Münchner Neueste Nachrichten vom 13. Juli 1914:Experten warnen vor Hunger durch Krieg

Lesezeit: 3 min

Titelseite der Münchner Neuesten Nachrichten vom 13. Juli 1914 (Abendausgabe) (Foto: N/A)

Aus Wien wird von einer seltsamen Richtigstellung und einem schaurigen Mord berichtet. Bayerns König verschenkt seine eigenen Bilder - und in Leipzig wird diskutiert, ob die Lebensmittelversorgung stockt, falls es Krieg gibt. Was vor 100 Jahren in der Zeitung stand.

Von Oliver Das Gupta

SZ.de dokumentiert, wie die Münchner Neuesten Nachrichten vor 100 Jahren über den Weg in den Ersten Weltkrieg berichtet haben. Die Tageszeitung war die Vorgängerin der Süddeutschen Zeitung.

Fasching und Schmerz heißen die Personen in einem Mordfall, über den die Morgenausgabe am 13. Juli 1914 informiert. Aus der Donau wurde zwei Tage zuvor ein Sack mit grausigem Inhalt gefischt: Ein Frauentorso, dem Kopf, Arme und Beine fehlten. Die Polizei der kaiserlichen Hauptstadt konnte schon am Folgetag die Identität der Toten feststellen: Es handele sich um eine 70 Jahre alte Bettlerin namens Schmerz (der Vorname bleibt ungenannt), der Tatverdächtige sei der "Friedhofsaufseher Fasching", der bereits ein Geständnis abgelegt habe.

Die Polizei glaubt, dass es sich um einen Raubmord handelt, denn bei dem mutmaßlichen Täter seien 140 Kronen gefunden worden, deren Herkunft Fasching nicht erklären könne. Er schildert die Tat anders: Er habe sie getötet "aus Zorn darüber, weil sie ihn wiederholt angebettelt habe".

Ausbruch des Ersten Weltkrieges 1914
:Als die Welt brannte

Vor 100 Jahren begann der Erste Weltkrieg, der das alte Europa einstürzen ließ. Dem Gemetzel ging das Machtgerangel auf dem Balkan voraus. Jenseits der Großreiche von Kaiser, Zar und Sultan konkurrierten dort junge Nationalstaaten. Kein Wunder, dass sich ein Krieg entzündete - ausgelöst durch die Schüsse auf den österreichischen Thronfolger.

Von Kurt Kister, Wien

Aus Wien kommt auch eine andere Schlagzeile, die weniger blutig klingt und doch mit zum großen Gemetzel gehört, das wenige Wochen später beginnen sollte. Es ist ein Dementi, das mit dem Mord an Österreichs Thronfolger in Sarajevo zu tun hat und "in vollster Bestimmtheit" von der Führung der Doppel-Monarchie verkündet wird.

Es sei unwahr, dass der österreichische Gesandte in Belgrad "Instruktionen zur Durchführung eines diplomatischen Schrittes" gegenüber der serbischen Führung erhalten habe. Der Gesandte Baron Giesl ( der es schon am Vortag wegen eines tragischen Todesfalls in die Zeitung schaffte) habe "keinen derartigen Auftrag erhalten", versichert Wien.

Auch 100 Jahre später liest sich das Dementi zu dick aufgetragen, als dass die Causa völlig aus der Luft gegriffen ist. Vor allem mussten sich die Zeitungsleser damals fragen: Warum ist es Österreich-Ungarn so wichtig, ob der Botschafter nun schon instruiert wurde oder nicht? Ist dieses kolportierte Detail so wichtig?

Ermordung von Franz Ferdinand
:Diese Schüsse lösten den Ersten Weltkrieg aus

Der Verbrechen folgte der Weltenbrand: 1914 starben Österreichs Thronfolger Franz Ferdinand und seine Frau Sophie in Sarajevo durch Pistolenschüsse. Historische Fotos einer verhängnisvollen Reise.

Ja, ist es, wie sich herausstellen sollte. Damals hat Wien die Entscheidung für einen Militärschlag gegen Serbien längst gefällt. Und auch den Weg zur Eskalation, der sich eben hinter den dementierten "Instruktionen" verbirgt: Serbien soll ein scharfes, unverschämt wirkendes Ultimatum gestellt werden, dessen Annahme für einen Staat inakzeptabel ist. Wenn die Forderungen abgelehnt würden, wäre das ein Grund, gegen Serbien militärisch vorzugehen, so lautete das Kalkül der Österreicher. Und genauso sollte es keine zwei Wochen später kommen.

Doch nun galt es zunächst, dem Ultimatum den Feinschliff zu verpassen. Das sollte ein großer Ministerrat übernehmen, dessen Sitzung in der Zeitung am 13. Juli 1914 "in der nächsten Woche" angekündigt wird. Das Treffen sollte schon am Folgetag stattfinden.

Pomadige Befehlshaber
:So kurios verloren Österreichs Feldherren wichtige Schlachten

Übermut, Naivität, Missverständnisse: Sachbuchautor Hans-Dieter Otto darüber, wie skurril Österreichs Militär immer wieder wichtige Schlachten verpatzte.

Interview von Oliver Das Gupta

Ansonsten wurde in der Zeitung vor 100 Jahren über einen (mit deutscher Hilfe) neu fertiggestellten Abschnitt der Bagdad-Bahn berichtet. Ein anderer Text beschäftigt sich mit dem britischen Außenminister Edward Grey und seine Gedanken zu Rüstung und Rüstungsbeschränkung.

Aus Bayern gibt es Beschauliches zu berichten: In Starnberg säumen zahlreiche Schaulustige das Ufer, um die Ruderregatta zu verfolgen. An der (noch heute bestehenden) Promenade am Dampfersteg sei eine regelrechte "Menschenmauer" entstanden. Das Abendblatt berichtet von der "schönen Sitte der freireligiösen Gemeinde" und meint damit die "Jugendweihe".

Der König verschenkt sein Bild, der Kaiser geht spazieren

Bayerns König Ludwig III. weilt im mittelfränkischen Ansbach und ehrt den Stadtpfarrer mit einem persönlichen Geschenk: "sein Bildnis". Der deutsche Kaiser Wilhelm II. hat am Vortag im Rahmen seiner Nordlandfahrt in Balholmen angelegt, und das bei "herrlichem Wetter". Seine Majestät unternahm einen längeren Spaziergang, wird auf Seite eins vermerkt.

Ob der Kaiser von der Versammlung des Lebensmittelverbandes in Leipzig erfuhr? Dort wurde eine Resolution verabschiedet, in der die Reichsregierung und andere Stellen aufgefordert werden, im Mobilmachungs- und Kriegsfall die Versorgung von Städten mit Nahrung sicherzustellen. Denn das ist offenbar noch nicht der Fall im Juli 1914: "Im Fall eines Krieges würde durch die Beschlagnahme" der Eisenbahnen durch das Miltär der Verkehr "ins Stocken geraten", heißt es - mit schlimmen Folgen: die Städte wären unterversorgt, was den "Ausbruch einer Hungersnot" zur Folge haben könnte.

Spätestens 1916 sollten diese Befürchtungen wahr werden. Der "Steckrübenwinter" bedeutete größte Entbehrungen für die deutsche Bevölkerung.

© SZ.de - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Ypern im Ersten Weltkrieg
:Schauplatz blutiger Stellungskämpfe

Im Ersten Weltkrieg war die flämische Stadt Ypern besonders umkämpft. Historische Bilder zeigen Häuserruinen, Giftgaseinsätze und den jungen Gefreiten Adolf Hitler.

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: