Landtagswahl:"In Hessen ist es immer knapp"

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Ministerpräsident Bouffier versucht es im Einkaufszentrum, die Grünen mit Tarek Al-Wazir in einem alten Elektrizitätswerk. Nur Sozialdemokraten und Liberale setzen auf die klassische Fußgängerzonen-Variante. Wie die Parteien im Landtagswahlkampf in letzter Minute noch um Stimmen kämpfen. Szenen aus Hessen.

Von Oliver Klasen, Frankfurt

Wenn Schauspieler oder Popsänger in Einkaufszentren Autogramme geben und für Fotos posieren, dann ist das eine ziemlich unwürdige Nummer, die nach Karriereende riecht. Bei Politikern aber gilt das, was der hessische Ministerpräsident Volker Bouffier hier macht, als Ausweis ihrer Bürgernähe.

Es ist 18:20 Uhr am Samstag, NordWestZentrum Frankfurt, einer dieser riesigen verglasten Shoppingpaläste. Schon die Namen der Straßen, an denen dieses Zentrum liegt, können Bouffier nicht gefallen: Rosa-Luxemburg-Straße, Erich-Ollenhauer-Ring, beides Politiker, die, lebten sie noch, einer CDU-geführten Regierung eher reserviert gegenüberständen. Und dann ist da gerade auch noch diese Dinosaurier-Ausstellung im Foyer des Einkaufszentrums. Vielleicht auch kein optimales Symbol.

Aber darauf kann Bouffier keine Rücksicht nehmen. In knapp 24 Stunden schließen die Wahllokale, und dann wird sich zeigen, ob sein Auftritt nach Karriereende riecht. Oder ob Bouffier Ministerpräsident von Hessen bleiben kann. Also schreibt er jetzt Autogramme, schüttelt Hände und geht spontan auf unschuldige Menschen zu, die im Eiscafé ihren Cappuccino trinken. Canvassing-Tour heißt das Ganze in der Sprache der Parteistrategen, was soviel meint, dass es keine großen Reden mehr gibt, sondern nur persönliche, direkte Gespräche mit potenziellen Wählern. "Näher am Menschen", so hieß vor ein paar Jahren mal ein Wahlkampfslogan der CDU. Es ist genau das, was Bouffier hier versucht.

Liberale wählen den Klassiker

Die FDP wählt für ihren Wahlkampfabschluss die klassische Variante: Fußgängerzone, Hauptwache Frankfurt, beste Einkaufszeit, Freitag spätnachmittag, große Bühne. Rainer Brüderle, der Spitzenkandidat, macht den Anfang. Was er kann: Politik plastisch machen, runterbrechen wie man sagt und dabei keine Angst haben vor schlichten Botschaften. "Die Eurobonds, manche denken an James Bond dabei, aber das sind Staatsanleihen", sagt Brüderle. Diese Eurobonds, also gemeinsame Anleihen für die ganze Euro-Zone, über die mancher SPD-Politiker schon mal nachgedacht hat, seien "Zinssozialismus" und "Sozialismus ist immer Mist, auch bei den Zinsen".

Und er schiebt nach: "Wirtschaftsforscher haben ausgerechnet", sagt er jetzt "dass Rot-Grün 400.000 Arbeitsplätze kostet, und die Linke, die kostet 900.000 Arbeitsplätze", sagt der FDP-Mann. Welche Forscher das ausgerechnet haben sollen, sagt er nicht.

Hessen: FDP-Bundesvorsitzender Philipp Rösler und der hessische FDP-Landesvorsitzende Jörg-Uwe Hahn im Juli in Frankfurt am Main (Foto: dpa)

"Liebe Freunde der Freiheit", das ist die Lieblingsformulierung von FDP-Spitzenmann Jörg-Uwe Hahn. Sie gefällt ihm so gut, dass er sie in seiner kurzen Rede an der Frankfurter Hauptwache gleich sechsmal verwendet. Weit kommt er jedoch zunächst nicht, denn Hans-Dietrich Genscher schiebt sich von der Seite durch die Zuschauermenge. Lauter Applaus brandet auf, so lange, bis Genscher sich auf einen Stuhl in der ersten Reihe gesetzt hat.

