Mecklenburg-Vorpommern:Lehren aus der Landtagswahl

Lesezeit: 5 min

Kundgebung zum Wahlkampfabschluss: AfD-Anhänger in Schwerin (Foto: dpa)

Warum Merkels Flüchtlingspolitik die Wahl entschied, die SPD keine echte Siegerin ist - und wieso die AfD so stark abschneidet.

Analyse von Antonie Rietzschel, Schwerin, und Thorsten Denkler, Berlin

Merkels Flüchtlingspolitik entscheidet die Wahl

Mecklenburg-Vorpommern hat einen Ausländeranteil von drei Prozent. Im vergangenen Jahr kamen 23 000 Flüchtlinge in das Bundesland. Aber jeder Dritte ist schon nicht mehr da, sondern in Hamburg oder Berlin, wo es bessere Aussichten auf Arbeit gibt. Dennoch bestimmte die Flüchtlingspolitik der Bundesregierung die Landtagswahl.

Der langjährige Ministerpräsident und Spitzenkandidat der SPD, Erwin Sellering, kritisierte immer wieder den Asylkurs von Bundeskanzlerin Angela Merkel. Ebenso sein Gegenspieler von der CDU, Lorenz Caffier. Zwar betonte Sellering während eines TV-Duells, es handle sich nicht um eine "Denkzettelwahl für die Bundespolitik". Doch am Ende war es genau das: eine Denkzettelwahl. Das zeigt auch das Abschneiden der Alternative für Deutschland (AfD), die in den ersten Hochrechnungen vor der CDU liegt. Die Union wurde abgestraft für das "Wir schaffen das" von Merkel.

Landtagswahl in Mecklenburg-Vorpommern
:Versiebt in Schwerin

Enttäuschung bei CDU und Linken, Jubel bei SPD und AfD: Reaktionen und Eindrücke vom Wahltag in Mecklenburg-Vorpommern.

AfD triumphiert - auch dank der NPD

Auf der Wahlparty der AfD in der Schweriner Bucht können es einige Parteimitglieder nicht fassen: mehr als 20 Prozent aus dem Stand. Das ist ihr bereits im März bei der Landtagswahl in Sachsen-Anhalt gelungen, wo sie auf Anhieb zur zweitstärksten Partei wurde. Mit Leif-Erik Holm hatte die AfD in Mecklenburg-Vorpommern einen Spitzenkandidaten, der im Wahlkampf stets moderat wirkte, aber bei öffentlichen Veranstaltungen auch populistische Töne anschlug: "Merkel muss weg!", rief er, die SPD beschimpfte er als "Scharia-Partei". Zwar ging es der AfD auch um Themen wie kostenlose Kindergärten oder verlängertes Elterngeld. Doch die AfD verknüpfte auch ihre Familienpolitik immer wieder mit Flüchtlingen. Sie schürte Angst und Wut unter den Wählern.

Fragwürdige Verbindungen zur NPD sowie Sympathien mit der rechtsextremen "identitären" Bewegung konnten den Erfolg der Partei nicht trüben. Die AfD warb offen um Wähler der extrem geschwächten NPD. Wenige Tage vor der Wahl hatte Leif-Erik Holm erklärt, den "Schweriner Weg" nicht unterstützen zu wollen, sollte es die NPD wieder in den Landtag schaffen. Der "Schweriner Weg" sah bisher vor, dass die demokratischen Parteien Anträge der NPD geschlossen ablehnen. Holms Aussage war reine Provokation, denn zu dem Zeitpunkt lag die rechtsextreme Partei bei Umfragen lediglich bei drei Prozent, ihr Ausscheiden war absehbar. Die NPD musste sich bereits vor Beginn des Wahlkampfs eingestehen, dass sie nicht gegen die AfD ankommt. Sie empfahl ihren Wählern, die Erststimme der AfD und die Zweitstimme der NPD zu geben.

Die AfD könnte, wenn alle Stimmen ausgezählt sind, zweitstärkste Kraft im Schweriner Landtag werden. Das wird ihr weiter Auftrieb geben, die "Wir sind das Volk"-Rufe auf Kundgebungen der AfD dürften noch lauter werden. Anders als die NPD bekommen die Vorsitzenden der rechtspopulistischen AfD Plätze in Talkshows. In der Union gibt es immer wieder Einzelstimmen, die Koalitionen mit der AfD nicht ausschließen wollen. Das lässt die Partei vielen Menschen als prinzipiell wählbar erscheinen.

Selbst in Berlin kann die AfD auf bis zu 15 Prozent hoffen. Dort wird in zwei Wochen das Abgeordnetenhaus neu gewählt. Auch ihr Einzug in den Bundestag bei der Wahl im kommenden Jahr gilt inzwischen als so gut wie sicher.

Die NPD ist raus - doch das Problem bleibt

Die NPD hat den Kampf am rechten Rand gegen die AfD verloren. In den vergangenen Jahren ist die NPD in Deutschland immer weiter in die Bedeutungslosigkeit abgerutscht. Seitdem Holger Apfel aus der Partei gemobbt wurde und Frank Franz den Vorsitz übernommen hat, fällt die NPD politisch kaum noch auf. 2014 flog sie aus dem sächsischen Landtag. In Thüringen kratzte sie nicht einmal an der Fünf-Prozent-Hürde. Die NPD plagen finanzielle Probleme und Mitgliederschwund. So mancher witzelt sogar, dass ein Verbot, das derzeit beim Bundesverfassungsgericht anhängig ist, nicht mehr nötig sei. Die Partei schaffe sich selbst ab. Mecklenburg-Vorpommern galt immer als letzte Bastion. Doch künftig sitzt sie auch hier nicht mehr im Landtag. Sie schaffte gerade mal drei Prozent.

