Leitkulturdebatte:Gauland und die Identität des Entsorgers

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Der AfD-Spitzenkandidat Alexander Gauland am 21. August in Berlin. (Foto: imago/IPON)

Was ist deutsch? Die Antwort darf man nicht den Leuten überlassen, die machodumm daherschwätzen und ein gestörtes Verhältnis zur Menschenwürde haben.

Kommentar von Kurt Kister

Alexander Gauland ist nicht irgendein verirrter Stammtisch-Halbnazi, sondern Spitzenkandidat der AfD. Er wollte die in Hamburg geborene, türkischstämmige SPD-Politikerin Aydan Özoğuz "in Anatolien entsorgen". Müll entsorgt man, und wer Menschen "entsorgen" will, der schwätzt entweder machodumm daher oder hat ein gestörtes Verhältnis zur Menschenwürde. Bei Gauland könnte beides zutreffen. Die Kanzlerin hat die Äußerung zu Recht als "rassistisch" bezeichnet.

Wer sich überlegt, am 24. September AfD zu wählen, muss wissen, wie weit rechts Teile der Partei mittlerweile stehen und dass ihr Spitzenkandidat ein Nationalreaktionär ist. Nein, das bedeutet nicht, dass jeder AfD-Wähler, wie das manche beklagen, "in die rechte Ecke gestellt" wird. Aber es heißt, dass eine Stimme für die AfD auch eine Stimme für das Gedankengut von Menschen-Entsorgern wie Gauland oder Polit-Biologisten wie Björn Höcke ist.

Der Anlass für Gaulands Rechtsgeblubber war eine Äußerung von Özoğuz, deren Inhalt durchaus fragwürdig ist. Im Mai hatte Özoğuz, Integrationsbeauftragte der Bundesregierung, im Berliner Tagesspiegel einen Beitrag zur Leitkultur-Debatte verfasst. Darin schrieb sie, dass "eine spezifisch deutsche Kultur jenseits der Sprache schlicht nicht identifizierbar" sei. Das ist, mit Verlaub, unklug bis falsch.

"Deutschsein" wird nicht nur von der Sprache bestimmt

"Leitkultur" ist ein Reizbegriff geworden. Wird er von Konservativen zwischen Bosbach und Seehofer benutzt, wittern die irgendwie Linken zwischen Claudia Roth und Özoğuz Bevormundung, Deutschtümelei und latente Xenophobie. Die Konservativen wiederum werfen den Leitkultur-Widersachern ideologischen Multikulturalismus, Heimatfeindlichkeit und Geschichtsklitterung vor. Dabei kann man den Begriff Leitkultur schlichtweg so verstehen, dass er beschreibt, was spezifische, für eine beträchtliche Anzahl von Menschen identitätsstiftende, zum Teil typische Merkmale für "Deutschsein" sind. Die Silbe "Leit-" sollte dabei nicht so verstanden werden, dass sie eine Rangordnung oder gar eine Bewertung ausdrückt. Nicht "Du musst" oder "Du sollst", sondern "Du bist" und "Du könntest sein".

Ein wichtiges Kriterium einer Nationalkultur ist die Sprache. Aber es gibt viel mehr, was das Identitätsgefühl vieler Deutscher formt, ohne dass es deswegen für jeden eine Bedingung seines Deutschseins sein muss. Also: Die Weimarer Klassik mit ihrem Denken und ihren Werken gehört dazu (das ist viel mehr als "Sprache") ebenso wie die regionale Vielfalt zwischen Rhein und Oder, die erst relativ spät im Nationalstaat organisiert wurde. Die lutherische Reformation war in vielen ihrer Ausprägungen ebenso "deutsch" wie der genozidale Imperialismus mit rasseideologischem Hintergrund. Übrigens: Auch die Zuwanderung seit den Gastarbeitern 1960 bis zu den Flüchtlingen 2015 hat Deutschland geprägt und geformt. Migration ist deutsch.

Dies alles ist "identifizierbar", und es lohnt sich sehr, darüber nachzudenken, auch zu streiten. Man darf diese Fragen jedenfalls nicht den Entsorgern überlassen.

© SZ vom 30.08.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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Von Katharina Brunner

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