Später erzählt Genscher von 1949, als er nicht wählen durfte, weil er damals im Osten lebte. Frieden, Freiheit, Europa, das sind seine Themen. Seiner Frau habe er eigentlich versprochen, keinen Wahlkampf mehr zu machen, aber da die Lage der Liberalen derzeit nicht gerade komfortabel ist, "mische ich nochmal mit", sagt Genscher, der zu diesem Anlass auch seinen gelben Pullunder nochmal aus dem Schrank geholt hat.

Philipp Rösler, der Parteichef, der als letzter redet, bekommt den meisten Applaus, als er auf die Verbote zu sprechen kommt, die die Grünen angeblich planen. Es ist der entscheidende Moment seiner Rede, er zieht jetzt einen Umschlag aus der Jackettasche, er habe sich das aufgeschrieben. "Nachtflugverbot, Motorrollerverbot, Grillverbot, Heizpilzverbot, Verbot von Flatrate-Partys, Alkoholverbot in der Öffentlichkeit, Klimaanlagenverbot, Verbot von Tieren in Zirkussen". Es geht noch eine ganze Weile weiter. Das Publikum tobt, Grünen-Bashing kommt immer gut an bei FDP-Anhängern.

Tarek Al-Wazir, der Spitzenkandidat der hessischen Grünen, spricht beim Wahlkampfhöhepunkt in der Darmstädter Centralstation eine schlichte Wahrheit aus. "In Hessen ist es immer knapp", sagt Al-Wazir. Eine Wahrheit allerdings, die sich oft auch schon gegen die Grünen gewendet hat. 1987 zum Beispiel, als eine rot-grüne Zusammenarbeit schon fest verabredet war, aber am Ende 11.000 Stimmen die Wahl zugunsten von Union und FDP entschieden.

"Hessische Verhältnisse" nannte man das früher, wenn keine der großen Parteien eine klare Mehrheit hatte. Inzwischen hat der Begriff aber noch einen anderen Beigeschmack: Den des Wortbruchs, weil die damalige SPD-Chefin Andrea Ypsilanti im Jahr 2008 entgegen ihrer Ankündigung nach der Wahl doch mit den Linken paktieren wollte, damit fürchterlich scheiterte und CDU-Mann Roland Koch sich im Amt halten konnte.

Hessen: Tarek Al-Wazir, Spitzenkandidat von Bündnis 90/Die Grünen (Foto: dpa)

Al-Wazir ist zuversichtlich, dass es diesmal anders kommt. "Es gibt im Land eine Wechselstimmung", sagt er und arbeitet sich dann an der schwarz-gelben Regierung ab. Die habe in Kassel für 270 Millionen Euro einen Regionalflughafen gebaut, auf dem zwei Jets pro Tag landeten. "Alle, die da von wirtschaftlichem Sachverstand redeten, sollten besser schweigen", sagt Al-Wazir, der gerne Wirtschaftsminister werden will. "CDU und FDP sagen, ein Wirtschaftsminister Al-Wazir ist ein Schreckgespenst", sagt Al-Wazir. "Wouuuuuu", macht er dann, und "Wouuuuuu" macht auch das Publikum.

Überhaupt ist das Ganze wie ein Rockkonzert organisiert. Die Mikrofone für die Band, die nach den Reden spielen soll, sind schon aufgebaut. Es gibt Bier und Bionade und am Rand der Centralstation, die früher einmal das erste Elektrizitätswerk Darmstadts war, ist ein Merchandising-Stand aufgebaut. Poloshirts mit Grünen-Logo bekommt man dort, grüne Quitsche-Entchen und Jutebeutel, bedruckt mit Joschka Fisches legendärem Satz, gesagt 1984, als Richard Stücklen, der Bundestagspräsident von der CSU, einer grünen Abgeordneten das Mikrofon ab-gestellt hatte: "Mit Verlaub, Herr Präsident, Sie sind ein Arschloch". Hach, die alten Zeiten.

Die SPD will vor historischer Kulisse noch mal groß auffahren. Frankfurter Innenstadt, Römerberg, nicht weit von der Paulskirche weg, wo 1848 das erste Parlament auf deutschem Boden tagte. Eine runde Fläche, das Podest mit dem Redner inmitten potenzieller Wähler. Es ist die Art von Wahlkampf, die Peer Steinbrück am besten kann - und tatsächlich wird er sich hier gut präsentieren.

Vorher hat sich die SPD allerdings Angela Merkel eingeladen, genauer gesagt den Travestiekünstler Bäppi La Belle, der die Rauten-Fingerhaltung und die heruntergezogenen Mundwinkel zu seinem Standard-Repertoire zählt und die SPD-Anhänger auch mit ein paar zottigen Witzchen erfreut: "Was haben Licher Bier und die FDP gemeinsam?", fragt Beppi. Antwort: "4,9 Prozent".

