Als Sebastian Kurz am frühen Morgen zu seiner Mission aufbricht, da ist der Himmel wolkig über Wien und die Stimmung heiter. Wie immer fliegt er Linie, vor dem Start lässt er noch schnell ein paar Fan-Fotos über sich ergehen, dann faltet er sich lächelnd in Reihe 10. Taufrisch und fröhlich sieht er auch nach der Landung noch aus, voller Tatendrang. "Ich freue mich auf die Gespräche in Berlin", sagt er. Da ist noch nicht ganz klar, ob die Freude ungeteilt bleibt.
Österreichs Regierungschef kommt zum Antrittsbesuch in die deutsche Hauptstadt, zum ersten Mal trifft er Angela Merkel auf Augenhöhe zum Kanzlergipfel. Sie ist die mächtigste Frau Europas, er der jüngste Regierungschef des Kontinents. Parteifreunde sind sie aus dem christlich-konservativen Lager der Europäischen Volkspartei, und doch hat das Treffen durchaus auch Duellcharakter.
Kurz genießt die Aufmerksamkeit in vollen Zügen
Denn der Neue aus Wien propagiert einen "neuen Stil" in der Politik, was auch in Deutschland einen gewissen Charme entfaltet, dort, wo sich die Grauköpfe gerade wieder in Richtung nächster großer Koalition schleppen. Und es wäre glatt gelogen zu behaupten, dass Kurz dies in aller Bescheidenheit egal wäre. Im Gegenteil: Er genießt die Aufmerksamkeit in vollen Zügen, die ihm auch in Deutschland zuteil wird.
Früher, als für Merkel vieles besser war, gab es einmal einen österreichischen Kanzler namens Werner Faymann, von dem die Kanzlerin anno 2013 gesagt haben soll: "Er kommt mit keiner Meinung rein und geht mit meiner Meinung wieder raus." Von Kurz ist das gewiss nicht zu erwarten. Schon vor dem Treffen mit Merkel verkündet er in einer kleinen Runde mitgereister Journalisten, dass es "unter Nachbarn und Partnern auch legitim ist, in einigen Fragen nicht einer Meinung zu sein".
Worüber man einer Meinung ist und worüber nicht - all das wird dann angesprochen beim Treffen im Kanzleramt zur Mittagszeit. Offenbar haben sich die beiden viel zu sagen. Auf fast zwei Stunden wird das zunächst kürzer geplante Gespräch ausgeweitet, und als Kanzlerin nebst Kanzler schließlich gemeinsam vor die Presse treten, werden fein diplomatisch erst einmal die Gemeinsamkeiten betont. Fündig geworden ist man bei der Suche nach Schnittmengen zum Beispiel bei einem einheitlichen Blick auf den Westbalkan, und auch in der Europapolitik betont Merkel, dass beide Seiten ein "gemeinsames Europa der Sicherheit" wollen.
Bei der Flüchtlingsverteilung pocht die Kanzlerin aufs Prinzip
Alles eitel Sonnenschein also? Selbst in der Flüchtlingspolitik, wo Kurz sich in seiner Zeit als Außenminister gern als Gegenspieler der Willkommenskanzlerin inszeniert hat, versuchen die beiden es auf gemeinsamem Grund und pochen unisono auf den "Schutz der Außengrenzen". Merkel begeht dabei sogar eine kleine Copyright-Verletzung, denn ihre Forderung, dass nicht die Schlepper bestimmen dürften, wer nach Europa kommt, ist eindeutig ein Kurz-Zitat. Es wird ihn freuen, das nun aus so berufenem Mund zu hören, und gern gesteht er zu, dass sich in der Migrationspolitik mittlerweile viele in Europa "in die richtige Richtung" bewegen.
In der Frage der Flüchtlingsverteilung innerhalb der EU, bei der Kurz die Quotenregelung ablehnt, pocht die Kanzlerin dann aber doch deutlich aufs Prinzip: "Es kann nicht sein, dass es Länder gibt, die sagen, an einer europäischen Solidarität beteiligen wir uns nicht." Die Bruchlinien werden also immer noch deutlich, vor allem, wenn Nachfragen kommen. In der Europapolitik setzt Kurz auf "Subsidiarität", unter dem Strich heißt das für ihn weniger Europa und "mehr Verantwortung für die Nationen". Merkel dagegen setzt auf Integration und Vertiefung, also mehr Europa.
Merkel will Kurz an seinen Taten messen
Beim künftigen EU-Budget für die Zeiten nach dem Brexit kann sich Merkel mehr deutsche Nettozahlungen vorstellen, Kurz hingegen pocht aufs Sparen. Und obendrein bleibt das Berliner Unbehagen über eine Regierungsbeteiligung der rechten FPÖ in Wien. Merkel macht das deutlich mit dem Satz: "Wir werden die neue österreichische Regierung an ihren Taten messen." Kurz hat damit kein Problem, zumal auch das ein Satz ist, den er neulich selbst schon mal gesagt hat. In Paris war das, wo er den französischen Präsidenten Emmanuel Macron aufgefordert hat, ihn an den Taten zu messen. In Berlin verspricht er nun, "wir werden ihnen in den nächsten Jahren viele Möglichkeiten dazu bieten".
Dann muss er aber auch schon weiter. Der Zeitplan ist straff, weil ihn gar so viele sehen wollen in seinen gerade einmal 24 Berliner Stunden. Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble trifft er zum Gespräch, und am Donnerstagmorgen wird er von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier empfangen. Dazwischen liegt noch ein Auftritt bei der ARD-Talkerin Sandra Maischberger. Überall wird Kurz so freundlich lächeln wie schon am Morgen im Flugzeug auf dem Sitz 10 A. Und überall wird er mit großem Selbstbewusstsein seine Berliner Botschaft verkünden: "Ich werde meine Linie weiter konsequent verfolgen."