Nach Amoklauf in Afghanistan:Regierungsdelegation am Ort des Massakers beschossen

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Nach dem Massaker eines US-Scharfschützen an Frauen und Kindern nehmen die Spannungen in Afghanistan zu: Die Taliban haben Rache geschworen, eine Regierungsdelegation wurde am Tatort beschossen. Dem Täter, der jede Aussage verweigert, droht derweil die Todesstrafe.

Nach dem Amoklauf eines US-Soldaten in Afghanistan fürchten die Nato-Truppen Vergeltungsschläge. Die BBC berichtet von einem Angriff auf eine afghanische Regierungsdelegation, die den Ort der Bluttat besuchte. Über die näheren Umstände, auch Opferzahlen, ist bislang nichts bekannt. Die Delegation soll aber von mehreren Seiten beschossen worden sein. Ihr gehörten zwei Brüder von Präsident Hamid Karsai, der Stabschef der afghanischen Armee sowie der Gouverneur der Provinz Kandahar an. Sicherheitskräfte erwiderten das Feuer.

Proteste in Dschalalabad: Nach dem Amoklauf eines US-Soldaten ist die Lage in Afghanistan immer angespannter. (Foto: AFP)

Die Taliban haben zudem mit der Enthauptung von US-Soldaten gedroht, nachdem der US-Scharfschütze in der südafghanischen Provinz Kandahar 16 Dorfbewohner in ihren Häusern getötet hatte - in der Mehrzahl Frauen und Kinder. Die Taliban warnten in einer Erklärung an "die amerikanischen Tiere, dass die Mudschahedin Rache üben, und mit Allahs Hilfe eure sadistischen mörderischen Soldaten töten und enthaupten werden". Das Schreiben wurde per Mail verbreitet und von einem Taliban-Sprecher unterzeichnet.

Der Amoklauf hat die ohnehin angespannten Beziehungen zwischen Afghanen und den USA deutlich verschlechtert - bei ersten Protesten am Dienstag versammelten sich bereits Hunderte Studenten in der Stadt Dschalalabad im Osten des Landes und riefen US-feindliche Parolen.

Amokläufer war ausgebildeter Scharfschütze

Präsident Hamid Karsai bezeichnete die Tat als "unverzeihlich", das Parlament in Kabul forderte die US-Regierung auf, den "Schuldigen in einem öffentlichen Verfahren vor dem afghanischen Volk" den Prozess zu machen. Stammesführer in Kandahar riefen ausdrücklich zum Gewaltverzicht auf, Washington warnte vor gewaltsamen Protesten in Afghanistan. Das Blutbad sei geeignet, "Zorn und Emotionen an einem Ort anzufachen, an dem die Spannungen bereits beträchtlich sind", sagte der Sprecher des State Department, Mark Toner. Außenministerin Hillary Clinton versprach in New York, ihre Regierung werde alles tun, den Soldaten, der am Wochenende 16 Zivilisten getötet hatte, zur Verantwortung zu ziehen. "Es ist furchtbar. Grauenhaft. Ich kann mir die Trauer der Familien nicht einmal vorstellen."

Erstmals wurden Einzelheiten über den Amokläufer bekannt. Nach Angaben des Pentagon war der 38-jährige Staff Sergeant - das entspricht im Dienstgrad einem deutschen Feld- beziehungsweise Oberfeldwebel - erstmals in Afghanistan, zuvor hatte er drei Einsätze im Irak absolviert. Dort habe der ausgebildete Scharfschütze sich bei einem Verkehrsunfall ein Schädel-Hirn-Trauma zugezogen, sagte ein Pentagon-Vertreter der Nachrichtenagentur AFP. Der Festgenommene verweigere die Aussage, hieß es in amerikanischen Medienberichten.

Afghanistan-Strategie bleibt bestehen

Trotz des Amoklaufs wollen die USA an ihrer Afghanistan-Strategie offenbar festhalten. "Wir können nicht zulassen, dass diese Ereignisse unsere Strategie oder Mission untergraben", sagte US-Verteidigungsminister Leon Panetta am Montag auf einem Flug nach Kirgisistan. Präsident Obama warnte vor einem überstürzten Abzug der US-Truppen aus Afghanistan. Der Abzug der US-Truppen müsse auf "verantwortungsvolle Art und Weise" erfolgen, um zu verhindern, "dass wir am Ende wieder zurückkehren müssen", sagte der US-Präsident dem CBS-Ableger KDKA. Auf keinen Fall dürfe es ein blindes "Rennen zu den Ausgängen" geben, sagte er weiter. Die Afghanen müssten zuvor in der Lage sein, ihre Grenzen selbst zu verteidigen und eine Rückkehr von al-Qaida zu verhindern. Gleichzeitig aber müsse sichergestellt werden, "dass wir nicht länger in Afghanistan bleiben als wir müssen", fügte Obama im Sender KCNC hinzu.

Das Pentagon geht bei dem Massenmord derzeit weiterhin von einem allein handelnden Täter aus. Dieser werde sich vor einem Militär-Tribunal verantworten und müsse im Fall eines Schuldspruchs mit der Todesstrafe rechnen, sagte Verteidigungsminister Panetta: "Nach meinem Verständnis könnte dies unter diesen Umständen in Betracht kommen." Er warnte, dass es im Krieg immer wieder derartige Vorfälle gebe: "Krieg ist die Hölle", sagte er. Umso wichtiger sei es, "dass wir diesen Krieg zu einem verantwortlichen Ende bringen".

Kanzlerin Angela Merkel hatte bei einem Truppenbesuch am Hindukusch bekräftigt, dass auch die deutschen Soldaten wie geplant bis 2014 in Afghanistan bleiben. Sie sind wie alle Nato-Soldaten in einem Gebiet stationiert, in dem die Spannungen weiter zunehmen.

© Reuters/AFP/dpa/grc - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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