Rede von Angela Merkel:Fast so etwas wie ein Vermächtnis

55. Münchner Sicherheitskonferenz

Kanzlerin Merkel auf der 55. Münchner Sicherheitskonferenz

(Foto: dpa)
  • In ihrer Rede auf der 55. Münchner Sicherheitskonferenz verzichtet die Kanzlerin auf versteckte Botschaften und technokratische Schachtelsätze.
  • Die Chinesen fordert sie auf, sich an der Abrüstung zu beteiligen. Die USA kritisiert sie für die möglichen Strafzölle auf deutsche Autos.
  • Merkel sorgt für einen Moment, den es in der Geschichte der Siko vergleichsweise selten gibt - und bekommt am Ende stehenden Applaus.

Von Daniel Brössler

Das ist jetzt der Moment. Sie alle, die Minister, die Militärs, die Abgeordneten hatten sich gefragt, ob diese alte Bekannte etwas Neues mitbringen würde in den Festsaal des Bayerischen Hofes. Jetzt wissen sie es.

Ivanka Trump hält den Kopfhörer mit der Übersetzung in kurzer Entfernung vom Ohr - wohl um ihr Styling zu schützen - und sieht aus, als könne sie nicht glauben, was sie gerade gehört hat. "Wir sind stolz auf unsere Autos. Das dürfen wir auch", sagt Angela Merkel. Die Bundeskanzlerin kann nicht fassen, dass die Entscheidung, deutsche Autos in den USA als nationales Sicherheitsrisiko einzustufen und mit Strafzöllen zu belegen, nun offenbar tatsächlich bevorstehen soll, und sie zeigt es auch. "Wenn diese Autos, die in South Carolina gebaut werden, plötzlich eine Bedrohung der nationalen Sicherheit der Vereinigten Staaten sind, dann erschreckt uns das", sagt sie. Es ist der Augenblick, in dem klar wird: Die deutsche Kanzlerin hat tatsächlich etwas Neues mitgebracht - sich.

Angela Merkel wirkt bei ihrem Auftritt bei der 55. Münchner Sicherheitskonferenz wie ausgewechselt. Sie versteckt ihre Botschaft nicht im Dickicht technokratischer Schachtelsätze. Die Kanzlerin spricht Klartext. Die Amerikaner kriegen ihr Fett weg, die Russen, aber auch die Chinesen. So geschieht das, was vergleichsweise selten geschieht. Die Gäste im Bayerischen Hof erleben Geschichte, jedenfalls Konferenzgeschichte.

So wie 2007, als der russische Präsident Wladimir Putin dem Westen den Fehdehandschuh hinwarf. Oder 2003, als der damalige Bundesaußenminister Joschka Fischer US-Verteidigungsminister Donald Rumsfeld im Streit über ein militärisches Eingreifen im Irak sein "Ich bin nicht überzeugt" entgegenschleuderte. Von Merkels Auftritt 2019 wird ein überraschend fröhlicher Kampfesmut in Erinnerung bleiben, den man sich im Saal weniger mit der Weltlage erklärt als mit deutscher Innenpolitik. Wenn Merkel befreit wirkt, dann wohl am ehesten von der Last des CDU-Vorsitzes.

Dazu passt, dass sie zum migrationspolitischen Werkstattgespräch der Union nun ihren eigenen kleinen Beitrag nachschiebt. "Wir haben damals in einer humanitären Notlage geholfen", sagt sie über das Jahr 2015. Merkel räumt nichts ein, nimmt nichts zurück. "Dass es damals so weit gekommen ist, hat damit zu tun, dass wir uns nicht gekümmert haben", sagt sie. So fügt sich die innenpolitische Botschaft in Merkels außenpolitisches Plädoyer.