Politisch hat die NPD in dem Bundesland schon länger keine Rolle mehr gespielt, sie gilt als geächtete Partei. Durch die fehlenden Landtagsmandate fallen nun auch finanzielle Mittel weg. Gleichzeitig hat die Partei in Mecklenburg-Vorpommern Strukturen aufgebaut, die nicht so schnell verschwinden werden. Sie ist eng mit Neonazi-Organisationen verbandelt, ihr gehören mehrere Immobilien. Beobachter glauben deshalb nicht daran, dass die Rechtsextremen nach der Wahlschlappe einfach aus dem Land verschwinden.

Die Linke ist die große Verliererin

Hatte die Partei bei der vergangenen Wahl noch 16 Prozent geschafft, rutschte sie diesmal der ersten Hochrechnung zufolge auf zwölf Prozent ab. Schon vor der Wahl schien es, als hätte sich die Linke selbst aufgegeben. "Gegen Stimmungen Wahlkampf zu machen, ist schwer", sagte Spitzenkandidat Helmut Holter vor wenigen Tagen mit Blick auf die populistische Atmosphäre im Land. Selbst der bei Ost-Linken beliebte Gregor Gysi, der kurz vor dem Wahltermin durchs Land tourte, konnte nichts mehr dagegen tun, dass die Linke eine Schlappe hinnehmen muss - so wie schon bei vielen Landtagswahlen zuvor.

Die AfD ist dabei, der Linken die Protestwähler abspenstig zu machen. In der Linken ist vielen klar, dass die Protestwähler zu ihren wichtigsten Wählergruppen gehören. Aber schon in früheren Wahlen hat sich gezeigt, dass viele dieser Wähler zwischen rechten Parteien und der Linken hin und her pendeln. Bisher konnte die Linke diese Wähler mit ihrer Sozialpolitik überzeugen. Und ähnlich wie die AfD präsentiert sie sich gerne als Partei gegen das Establishment. Inzwischen aber war und ist die Linke an einer Reihe von Landesregierungen beteiligt. In Thüringen stellt sie sogar den Ministerpräsidenten. Anti-Establishment funktioniert da nicht mehr. Und gegen die offene Ausländerfeindlichkeit der AfD scheint die Linke mit Sozialthemen kaum etwas ausrichten zu können.

Der Versuch der Fraktionsvorsitzenden Sahra Wagenknecht, in der Tonlage auf AfD-Wähler einzugehen, ist bisher am massiven Widerstand der Partei gescheitert. Wagenknecht spielt mit dem Feuer. Am Ende könnte sie damit die Partei noch stärker in Gefahr bringen, als es die AfD bereits tut.

Testen Sie Ihr Wissen
:Was wissen Sie über Mecklenburg-Vorpommern?

Am Sonntag wird in Mecklenburg-Vorpommern ein neuer Landtag gewählt. Sie kennen die Spitzenkandidaten?! Aber kennen Sie auch Molli, den Rostocker Seehafen und den Schlossgeist aus Schwerin? Testen Sie Ihr Wissen.

Von Luca Deutschländer

Die SPD ist keine wirkliche Siegerin

Die SPD hat die Landtagswahl gewonnen. Sie ist stärkste Kraft. Aber ein fröhliches "Glückwunsch!" will einem dennoch nicht über die Lippen kommen. Sie musste deutliche Verluste hinnehmen, landet der ersten Hochrechnung zufolge nur hauchdünn über der 30 Prozent-Marke, die sie 2011 noch mit 36,5 Prozent satt überschritten hatte. Der Niedergang der SPD, er nimmt auch in Mecklenburg-Vorpommern seinen Lauf. Gut, die Bundes-SPD wäre froh, wenn sie in Wahlumfragen überhaupt mal wieder in die Nähe der 25 Prozent-Marke käme. Aber auch da wird Mecklenburg-Vorpommern kaum als Vorbild dienen können.

Mit seinen 1,5 Millionen Wahlberechtigten ist das Land zu klein, um ernsthaft einen Trend vorgeben zu können. Die Wahl zeigt aber: Für die SPD gibt es keine leichten Wahlen mehr, keine Selbstläufer. Das galt noch nie für den Bund. Aber jetzt auch nicht mehr für Berlin, wo die SPD seit 2001 den Regierenden Bürgermeister stellt.

Und eben auch nicht für Mecklenburg-Vorpommern, wo die SPD seit 1998 regiert. Seit 18 Jahren also. Sie hat seitdem kein Ergebnis mehr unter 30 Prozent eingefahren, 2002 waren es sogar über 40 Prozent. Vorbei. Die Parteienlandschaft ändert sich gerade massiv. Mecklenburg-Vorpommern ist davon nicht verschont geblieben. Eine Antwort auf diese Entwicklung hat die SPD bisher nicht gefunden.

© SZ.de - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Landtagswahl in Mecklenburg-Vorpommern
:Die Schweriner Koalition funktioniert gut - zu gut

Ministerpräsident Sellering und Innenminister Caffier lieferten sich in Mecklenburg-Vorpommern keinen Wahlkampf, sondern ein wachsweiches Partnerschaftsduell. Nutznießer ist die AfD.

Von Thomas Hahn

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: