Merz im Sauerland:"Es tut ganz gut, mal wieder eine Abstimmung zu gewinnen"

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Friedrich Merz: "Sie entscheiden heute darüber, ob ich noch einmal ein politisches Amt übernehme oder nicht." (Foto: Sascha Schuermann/Getty Images)

Friedrich Merz darf in seinem Heimatwahlkreis wieder für den Bundestag kandidieren. Die Delegierten der Sauerland-CDU sind begeistert von seiner Bewerbungsrede.

Von Jana Stegemann, Arnsberg

Die politische Zukunft von Friedrich Merz liegt in den Händen von 460 Menschen, die auf einer überdachten Stadiontribüne in Arnsberg-Hüsten sitzen. Auf der Tartan-Bahn vor ihnen ist eine Bühne aufgebaut. Mit großen Schritten schreitet Merz über die roten Bahnen, er ist gut gebräunt. Es ist kurz nach halb 11 am Samstagmorgen, die Sonne scheint bei 5 Grad, einige haben sich in Decken eingewickelt, als Merz das Podest betritt und seine Bewerberrede um die Kandidatur im Hochsauerlandkreis für die Bundestagswahl beginnt.

Merz wird 22 Minuten reden, die 460 Delegierten der mächtigen Sauerland-CDU - die immerhin noch 5000 Mitglieder zählt- werden ihn immer wieder mit Zwischenapplaus und Lachen belohnen. Viele sind seit mehr als 30 Jahren seine Freunde und Freundinnen, vorbehaltlos unterstützten sie schon immer auch kühne Vorhaben. Die Partei hatte sich gegen einen Corona-Notparteitag mit 70 Delegierten entschieden, weil die Kampfabstimmung zwischen Friedrich Merz und dem amtierenden Bundestagsabgeordneten Patrick Sensburg die maximale Legitimation bekommen sollte. Um die Corona-Abstandsregeln einhalten zu können, buchte die Partei das Sportstadion "Große Wiese" mit 2650 überdachten Sitzplätzen in Arnsberg, Merz wohnt nur zwei Kilometer Luftlinie entfernt.

Kanzlerkandidatur
:Treffen zwischen Söder und Laschet endet offenbar ohne Ergebnis

Beide Politiker sollen sich noch am späten Sonntagabend in Berlin getroffen haben. Die Junge Union hatte sich zuvor mehrheitlich für Söder ausgesprochen.

Er ist bereits am Schluss seiner Rede angekommen, als der 65-Jährige sagt: "Sie entscheiden heute darüber, ob ich noch einmal ein politisches Amt übernehme oder nicht." 30 Minuten später ist klar: 71 Prozent der Delegierten möchten, dass Friedrich Merz sie - wieder - im Bundestag vertritt. In diesem Wahlkreis hatte vor 30 Jahren schon seine politische Karriere begonnen.

Der Hochsauerlandkreis, die Heimat von Merz, ist eine traditionelle CDU-Hochburg. Von 1994 bis 2009 hatte Merz den Wahlkreis als Bundestagsabgeordneter vertreten, überwältigende Mehrheiten geholt. Nach vier Wahlperioden gab er sein Abgeordnetenmandat ab, um sich lukrativeren Tätigkeiten in der Wirtschaft zu widmen. Auf Merz folgte Patrick Sensburg, der 49-jährige Jurist saß zwölf Jahre im Bundestag - doch vor einigen Wochen wollte Merz das Direktmandat plötzlich zurück. Ein dritter Kandidat zog daraufhin nach knapp einer Woche seine Bewerbung zurück. Der 35-jährige Jurist Bernd Schulte, Büroleiter von Laschets Staatskanzleichef Nathanael Liminski, unterstützte stattdessen Merz.

Warum tritt der Millionär Merz im Rentenalter überhaupt noch mal an? "So wie in den letzten Jahren kann es in der CDU und vor allem in Berlin nicht weitergehen", gibt er als Grund an und behauptet, dass er ursprünglich nicht geplant habe, überhaupt in die aktive Politik zurückkehren zu wollen. "Es tut ganz gut, mal wieder eine Abstimmung zu gewinnen", kommentiert Merz dann selbstironisch um kurz vor 12 Uhr seinen eindeutigen Sieg mit 327 Stimmen.

