Szene beobachtet hat, sagt: "Es war ein wahrer Kugelhagel." Die Taliban hatten zuvor bereits Rache für jedes einzelne Opfer des Amoklaufs angekündigt. Taliban-Sprecher Sabihullah Mudschahid warnte in einer E-Mail "die amerikanischen Tiere, dass die Mudschahedin Rache üben und mit Allahs Hilfe eure sadistischen mörderischen Soldaten töten und enthaupten werden".

Nach dem Attentat spitzt sich die ohnehin schon angespannte Situation zwischen der afghanischen Bevölkerung und amerikanischen Militärs weiter zu. Die Wut auf die US-Soldaten wächst, die mittlerweile mehr als Besatzer denn Beschützer wahrgenommen würden, wie die französische Zeitung La Croix kommentiert.

Auch das Parlament in Kabul warnte die internationalen Soldaten scharf. "Die Toleranzgrenze des afghanischen Volkes ist erreicht", hieß es am Montag in einer Mitteilung des Unterhauses.

Früherer Abzug als geplant?

Hinter den Kulissen diskutiert die Obama-Regierung bereits Alternativen. Wie die New York Times unter Berufung auf Informationen aus dem Weißen Haus, dem Pentagon und dem Außenministerium berichtet, gibt es innerhalb der US-Regierung Überlegungen, den Abzug aus Afghanistan zumindest von Teilen der dort stationierten Truppen zu beschleunigen. Die Pläne würden, so das Blatt, allerdings schon seit Wochen im Weißen Haus diskutiert. Dies deutet darauf hin, dass sie in keinem direkten Zusammenhang zu den jüngsten Koranverbrennungen und dem Massaker stehen. Noch am Montag betonte US-Regierungssprecher Jay Carney, dass der Amoklauf nichts an den Abzugsplänen der Vereinigten Staaten ändere. Die USA wollten bis Ende 2014 ihre Soldaten nach Hause holen. Dieses Datum ist für alle Isaf-Kampftruppen vereinbart worden.

US-Präsident Obama sagte in einem TV-Interview, die Tat bestärke ihn in seiner Entschlossenheit, die US-Soldaten aus Afghanistan herauszubringen. Der Abzug dürfe jedoch nicht überhastet vollzogen werden. Nach der Tötung von Al-Qaida-Chef Osama bin Laden sei die Extremistenorganisation geschwächt. "Wir sind in einer stärkeren Position für den Übergang, als wir es vor drei oder vier Jahren gewesen wären", erklärte Obama.

Nach Informationen der New York Times könnten aber bereits im kommenden Jahr 20.000 Soldaten mehr als ursprünglich geplant abgezogen werden. Momentan sind 90.000 amerikanische Soldaten in Afghanistan stationiert, 22.000 von ihnen sollen bereits im September zurück in die USA fliegen. Bisher gibt es laut der New York Times keinen genauen Zeitplan, bis wann die restlichen 68.000 Soldaten abgezogen werden sollen. Präsident Obama sprach stets von einem gleichmäßigen Truppenabbau bis Ende 2014.

Gegen einen beschleunigten Abzug regt sich dem Bericht zufolge vor allem in Militärkreisen Widerstand. Die Kommandeure sähen es am liebsten, wenn die Einheiten so lange wie möglich in Afghanistan blieben. Am Ziel, mehr und mehr Verantwortung für die Sicherheit an afghanische Behörden zu übergeben, soll nicht gerüttelt werden.

Auch Bundeskanzlerin Merkel (CDU) sorgte am Montag kurzzeitig für Verwirrung, was die Abzugspläne anbelangt. Bei einem Besuch bei der Bundeswehr in Masar-i-Scharif zeigte sie sich skeptisch, ob der international vereinbarte Abzugstermin der Isaf-Truppen bis Ende 2014 zu halten sei. Später jedoch stellte sie klar, dass das Datum feststehe. "Wir sind schon jetzt in der Phase der Übergabe in Verantwortung", sagte sie.

Mit Material von dpa, dapd und AFP.

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