Libyen:Hilfe für den Warlord

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Überlebende der tödlichen Flut in Libyen protestieren in Derna gegen die Regierung. (Foto: Zohra Bensemra/Reuters)

Nach der Überschwemmungskatastrophe will Khalifa Haftar kontrollieren, wer die internationalen Gelder und Güter bekommt. Europa hält sich mit Kritik an dem Herrscher im Osten Libyens zurück - es braucht ihn noch.

Von Bernd Dörries, Kairo

Am Montag sind sie zum Haus des Bürgermeisters von Derna gezogen und haben es angezündet. Beliebt soll er nie gewesen sein, Abdulmenam al-Ghaithi, der sein Amt nicht dem Willen der Wähler zu verdanken hat, denn freie Wahlen gibt es nicht im Osten des zweigeteilten Libyens. Auch sind keine besonderen Kompetenzen bekannt, die al-Ghaithi für das Bürgermeisteramt in Derna befähigen. Die Stadt an der libyschen Küste, in der vor der Flutkatastrophe vom 11. September noch ungefähr 100 000 Menschen lebten, hätte nach Jahren des Niedergangs einen geschickten Bürgermeister gebrauchen können. Al-Ghaithi aber ist vor allem ein Gefolgsmann von Khalifa Haftar, dem Warlord, der den Osten Libyens wie sein Familienunternehmen führt und ihn nach Belieben ausplündert.

In Derna richtete sich der Zorn noch nicht gegen Haftar selbst, aber zumindest gegen seinen Statthalter. Die Bürger machen den Bürgermeister dafür verantwortlich, dass sie vor der Flutkatastrophe zu spät gewarnt wurden. Dass zwei Dämme oberhalb von Derna brachen, die in den Jahren davor schlecht bis gar nicht gewartet worden waren. Etwa hundert Menschen demonstrierten am Montag vor der Moschee. Danach forderten Haftars Leute Journalisten auf, die Stadt zu verlassen, angeblich, damit sie nicht die Rettungsmaßnahmen behindern. Das Internet ist seit den Protesten höchstens lückenhaft zugänglich, seit Dienstagmittag soll es ganz ausgefallen sein. Technische Probleme, sagen die Behörden im Osten.

Haftar beschränkt den Zugang, ein UN-Team musste umkehren

"Die Einwohner von Derna sind nicht mehr zu erreichen; sie sind von der Welt abgeschnitten, und es werden Ausreden und lächerliche Erklärungen über nicht näher bezeichnete Störungen abgegeben, ohne dass ein klarer Zeitplan für die Reparatur angegeben wird", schreibt der libysche Journalist Mohammed Elgrj auf der Plattform X (früher Twitter). Freie Berichterstattung aus dem Katastrophengebiet sei nur noch sehr eingeschränkt möglich. Seit fünf Tagen erteilt die Regierung im Osten keine Genehmigungen zur Einreise; Journalisten, die dennoch kommen, werden am Flughafen von Bengasi zurückgeschickt. Auch die Vereinten Nationen berichten, dass der Zugang nach Derna nicht mehr ungehindert möglich ist, ein UN-Team umkehren musste.

Der Osten Libyens unter der Kontrolle von General Haftar wird letztlich wie eine Militärdiktatur regiert, als eine persönliche Kolonie, die nach Gutdünken ausgeplündert werden kann. Haftar war einst ein Getreuer des Langzeitdiktators Muammar al-Gaddafi, die zwei zerstritten sich, Haftar ging in die USA und kam im Arabischen Frühling 2011 zurück. Nach dem von der Nato unterstützten Sturz Gaddafis glitt Libyen in einen Bürgerkrieg, seit Ende 2020 gibt es eine international anerkannte Regierung in Tripolis und Haftars Reich im Osten.

In dieses Reich fließen nun viele Millionen Euro Hilfsgelder. Etliche Geber hatten gehofft, dass man das Geld unter medialer Begleitung verteilen kann, damit zumindest deutlich wird, was ankommt - und was nach der Ankunft verschwindet. Haftar ist offenbar anderer Ansicht, er schränkt den Zugang ein. Mit dem Vorsitz der Notfallkoordination hat er seinen Sohn Saddam betraut, der nicht einmal einen weiterführenden Schulabschluss besitzen soll, es aber zum Brigadegeneral gebracht hat.

Haftars Sohn entscheidet, wer Geld und Hilfsgüter bekommt

Laut einem UN-Report von 2018 soll Saddam Haftar für die Plünderung von Konten der libyschen Zentralbank verantwortlich sein, dort verschwanden etwa zwei Millionen Euro und fast 6000 Silbermünzen. Nun werden noch mehr Schätze kommen, wenn nicht in bar, so doch als Hilfslieferungen. Haftars Sohn sieht sich offenbar als derjenige, der entscheidet, wer sie bekommt. Ein Foto auf X zeigt Saddam und drei Beamte des russischen Verteidigungsministeriums, wie sie sich zu Beginn der Krise über eine Landkarte beugen. Russland ist mit den Haftars verbündet, genau wie die Vereinigten Arabischen Emirate, deren Fernsehsender Al Hadath die Protestierenden in Derna in die Nähe von Terroristen bringt.

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Europäische Diplomaten berichten, dass man "aufmerksam beobachte", wie die Medien im Osten Libyens an der Arbeit gehindert werden. Öffentlich kritisiert hat man die Vorgänge aber bisher nicht. Viele Regierungen in Europa sehen in General Haftar eine Figur, an der man nicht vorbeikommt, wenn es darum geht, im geteilten Libyen wieder gemeinsame Wahlen zu ermöglichen.

Außerdem gilt Haftar als nützlich für das Bestreben, die Überfahrt von Migranten nach Europa zu verhindern: Bis zu einer Million sollen sich in beiden Teilen Libyens aufhalten, um einen Weg nach Norden zu suchen. Das Land heißt die Migranten als Einkommensquelle willkommen, man kann sowohl mit dem Menschenschmuggel als auch mit seiner Verhinderung Geld machen. Im Mai war Haftar zuletzt in Rom, um Premierministerin Giorgia Meloni zu treffen. Er wird ihr einen Preis genannt haben, zu dem er bereit ist zu helfen.

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