Für dieses Plädoyer holt sie aus bis zu Alexander von Humboldt, der vor 250 Jahren geboren ist. Dessen Credo sei gewesen: "Alles ist Wechselwirkung." Die Welt müsse als Ganzes verstanden werden, appelliert Merkel folglich, was natürlich auch dem Vater der im Publikum sitzenden Ivanka gilt. Ja, sagt Merkel, viele der heutigen Strukturen in der Welt stammten aus der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg. Sie müssten reformiert werden. "Aber", bittet die Kanzlerin, "wir dürfen sie nicht einfach zerstören".

Es ist ein Appell, den Merkel schließlich durchdekliniert etwa am Beispiel der Kündigung des INF-Abrüstungsvertrages, der nuklear bestückte Mittelstreckenraketen aus Europa verbannt hatte. Das sei ein Vertrag zwischen den USA und Russland, der aber die Sicherheit Europas betreffe. Nun werde er gekündigt und "wir sitzen da". Die Kündigung sei wegen der russischen Vertragsverletzung "unabwendbar" gewesen, aber nun müsse es eben einen größeren Vertrag geben auch mit China. Sie wisse, wendet sie sich an Yang Jiechi, den Mann vom Pekinger Politbüro im Saal, dass es da "viele Vorbehalte" gebe, aber über Gespräche würde man sich freuen. Da klatschen alle im Saal.

Merkel endet mit einem Appell für Multilateralismus

Nacheinander arbeitet Merkel dann auch die umstrittenen Themen der deutschen Außenpolitik ab. Sie wisse, dass Deutschland "in der Kritik" stehe, weil es das Zwei-Prozent-Ziel der Nato nicht schnell genug erreiche, das vorsieht, sich bis 2024 einem Wehretat von zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts anzunähern. Von 1,18 Prozent 2014 werde man bis 2024 auf 1,5 Prozent geklettert sein, sagt Merkel. "Vielen reicht das nicht, aber für uns ist das ein essentieller Sprung", betont sie. Deutschland sei ein verlässlicher Verbündeter und als solcher etwa in Afghanistan präsent. Apropos Afghanistan: Da habe sie die "sehr herzliche Bitte", über die Zukunft der Mission gemeinsam zu entscheiden. Das geht an Donald Trump, der damit liebäugelt, die Truppen vom Hindukusch ebenso abzuziehen wie aus Syrien.

Auch die umstrittene Ostsee-Pipeline Nord Stream 2, die Gas von Russland nach Deutschland transportieren soll, verteidigt Merkel. "Es ist richtig und wichtig, dass Europa in gewisser Weise die Hoheit über seine Gasversorgung und die Diversität seiner Gasversorgung behält", sagt sie. Dem ukrainischen Präsidenten Petro Poroschenko im Publikum versichert sie erneut, sich für die Weiternutzung der ukrainischen Pipelines einzusetzen, aber ein "russisches Gasmolekül" bleibe ein "russisches Gasmolekül" - egal durch welche Röhre es fließe.

Ihre Rede beendet Merkel mit einem Appell für den Multilateralismus. Es sei schwierig, aber in jedem Fall besser, Dinge "gemeinsam zu lösen". Dafür erntet Merkel einen stehenden Applaus, der fast so klingt, als sei hier gerade so etwas wie ein Vermächtnis gehört worden. In einer kurzen Fragerunde soll sie jedenfalls schon mal Bilanz ziehen. "Nicht so gut" sei, sagt Merkel, dass Deutschland "oft sehr lange" brauche, bevor es sich zu außenpolitischem Engagement entschließe. Dafür aber sei es verlässlich. Merkel wirkt entspannt nach dem Erfolg ihrer Rede, vielleicht ein bisschen zu entspannt. Als sie auf die hybride Kriegsführung und Einflussnahme der Russen zu sprechen kommt, bringt sie das indirekt in Verbindung mit den Schülerstreiks gegen die Klimapolitik. Deren Engagement begrüßt sie, aber dass die Schüler in so großer Zahl "plötzlich auf die Idee kommen", auf die Straße zu gehen, das könne sie sich nicht vorstellen, sagt sie. Eine Äußerung ist das, die der Außenpolitikerin Merkel noch Ärger bereiten könnte - in der Innenpolitik.

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