Prozess um Betrug mit Schnelltests:"Ich bin nur Arzt, das ist mir zu komplex"

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Der Angeklagte Oguzhan C. (2. v. r.) im Gerichtssaal mit seinem Verteidiger (Foto: Roland Weihrauch/dpa)

Fast eine Million Schnelltests zu viel soll die Firma Medican abgerechnet haben. Im Prozess sagt nun der Arzt aus, dessen Unterschrift unter jedem Test stand.

Von Jana Stegemann, Bochum

Kurz nachdem die Bundesregierung im vergangenen März die kostenlosen Corona-Bürgertests eingeführt hatte, trafen sich der Arzt Walid W. und der Bochumer Unternehmer Oguzhan C. Zu diesem Zeitpunkt arbeiten die beiden Männer seit knapp drei Monaten zusammen. C. hatte schon im Dezember 2020 eine Teststation auf dem Gelände seines Sportzentrums in Bochum-Wattenscheid eröffnet und dafür einen Arzt gesucht, damals mussten Testwillige noch 39,80 Euro pro Schnelltest zahlen.

W. kümmerte sich an C.s erstem Testzentrum um das Hygienekonzept und dessen Einhaltung, schulte das Personal, hielt Kontakt zum Gesundheitsamt und beantwortete telefonisch Fragen der Mitarbeiter; dafür bekam er von C. pro getesteter Person 2,50 Euro. Kennen gelernt hatten sich W. und C. auf einer Silvesterparty.

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"Wie machen wir das mit unserer Zusammenarbeit?", will der Mediziner den Unternehmer damals gefragt haben. W. erinnert sich Monate später im Zeugenstand vor dem Landgericht Bochum so an die Antwort: "Für die Schnelltests bräuchte er keinen Arzt mehr." Oguzhan C. stützt den Kopf in beide Hände, vergräbt sein Gesicht. Es ist ein Satz von enormer Tragweite angesichts der Vorwürfe, deretwegen er in Untersuchungshaft sitzt. Die Ermittlungen waren durch Recherchen von Süddeutscher Zeitung , NDR und WDR ausgelöst worden.

Der 48-Jährige muss sich als Hauptangeklagter im Prozess um den Vorwurf des Abrechnungsbetrugs mit Corona-Tests in Höhe von 25,1 Millionen Euro verantworten - W. tritt als Zeuge auf. Am vierten Prozesstag geht es nicht nur darum, dass C. nach Ansicht der Staatsanwaltschaft im März und April mit seiner Firma Medican dem Staat fast eine Million Schnelltests zu viel in Rechnung gestellt haben soll - sondern auch, dass er diese Tests überhöht abgerechnet habe. Stand ein Testzentrum unter "ärztlicher Leitung", durften pro Test statt zwölf Euro sogar 15 Euro abgerechnet werden.

Eigentlich ist er plastischer Chirurg - nun stand seine Unterschrift unter jedem Test

Die beiden Männer hätten also laut W. das Ende ihres Kooperationsvertrags beschlossen; künftig sollte Arzt W. nur noch für die "Befundung der PCR-Tests" und für die Schulungen von Teststellen-Mitarbeitern bei Medican zuständig sein. "Wir haben uns dafür auf ein Honorar von 12 500 Euro monatlich geeinigt", erinnert sich W. Er arbeitete damals hauptberuflich im Schichtdienst als Arzt im Evangelischen Krankenhaus in Oldenburg, hatte gerade seine Facharztausbildung als plastischer Chirurg mit Schwerpunkt Handchirurgie abgelegt. Einen Doktortitel führt er nicht.

Weil nur mit den PCR-Tests so viel zu tun war, holte W. noch zwei weitere Ärzte aus dem Klinikum ins Team. Die drei standen als "verantwortliche Ärzte für die Durchführung der Tests" im Impressum der Medican-Homepage - ohne dass sie davon wussten, wie W. vor Gericht mehrmals beteuert. Angesprochen auf das Firmenkonstrukt, sagt W. mehrmals: "Ich bin nur Arzt, das ist mir zu komplex." Er habe damals nicht gewusst, was ein Impressum sei, und erst durch Medienanfragen erfahren, dass er dort aufgeführt war. Seine Kollegen hätten pro Monat 5000 Euro von C. erhalten, dafür, dass sie PCR-Tests bekundeten. Die anderen beiden Ärzte hätten nie eine der mehr als 60 Medican-Teststellen besucht; er selbst sei ab und zu an denjenigen in Bochum-Wattenscheid, Krefeld und Düsseldorf gewesen. "Verstehe ich Sie richtig, dass man das von überall auf der Welt machen kann, wenn man einen PC-Zugang mit dem System hat?", fragt der Vorsitzende Richter Michael Rehaag. W. nickt.

Seine Unterschrift inklusive Doktortitel stand trotzdem unter jedem kostenlosen Schnelltest. "Wie fanden Sie das?", fragt der Richter. W. antwortet: "Nicht richtig. Das war anders vereinbart worden mit Herrn C."

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