Merz wollte zweimal CDU-Vorsitzender werden, er unterlag jedes Mal sehr knapp: Ende 2018 verlor er gegen Annegret Kramp-Karrenbauer, im vergangenen Januar gegen Armin Laschet. Der Jurist Merz betrachtet sich nicht länger als Konkurrent des nordrhein-westfälischen Ministerpräsidenten, sondern gibt sich nun als Unterstützer. Vor einigen Tagen warf er in einem Brief CSU-Chef Markus Söder Egoismus vor, weil dieser nicht zurückzieht im Kampf um die Kanzlerkandidatur. Jetzt legt Merz nach, seine Stimme tönt klar und laut durchs Stadionmikrofon. Merz weiß, dass sich die CDU in einer existentiell gefährlichen Lage befindet, er versucht alles, seine Partei gegen die CSU zu verteidigen: "Einigt euch, Markus Söder und Armin Laschet. Dieses Land braucht Perspektive. Dieses Land braucht Führung. Und die CDU und die CSU werden gebraucht als politisch führende Kraft dieses Landes!"

Als er gegen Armin Laschet verlor, hatte Merz, statt sich im Parteivorstand zu engagieren, das Amt des Bundeswirtschaftsminister als Trostpreis haben wollen - und damit sogar enge Unterstützer vor den Kopf gestoßen. Diese Forderung bezeichnet er im Stadion als "einen Fehler, als "falsch und instinktlos". Die Kritik damals sei berechtigt gewesen, "die Enttäuschung auch bei meinen Unterstützern mehr als verständlich. Dafür entschuldige ich mich noch einmal ganz ausdrücklich", sagt Merz, "ich hätte für das Amt eines stellvertretenden Parteivorsitzenden kandidieren sollen".

"Die CDU hat ihren Kompass verloren, unsere Wählerinnen und Wähler wissen nicht mehr, wofür wir eigentlich stehen"

Merz, der lange den Ruf eines brillanten Rhetorikers hatte, musste für seine farblosen Reden auf den vergangenen beiden Wahlparteitagen viel Kritik einstecken. "Ich habe sie beide selbst geschrieben, ich habe keinen Schauspielunterricht genommen, und ich stehe dazu", sagt Merz. Er habe damals Rücksicht auf Kanzlerin Angela Merkel und die Bundesregierung nehmen und mit kritischen Anmerkungen nicht zu weit gehen wollen, so Merz, der Merkel in herzlicher Abneigung verbunden ist: "Für eine solche Zurückhaltung gibt es hier und heute keine Veranlassung mehr. Im Gegenteil."

Dann schließt sich der stärkste Teil seiner Rede an, er kritisiert schonungslos den Zustand seiner Partei: "Die CDU hat ihren Kompass verloren, unsere Wählerinnen und Wähler wissen nicht mehr, wofür wir eigentlich stehen." Applaus auf der Stadiontribüne. Jetzt ruft Merz: "Wir müssen wieder den Mut haben, eine stinknormale bürgerliche Politik zu machen, statt dem flüchtigen Zeitgeist atemlos hinterherzulaufen. Wir sind nicht die besseren Grünen und auch nicht die etwas weniger radikale AfD." Wer den Holocaust leugne oder diese schreckliche Zeit unseres Landes für einen "Fliegenschiss der Geschichte" halte, "mit dem haben wir nichts, aber auch gar nichts gemeinsam".

Merz hat seine Rede in vier Abschnitte - die Lage des Landes, die Lage der CDU, die Schlussfolgerungen, die Entscheidung im Hochsauerlandkreis - eingeteilt. Es ist eine wuchtige, sehr klare Rede - die beste, die Merz in sehr langer Zeit gehalten hat. Er hält in 2021 zum ersten Mal eine Rede, in der er sich tatsächlich selbst erklärt, seine Motivation, ein Stück weit sogar sein Gefühlsleben offen legt.

Merz weiß natürlich, was bei den Sauerland-Delegierten gut ankommt, und so spart er nicht mit Spott für gendergerechte Sprache. "Grüne und Grüninnen? Frauofrau statt Mannomann? Einigkeit und Recht und Freiheit für das deutsche Mutterland? Hähnch*Innen-Filet? Spielplätze für Kinder und Kinderinnen? Wer gibt diesen Gender-Leuten eigentlich das Recht, einseitig unsere Sprache zu verändern?" Merz muss eine kurze Pause machen, die Delegierten klatschen kräftig. Er trifft einen Nerv bei der Sauerland-CDU, aber auch bundesweit dürfte dieses Statement gut ankommen - zumindest bei potentiellen Unionswählern.

"Sie bekommen in mir keinen bequemen und angepassten Abgeordneten", droht Merz. Er sei heute so frei und unabhängig, "dass ich auch unbequeme Dinge sagen und auch uns allen etwas abverlangen kann, wenn es denn uns allen und unserer Zukunft auch wirklich dient. Ihn bewege die Zukunft der "talentierten und engagierten jungen Generation", sagt Merz. Nach der Bundestagswahl im September wird er aller Voraussicht nach beweisen können, wie ernst es ihm damit ist.

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