Missbrauch in der katholischen Kirche:"Ich habe meinen Glauben verloren"

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Lange Schatten: eine Pressekonferenz der Deutschen Bischofskonferenz zum Thema Missbrauch in Trier. (Foto: Harald Tittel/dpa)

Erstmals treffen Missbrauchsopfer in größerem Rahmen den Missbrauchszuständigen der Bischofskonferenz. Im Gespräch zeigt sich, wie abgekanzelt und übergangen sich die Betroffenen fühlen.

Von Susanne Höll, Trier

Einen Steinwurf entfernt vom Trierer Dom, wenn auch nicht in kirchlichen Räumen, fand am späten Donnerstag eine Premiere der heikleren Art statt. Erstmals trafen sich Mitglieder einer Organisation von Männern und Frauen, denen Priester und Ordensleute im Bistum Trier sexuelle Gewalt angetan hatten, in größerem Rahmen mit ihrem Bischof Stephan Ackermann. Der ist nicht nur der höchste kirchliche Repräsentant der Diözese, sondern auch der Beauftragte der Deutschen Bischofskonferenz für Fragen des Missbrauchs in der katholischen Kirche. Mit einzelnen Mitgliedern der Gruppe "MissBIT" hatte Ackermann schon Kontakt, ein Gespräch in größerem Rahmen, offen auch für einige ausgewählte Medienvertreter, hatte es zum Leidwesen der Betroffenen bislang noch nie gegeben.

Ein solcher Austausch, das jedenfalls zeigte die Diskussion in einem Saal der Stadtbibliothek, war dringend nötig. Vorsichtshalber hatten sich die Frontleute von MissBIT einen externen Moderator für das Gespräch organisiert, den Kölner Journalisten Joachim Frank, der oft über Missbrauch in den Kirchenreihen berichtet hat. Ein neutraler Dritter kann, wenn es sehr hitzig werden sollte, notfalls auch vermitteln. Eklats waren im Vorhinein nicht ausgeschlossen. Denn viele der Betroffenen sind, wie zahllose andere Missbrauchte auch, verletzt, enttäuscht, verbittert über das Verhalten katholischer Verantwortlicher. Weil sie seinerzeit Gewalt erfuhren und heutzutage, wie sie sagen, abgekanzelt, übergangen und schlimmstenfalls, so die Klage, abermals traumatisiert werden.

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Ein Eklat, so viel kann man sagen, blieb an diesem Abend aus. Aber es flossen Tränen, auch weil das eine oder andere Schicksal beschrieben wurde, nicht in intimen Details, wohl aber in groben Zügen. Der über die Grenzen der Stadt hinaus bekannte Tenor Thomas Kiessling, vergewaltigt als Kind von einem Pater, wollte von Ackermann wissen, warum Männer wie er sich selbst bei Anträgen auf Anerkennungszahlungen stundenlang intimsten Fragen stellen müssten, die die furchtbaren Erinnerungen an die Untaten wieder erweckten. Man brauche Kriterien für die Zahlungen, aber heutzutage müsse niemand Dinge sagen, die er - oder sie - nicht sagen wollte, antworteten die Mitarbeiter Ackermanns. Der Bischof selbst gab zu: "Wir haben seit 2010 dazu gelernt."

Vor neun Jahren wurde der Skandal über massenhaften sexuellen Missbrauch in kirchlichen und weltlichen Organisationen publik. Inzwischen weiß man, dass in katholischen Einrichtungen seit 1946 mindestens 3700 Minderjährige missbraucht wurden, die Aktenlage ist löchrig, vermutlich sind es mehr. Allein im Bistum Trier sind 442 Betroffene registriert, die Zahl und die Namen der Täter und derjenigen, die Verbrechen von Würdenträger-Kollegen vertuschten, ist unbekannt. All das will die Kirche erklärtermaßen aufarbeiten, Bistum für Bistum. Ob ihr das als Organisation so vieler Täter tatsächlich gelingen kann, fragen sich längst nicht nur die Mitglieder von MissBIT. Deren Sprecher fordert von Ackermann beim sicherlich langwierigen und schwierigen Prozess der Dokumentation eines Kirchenskandals die Beteiligung der Betroffenen und unabhängigen Experten ein. Ja, sagt der Bischof, das sei geplant. Details werden allerdings nicht vereinbart.

Und dann melden sich Menschen zu Wort, die auf ganz andere Weise von der katholischen Kirche Leid erfuhren. Berthold Mertz etwa, der Vater einer Tochter, die nach der Geburt in einem katholischen Spital in Bernkastel-Kues misshandelt wurde und seither behindert ist. Inzwischen ist sie 20 Jahre alt, der Vater muss, wie Mertz sagt, trotz Zusicherung kompletter Kostenübernahme um viele Rechnungen kämpfen. Er ist nervlich am Ende. Und sagt: "Ich habe meinen Glauben verloren." Oder die Dame, die als junges Mädchen in einem katholischen Heim von den Schwestern gepeinigt und gedemütigt wurde, fast bis hin zum Suizid. Repräsentanten der katholischen Kirche waren erbarmungslos, manche sind es wahrscheinlich bis heute.

Ackermann bittet den Vater des misshandelten Kindes, ihm seine Beschwerden und Unterlagen zukommen zu lassen. Mertz, der von der Kirche zutiefst enttäuscht ist, reagiert fair. An seinen bitteren Erfahrungen ändere der Abend nichts. Aber Ackermann sei immerhin gekommen und habe sich die Pein der Menschen angehört. "Es war keine verlorene Zeit", fügt er hinzu. Und auch die Bischof und die MissBIT-Vertreter erklären sich zum Schluss zu weiteren Treffen bereit. Warum solche Gespräche nicht schon viel früher stattgefunden haben, bleibt indes offen an diesem Abend in Trier.

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© SZ vom 13.07.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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