Solidarität ist das Wort der Woche. Beim Sondergipfel in Brüssel haben die Staats- und Regierungschefs der Europäischen Union Gemeinsamkeit demonstriert im Kampf gegen das Sterben der Flüchtlinge im Mittelmeer. Tatsächlich werden schon bald mehr Schiffe patrouillieren, um in Seenot geratenen Menschen zu helfen. Schleuser sollen härter verfolgt werden, möglicherweise mit einer europäischen Militärmission. Die Solidarität aber endet dort, wo es um eine gerechtere Verteilung der Lasten des Flüchtlingsansturms geht. Die polnische Ministerpräsidentin Ewa Kopacz hat dafür in Brüssel eine Formel geprägt: "Solidarität in Freiwilligkeit."
Ausgelöst von der Tragödie im Mittelmeer, hat in Brüssel die Schlacht um eine neue Asylpolitik begonnen. Bundeskanzlerin Angela Merkel will nicht länger hinnehmen, dass sich eine ganze Reihe von EU-Staaten der Verantwortung entziehen. Sie verweist darauf, dass Deutschland zusammen mit Schweden 45 Prozent aller Asylsuchenden in der EU aufnimmt. Unterstützung erhielt sie beim Sondergipfel von EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker. "Wir brauchen ein Quotensystem", appellierte er in der Sitzung der Staats- und Regierungschefs.
Ungleiche Lastenverteilung
Bisher gilt in der EU die "Dublin"-Regelung. Demnach sollen Schutzsuchende dort einen Asylantrag stellen und auch bleiben, wo sie nachweislich zuerst den europäischen Boden betreten haben. Damit sollte verhindert werden, dass die Flüchtlinge in mehreren Staaten um Asyl bitten und die Staaten einander die Verantwortung zuschieben können. Das hat aber zu einer ungleichen Lastenverteilung geführt.
Gemessen an der Bevölkerungszahl nehmen die skandinavischen Länder, allen voran Schweden, aber auch Österreich und Deutschland überdurchschnittlich viele Flüchtlinge auf. Mehrere mittel- und osteuropäische Staaten sowie Portugal liegen am Ende der Skala. Das hat zum Teil geografische Gründe. Länder wie Tschechien, Kroatien und Rumänien haben sich aber auch schlicht entschieden, dem Willen ihrer Bevölkerung entsprechend so wenig Flüchtlinge wie möglich aufzunehmen.
Mittelmeer-Anrainer fühlen sich im Stich gelassen
Was Juncker, Merkel und besonders die österreichische Regierung nun wollen, ist ein faireres System, das ankommende Flüchtlinge etwa nach Landesgröße, Wirtschaftskraft oder zusätzlich nach Arbeitslosenquote über die EU-Staaten verteilt. Dafür haben die EU-Kommission, einzelne Staaten und viele Experten Vorschläge gemacht, die auf europäischer Ebene aber keine Mehrheit finden. Zu den Quoten-Befürwortern zählen die Mittelmeer-Anrainer Italien, Griechenland und Malta, an deren Küsten die meisten Flüchtlinge stranden. Sie fühlen sich im Stich gelassen von den anderen EU-Staaten. In ihrer Not schicken sie inzwischen viele Flüchtlinge einfach weiter, ohne sie registriert zu haben.
Gegen ein Quotensystem jedoch steht eine solide Abwehrfront, zu der auch Großbritannien und Dänemark gehören, die aber angeführt wird von den Staaten Mittelosteuropas. "Freiwillige Projekte sind gut", konzedierte der slowakische Ministerpräsident Robert Fico und sprach auch für Polen, Tschechien und Ungarn. "Freiwillig" sind diese und einige andere EU-Staaten bereit, eine überschaubare Zahl von Flüchtlingen aufzunehmen, sowohl solche, die noch in Flüchtlingslagern warten, als auch solche, die den Weg nach Europa geschafft haben. Auch in der Gipfelerklärung heißt es ausdrücklich, diese Angebote würden "freiwillig" gemacht. Merkel monierte in der Sitzung, dann könne man sie eigentlich auch ganz streichen.
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Merkel und die österreichische Regierung wollen ein faireres System, das ankommende Flüchtlinge nach Landesgröße und Wirtschaftskraft auf die EU-Staaten verteilt. Dieser Vorschlag stößt unter anderem in Großbritannien auf Kritik.
Tschechiens Ministerpräsident: "Asyl ist nationale Angelegenheit"
Polens Ministerpräsidentin Kopacz rechtfertigte nach dem Gipfel ihren Widerstand. "Die Solidarität muss den Möglichkeiten eines Landes entsprechen", sagte sie. Tschechiens Ministerpräsident Bohuslav Sobotka betonte: "Asyl ist eine nationale Angelegenheit." Jedes Land habe andere wirtschaftliche und kulturelle Voraussetzungen. "Wir können nicht wie ein löcheriger Käse sein", sagte Ungarns Ministerpräsident Viktor Orbán im Radio. Er werde eine Volksbefragung darüber initiieren, ob Flüchtlinge sofort festgenommen und schnell abgeschoben sowie während ihres Aufenthalts in Ungarn zur Arbeit verpflichtet werden sollten.
Menschenrechts- und Hilfsorganisationen kritisierten die Brüsseler Ergebnisse scharf. Amnesty International sprach von einer verpassten Chance, "die tödlichen Fehler der Vergangenheit grundlegend zu korrigieren". Die EU-Kommission betonte am Freitag jedoch, die Suche nach legalen Migrationswegen für Flüchtlinge sei nicht vom Tisch. Sie werde einen Schwerpunkt des kommenden Migrationsberichts der Behörde bilden. Jetzt hätten nur akute Probleme besprochen werden können. Auch der Versuch, Flüchtlinge fairer zu verteilen, wird auf der Agenda bleiben - nicht zuletzt, weil mit Deutschland ein mächtiger Staat sehr daran interessiert ist.