Ohne Wagenknecht gäbe es keinen Bartsch
Von Herbst an also Sahra Wagenknecht und Dietmar Bartsch. Die Linke und der Reformer. Noch ist es nicht offiziell. Aber Bartsch und Wagenknecht sollen sich am Dienstag gegenüber den Parteichefs der Linken, Katja Kipping und Bernd Riexinger, erklärt haben. Ja, sie stehen bereit, den Fraktionsvorsitz von Gregor Gysi zu übernehmen. So genau will das zwar keiner bestätigen. Aber auch keiner dementieren. Unwahrscheinlich ist aber, dass Wagenknecht und Bartsch bei Riexinger und Kipping vorsprechen, um gemeinsam zu erklären, dass sie es nicht machen.
Der Fairness halber soll diese Woche wohl auch noch ein Gespräch mit dem Notfall-Pärchen geführt werden: Martina Renner und Jan van Aken. Die waren ins Gespräch gebracht worden, sollte Wagenknecht doch nicht antreten wollen. Damit wären dann wegen der komplizierten Fraktionsarithmetik auch Bartschs Karriereträume geplatzt.
Der Plan dahinter ist schon einige Zeit älter. Gysi wollte ohnehin im Herbst aufhören. Bartsch und Wagenknecht standen als natürliche Nachfolger bereit. Sie vereinen in einer von der Partei ohnehin geforderten Doppelspitze alle wichtigen Quotierungen. Bartsch: Mann, Reformer, aus dem Osten. Wagenknecht: Frau, hart links, seit einigen Jahren im West-Landesverband Nordrhein-Westfalen verankert.
Gysi erklärt unter Tränen seinen Rückzug
Im März aber machte Wagenknecht plötzlich alle Pläne zunichte. Sie hatte gerade in der Fraktion eine empfindliche Abstimmungsniederlage hinnehmen müssen. Es ging um die Verlängerung eines Griechenland-Rettungspaketes. Wagenknecht warb dafür, sich bestenfalls zu enthalten. Die Fraktionsmehrheit entschied sich, dem Paket zuzustimmen. Auch aus Respekt vor der frisch gewählten Syriza-Regierung in Athen. Wagenknecht war stinksauer. Dass sie in absehbarer Zeit für den Fraktionsvorsitz kandidieren würde, schloss sie danach kategorisch aus.
Ihr Forum:Die neue Linke: Wie schätzen Sie Wagenknechts Führungsstil ein?
Nach dem Rückzug von Gysi sollen Wagenknecht und Bartsch Die Linke-Fraktion führen. Während Bartsch die Fraktion zusammenhalten soll, könnte Wagenknecht versuchen, mit ihrem Einfluss eine rot-rot-grüne Koalition im Bund herbeizuführen - doch sie bleibt unberechenbar.
Gysi geriet unter Druck, noch zwei Jahre dranzuhängen. Er wollte nicht. Auf dem Parteitag der Linken am Wochenende in Bielefeld erklärte er unter Tränen seinen Rückzug. Wagenknecht hatte sich inzwischen wieder beruhigt. Von allen Seiten wurde sie bekniet, es sich noch einmal zu überlegen. Das hat sie jetzt offenbar getan.
Das Duo Wagenknecht/Bartsch gilt vielen in der Partei als Traumbesetzung. Gerade Wagenknecht ist nach Gysi das Zugpferd der Linken. Kein anderes Fraktionsmitglied - von Gysi abgesehen - redet pointierter und bringt seine Inhalte so konsequent auf den Punkt. Sie füllt Säle, ist das weibliche Gesicht der Linken in sämtlichen Talkshows. Eine Mobilisierungsmaschine, die ziemlich nahe an die Fähigkeiten ihres Ehemannes Oskar Lafontaine heranreicht.
Aber sie ist auch unberechenbar, ein Hochrisikofaktor. Der Ausraster im März war ja nicht ihr erster. Im Frühsommer 2012 hätte sie Parteichefin werden können. Und sollen, wenn es nach ihren Parteifreunden ganz links gegangen wäre. Sie hielt sich bis zum Schluss alle Optionen auf dem dramatischen Parteitag in Göttingen offen. Und entschied im letzten Moment, doch nicht anzutreten. Ihre Anhänger waren danach ebenso enttäuscht und sprachlos wie im März, als sie plötzlich den Fraktionsvorsitz von sich wegschob.
Ob die Operation Bartsch/Wagenknecht ein Erfolg wird, hängt deshalb vor allem von Wagenknecht ab. Bartsch sieht seine Rolle darin, die Fraktion zusammenzuhalten und womöglich nach der nächsten Bundestagswahl 2017 in eine rot-rot-grüne Regierung zu führen. Wagenknecht hat bisher gerne die Unterschiede betont. Regieren kommt für sie nur in Frage, wenn damit der Sozialismus praktisch gleich mit eingeführt würde. So klingen zumindest ihre Reden.
Rot-Rot-Grün oder Sozialismus?
Vor allem die Reformer hoffen, dass Wagenknecht ihre Fallbeil-Rhetorik im neuen Amt gegen das Florett eintauscht. Die Linke soll als starke Kraft wahrgenommen werden. Nicht als ein zerstrittener Haufen, in dem der Fraktionschef heute dies und die Fraktionschefin morgen das sagt. Mit ganz viel Optimismus könnte auch eine Chance für Rot-Rot-Grün in der Personalie Wagenknecht liegen. Ist sie von so einem Bündnis zu überzeugen, dann könnte sie auch ihre Hardcore-Linken in der Fraktion mitnehmen. Als wahrscheinlich gilt das jedoch nicht.
Kompromissfähigkeit gehört bisher nicht zu Wagenknechts Stärken. Sie hält fest an dem Konzept der Haltelinien - also den in möglichen Bündnisgesprächen nicht verhandelbaren Grundsätzen der Linken. Dazu gehört das klare und unmissverständliche Nein zu jeder Art von Auslandseinsatz der Bundeswehr. Wagenknecht würde wohl sogar Nein sagen, wenn nur ein einziger Mannschaftsbus mit Bundeswehrköchen zur Friedenssicherung mit deutschen Knödeln nach Mali geschickt werden sollte.
In der Opposition lässt es sich mit solchen Positionen Jahrzehnte überdauern. Regieren aber lässt sich so nur schwer. Gysi hat in seiner Abschiedsrede auf dem Parteitag in Bielefeld die Politik der Haltelinien klar abgelehnt und für Kompromissbereitschaft geworben. Wagenknecht applaudierte danach pflichtschuldig. Mehr aber nicht.