Möglicher Mitgliederentscheid der SPD:Große Koalition, großes Risiko

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SPD-Delegierte stimmen auf einem Bundesparteitag ab (Symbolbild) (Foto: dpa)

Die SPD steht vor einem existenziellen Wagnis: Sie überlegt, ihre Mitglieder zu befragen, bevor sie eine große Koalition mit der Union eingeht. Doch solche Basis-Abstimmungen sind oft vor allem Ausweichmanöver. In diesem Fall ist die Mitgliederabstimmung aber zwingend notwendig.

Ein Kommentar von Heribert Prantl

Koalitionen sollen Bündnisse auf Gedeih sein, nicht auf Verderb. Wenn die angeschlagene SPD eine Koalition mit der Union einginge, ohne zuvor die Meinung der Mitglieder zu hören - dann wäre diese Koalition ein Verderben von Anbeginn, sie wäre ein GAU für die SPD.

Eine große Koalition ist kein Sonntagsausflug, zu dem sich allein Parteiführung oder Parteichef entscheiden, weil sie gerade in Stimmung sind, weil die Kanzlerin einladend lächelt und mit Regierungsmacht winkt. Eine dritte große Koalition ist für die SPD ein existenzielles Wagnis - nach den Erfahrungen, die sie am Ende der zweiten großen Koalition (2005 bis 2009) gemacht hat. Das Wahlergebnis 2009 war das größte Desaster in der Nachkriegsgeschichte der Partei. Und das Ergebnis 2013 ist das zweitschlechteste der Nachkriegsgeschichte.

Das ist nicht die Situation für Entscheidungen von oben; es reicht auch nicht ein Parteitag, der über das Ergebnis von Koalitionsverhandlungen abstimmt. Im 150. Jahr der SPD ist die Mitgliederabstimmung über eine große Koalition gerade angesichts dieser Geschichte nicht ein "Mehr Demokratie wagen", sondern eine Pflicht.

Ein Mitgliederentscheid ist natürlich nicht das Ei des Kolumbus. Es ist mit ihm ein wenig so wie mit dem Sozialismus: In der Theorie ist er großartig, in der Praxis funktioniert er nicht unbedingt. Wenn es zum Beispiel um Personalia geht, also darum, den richtigen Parteichef, den besten Spitzen- oder Ministerpräsidentenkandidaten zu finden, sind die Erfahrungen gemischt.

Eine Mitgliederabstimmung befreit nicht von der Verantwortung

Rudolf Scharping, 1993 zum SPD-Chef per Mitgliederentscheid ausgewählt, war nicht der Hit. Günther Oettinger, von den CDU-Mitgliedern in Baden-Württemberg zum Ministerpräsidenten des Landes auserkoren, war es auch nicht. Auch die jüngsten Erfahrungen der Grünen mit der Urwahl ihrer Spitzenkandidaten sind katzenjammrig. Aber immerhin: Die jetzigen SPD-Ministerpräsidenten von Schleswig-Holstein und Niedersachsen sind durch Mitgliederentscheid nominiert worden. Und stets war es so, dass die Urwahl die Parteien für gewisse Zeit wunderbar belebte.

Bei Basis-Abstimmungen in Sachfragen ist es nicht selten so, dass es sich um Ausweichmanöver der Parteiführung handelt. Die FDP hat einst per Basisentscheid den Lauschangriff bejaht; 21.494 FDP-Mitglieder genügten, um das Grundrecht auf Unverletzlichkeit der Wohnung zu ändern. Das Verfassungsgericht musste später aufzeigen, dass dieser Lauschangriff nicht mit dem Grundgesetz vereinbar war. Das lehrt: Eine Parteiführung kann Verantwortung nicht per Basisentscheid abschütteln.

Bei der Abstimmung über den Eintritt in eine große Koalition geht es aber nicht darum, Verantwortung abzuschütteln, sondern sie gemeinsam zu übernehmen. Diese Verantwortung lässt sich nicht durch die Hoffnung der SPD-Führung ersetzen, diesmal sei alles anders - weil am Ende dieser dritten großen Koalition die Wähler der Kanzlerin überdrüssig sein würden. Wer in eine Merkel-Koalition eintritt und dabei auf einen allmählich einsetzenden Überdruss an Merkel setzt, der spielt Roulette.

© SZ vom 26.09.2013 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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