Libyen-Krieg:Wieso der Westen den Konflikt eskalieren muss

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Wie soll dieser Krieg nur enden? Die Nato-Nationen verlängern den Konflikt in Libyen künstlich, halten das Patt zwischen Gaddafi und den Rebellen aufrecht - aus Furcht vor einer unpopulären Entscheidung. Doch Furcht ist ein schlechter Ratgeber.

Stefan Kornelius

Als der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen am 17. März die Libyen-Resolution verabschiedete, war die Weltgemeinschaft getrieben von der Angst vor einem zweiten Srebrenica. Dort, im bosnischen Srebrenica, schauten im Juli 1995 vornehmliche niederländische Blauhelmsoldaten zu, wie eine bosnisch-serbische Soldateska bis zu 8000 muslimische Männer und Jungen verschleppte und massakrierte. Srebrenica ist zum Inbegriff geworden für die Seelenqualen der Weltgemeinschaft, wenn sie wieder einmal einen Massenmord in einem der Kriege in der Welt beobachtet - obwohl sie eigentlich auch helfen könnte.

Beschädigtes Gebäude in Gaddafis Machtkomplex in Tripolis: Der Westen könnte jetzt Schutzzonen errichten (Foto: REUTERS)

Mit der Libyen-Resolution wurde der Vormarsch der Gaddafi-Truppen in Ostlibyen gestoppt und ein Srebrenica in der zweitgrößten Stadt des Landes, in Bengasi, verhindert. Jetzt finden die Gräuel dennoch statt, in der Stadt Misrata, der drittgrößten Libyens. Hunderte Granaten und Raketen schlagen täglich im Zentrum ein, das einer Ruinenlandschaft gleicht. In einem zynischen Spiel um die Launen der Öffentlichkeit verkündet der Vize-Außenminister in Tripolis zwar einen Rückzug, um den lokalen Stämmen die Regelung der Angelegenheiten zu überlassen. Das Manöver dient aber wohl dazu, die Stämme in die Auseinandersetzung zu ziehen und tatsächlich einen Krieg der Ethnien anzufachen - der bisher ausgeblieben ist. Gaddafi lässt in Tripolis Gewehre ausgeben und ist wohl entschlossen, das Land auf breiter Front in den Abgrund zu stoßen.

Wer in Libyen in welcher Stärke kämpft und wie lange die Nation noch ausbluten wird, ist kaum zu durchschauen und zu ermessen. Einmal triumphieren die Aufständischen, dann zeigt Gaddafi wieder seine brutale Natur. Der libysche Krieg wird nicht schnell beendet sein, weil keine Seite wirklich stärker ist als die andere. Die Rebellen werden Tripolis nicht einnehmen können, genauso wenig wie Gaddafi Bengasi stürmen wird. Es herrscht ein militärisches Patt, so lautet das Urteil des amerikanischen Generalstabschefs Mike Mullen. Wie also soll das Ganze enden?

Die Nato und viele arabische Staaten können nicht so tun, als wären sie nicht Partei in diesem Krieg; das sind sie längst. Die Regierungschefs Cameron, Obama, Sarkozy und selbst Angela Merkel haben den Sturz Gaddafis zum Ziel erklärt. Kuwait gibt viel Geld für diesen Zweck, Katar sogar Flugzeuge. Eine Zukunft mit Gaddafi ist weder für sie noch für den Rest der Welt vorstellbar. Mit diesem Mann wird man keinen Frieden schließen können. Welches Potential sein Regime entwickeln kann, hat erst am Sonntagabend ein Sprecher Gaddafis klargemacht, der terroristische Racheakte in Aussicht stellte. Während der Westen also längst Partei ist, tut er noch immer so, als ginge ihn der Krieg nur aus der Entfernung etwas an. Das Weiße Haus schickt Drohnen und versteigt sich in der Analyse, dass dies der Moment für eine erzieherische Maßnahme sei: Die europäischen Verbündeten hätten sich gefälligst selbst um ihren Hinterhof zu kümmern - ganz so, als könne ein Präsident Obama die Verantwortung über Nacht schrumpfen, die sein Land über Jahrzehnte behauptet hat. Obama spielt leichtsinnig mit Amerikas Anspruch und mit den Hoffnungen vieler.

Eine gute Handvoll Nato-Nationen fliegen Luftangriffe, aber lediglich wohldosiert. Damit halten sie das Patt künstlich aufrecht - mehr aber auch nicht. Sie verlängern den Krieg, der ohne ihr Eingreifen längst entschieden wäre; aber sie entscheiden ihn ebenso wenig für sich oder die Aufständischen, zu deren Gunsten sie intervenieren. Dahinter verbirgt sich keine Strategie, sondern vor allem Furcht vor einer unpopulären Entscheidung, ein bisschen auch vor den arabischen Nachbarn Libyens und natürlich vor den militärischen Ungewissheiten. So ergibt sich eine politische Planlosigkeit, für die die Menschen in Misrata einen Preis zahlen - sie zahlen häufig mit ihrem Leben.

Drei Möglichkeiten bleiben: Erstens könnte der Westen den Einsatz abbrechen. Damit bliebe Gaddafi wohl an der Macht und das Gemetzel würde noch schlimmer. Diese Option kann niemand wollen. Zweitens könnte der Krieg noch eine Weile lang weiter simmern. Gaddafi gehen dann vielleicht die Waffen aus, der Aufstand könnte sich wie ein Kabelbrand nach Tripolis durchfressen - vielleicht, vielleicht auch nicht. Dieser Zustand kann noch lange anhalten, der Westen wird dieses zynische Geduldsspiel nicht durchhalten. Die dritte Option heißt Eskalation. Die Nato muss Schutzzonen für die Zivilbevölkerung am Boden einrichten und so zeigen, dass sie so zumindest partiell für eine Befriedung sorgen kann.

Die Einrichtung von Schutzzonen wäre ein deutliches militärisches und politisches Signal, sie wäre genau jene Botschaft, welche die Gaddafi-Gegner im Land brauchen, um glaubhaft Sicherheit vor dem unberechenbaren Diktator zu bekommen. Das UN-Mandat verbietet die Besetzung Libyens - Schutzzonen sind aber keine Besatzungszonen. Schutzzonen sind kampffreie Enklaven, die den Spielraum Gaddafis einengen und vor allem eine unmissverständliche Botschaft parat halten: Der Diktator wird diesen Krieg nicht gewinnen.

© SZ vom 26.04.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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