CDU-Chef:Merz und die Frage, wer zuletzt cancelt

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CDU-Chef Friedrich Merz hält "Cancel Culture" für die größte Bedrohung für die Meinungsfreiheit. (Foto: imago)

Der CDU-Chef kritisiert gerne eine vermeintliche "Cancel Culture", also das Absagen von Veranstaltungen. Und löst nun selbst eine wahre Cancel-Kaskade aus.

Von Benedikt Peters

Man muss gewiss nicht alles teilen, was die Welt so druckt, aber vor einer Woche, das muss mal gesagt werden, ist ihr ein prophetisches Meisterstück geglückt. "Cancel Culture schwappt nach Europa", so stand es in der Zeitung, darunter ein Interview mit CDU-Chef Friedrich Merz.

Kurzer Exkurs: Cancel Culture bezeichnet die Tendenz, Menschen, denen diskriminierende oder rassistische Haltungen vorgeworfen werden, nicht mehr zu Veranstaltungen einzuladen oder Podien mit solchen Teilnehmern abzusagen. Viele halten das für richtig, aber natürlich gibt es auch Kritiker. Sie finden, das "Canceln" (Absagen) ufere aus, und zu ihnen zählt offensichtlich auch der CDU-Chef: Es sei die "größte Bedrohung für die Meinungsfreiheit", klagte er in der Welt und richte sich inzwischen gegen "völlig legitime Meinungen".

Ob Merz das eine Woche später noch mal so sagen würde, darf allerdings bezweifelt werden. Am Dienstag löste der CDU-Chef nämlich selbst etwas aus, das, wollten wir weiterhin Anglizismen bemühen, in die Geschichte eingehen müsste als "Cancel Day of Berlin". Merz wollte eigentlich Ende August auf einem Podium mit dem Trump-Freund und US-Senator Lindsey Graham auftreten. Doch dann erfuhr der CDU-Chef, so verbreitet es zumindest sein Umfeld, dass auch Joachim Steinhöfel kommen sollte, ein Anwalt, der früher die AfD und Leute aus dem Pegida-Umfeld vertrat.

Merz sagte daraufhin seine Teilnahme ab, ließ aber seinen Sprecher beteuern, dass er sich weiterhin mit US-Senator Graham treffen wolle, nur eben woanders. Danach sagte die baden-württembergische Landesvertretung, in deren Räumen die Diskussion hätte stattfinden sollen, gleich die ganze Veranstaltung ab. Und am Abend erklärte dann Graham, er wolle Merz nicht mehr treffen. Denn: Konservative "cancelten" sich nicht gegenseitig.

Wir lernen: Wer zuletzt cancelt, cancelt am besten.

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