Am Mittwoch um zwölf Uhr mittags, Ortszeit Caracas, sendeten Abgeordnete des venezolanischen Parlaments erste Notrufe aus: "Hilfe, wir werden überfallen!" Eine Gruppe von teilweise vermummten Männern war kurz zuvor gewaltsam in das Kongressgebäude eingedrungen. Dabei soll es sich nach übereinstimmenden Augenzeugenberichten um Mitglieder der sogenannten "Colectivos" gehandelt haben, paramilitärische Schlägertruppen, die den sozialistischen Präsidenten Nicolás Maduro unterstützen.
Die Nationalversammlung wird von der konservativen Opposition kontrolliert. Bei dem Parlamentssturm wurden nach Informationen der Zeitung El Nacional mindestens zwölf Menschen verletzt, darunter drei Abgeordnete des Oppositionsbündnisses MUD. Auch Journalisten seien angegriffen worden.
Die Angreifer hatten Feuerwaffen und zündeten Tränengasbomben, berichten Abgeordnete
Der stellvertretende Parlamentspräsident Freddy Guevara teilte via Twitter mit: "Etwa 30 Typen haben versucht, dieses Haus einzunehmen. Mit Stöcken." Guevara, einer der führenden Oppositionspolitiker, filmte mit seinem Handy auch seinen Parlamentskollegen Armando Armas, der am Kopf blutete. "Dafür ist Maduro verantwortlich", sagte Guevara. Den Abgeordneten sei es aber gelungen, das Gebäude zu verteidigen. "Wir werden unsere Sitzung fortsetzen", verkündete Guevara. Das politisch kaltgestellte Parlament traf sich am Mittwoch zu einer Sondersitzung zum venezolanischen Unabhängigkeitstag.
Bereits am Morgen hatten sich die Angreifer im Garten vor dem Kongress versammelt und mit Feuerwerkkörpern geschossen. Der Parlamentarier Richard Blanco sagte, die Colectivos hätten auch Feuerwaffen dabei gehabt und Tränengasbomben gezündet. Laut El Nacional durften die anwesenden Journalisten das Gebäude nach dem Angriff verlassen, die Abgeordneten seien aber zunächst daran gehindert worden. Einsatzkräfte der Nationalgarde sollen tatenlos zugesehen haben.
In Venezuela kommt es seit drei Monaten beinahe täglich zu Protesten gegen Staatschef Maduro. Polizei, Armee und Colectivos gehen mit aller Härte gegen die Demonstranten vor. Dabei wurden seit Anfang April bereits 90 Menschen getötet. Das Land mit den größten Ölreserven der Welt steckt in einer dramatischen Wirtschafs- und Versorgungskrise.
Der aktuelle Aufstand hatte sich aber an dem gescheiterten Versuch von regierungstreuen Richtern entzündet, das Parlament endgültig zu entmachten. Der blutüberströmte Abgeordnete Armando Armas twitterte am Mittwoch aus dem Kongressgebäude: "Heute hat die Diktatur versucht, die Souveränität des Volkes anzugreifen."