Hessen: der SPD-Spitzenkandidat Thorsten Schäfer-Gümbel und Kanzlerkandidat Peer Steinbrück (Foto: dpa)

Auf der großen Leinwand zeigen sie dann ein Einspielfilmchen. Schnell wechselnde Szenen, der Spitzenkandidat auf dem Marktplatz, im Altenheim, auf der Baustelle und im Cockpit bei einem Piloten. Einer, der überall hingeht und sich kümmert, so die Botschaft, die im Subtext mitschwingt.

"Wer ist das?", fragt ein Sohn, der mit seiner Mutter hergekommen ist und am Sonntag vermutlich zum ersten Mal wählen darf. "Thorsten Schäfer-Gümbel", sagt die Mutter. "Merk dir das Gesicht. Das ist der Mann in Wiesbaden, den wir morgen wählen", und ihr Gesicht sagt, dass in dieser Sache kein Widerspruch geduldet wird.

Schäfer-Gümbel, oder TSG, wie ihn seine Freunde nennen, holt erstmal sein Kompetenzteam auf die Bühne, "damit Sie die wenigstens einmal gesehen haben". Eigentlich eine gute Idee, den abgesehen von der Energieexpertin Claudia Kemfert sind die meisten anderen Ministeranwärter einer größeren Öffentlichkeit unbekannt.

Schäfer-Gümbel gibt den Anheizer für Steinbrück, denjenigen, der die wichtigsten Wahlkampfbotschaften - mehr Kita-Plätze und Mindestlohn zum Beispiel - schon mal unter die Leute bringt.

"Eins akzeptiere ich nicht mehr, dass die Frage, wer Leistungsträger ist in dieser Gesellschaft, an der Frage des Einkommens hängt", sagt Schäfer-Gümbel und dann zählt er sie alle auf, diejenigen, um die sich die SPD mehr kümmern will: "Die Krankenschwestern, die Polizisten, die ehrenamtlichen Helfer, "die jeden Tag arbeiten und keinen Reichtum nach Hause bringen".

Null Toleranz für Steuersünder, fordert Schäfer-Gümbel noch und leitet über zu "dem Mann, der die Kavallerie erfunden hat".

Der Tross mit den CDU-Leuten bewegt sich jetzt ein bisschen von der Stelle. "Damit wir gesehen werden", sagt einer von Bouffiers Mitarbeitern. Also läuft der Ministerpräsident durch die Gänge des Einkaufszentrums, schüttelt Hände, formt sich zu einem Gruppenbild mit Jugendlichen, von denen einige vielleicht gar nicht wissen, wer der nette Onkel überhaupt ist, mit dem sich da ablichten lassen. Eilfertige Mitglieder der Jungen Union dokumentieren alles mit ihren Smartphones, und wieder andere halten laminierte Schilder hoch, auf denen entweder "Wir wollen Volker" oder "Bouffier-2013.de" steht.

Hessen: Volker Bouffier (CDU) mit Kanzlerin Angela Merkel (CDU) (Foto: REUTERS)

Bouffier kommt dann an ein paar Jungs vorbei, die auf einer Bank sitzen. Sie haben vorhin weiße CDU-Luftballons be-kommen, doch sie haben sie besudelt, mit Kuli haben sie den Schriftzug "TSG" darauf gekritzelt, darüber sogar noch eine Krone gemalt, ob aus eigenem Antrieb oder indoktriniert von womöglich SPD-nahen Eltern, lässt sich nicht feststellen.

Bouffier spürt, dass er hier mit Politik nicht weiter kommt. "Kennt ihr schon die Bundesliga-Ergebnisse", fragt er deshalb. Die drei Jungs kennen sie nicht, immerhin diese Botschaft kommt also rüber.

Es ist 19.15 Uhr im Nordwestzentrum in Frankfurt, zwischen Rosa-Luxemburg-Straße und Erich-Ollenhauer-Ring, die Sonne geht langsam unter, die Arme der Plakate hochhaltenden Bouffier-Unterstützer werden ein bisschen schwerer, der Stapel mit den Autogrammkarten kleiner und es scheint, als ob es das gewesen ist, mit dem Wahlkampf. Jetzt müssen die Bürger entschieden, wie die "hessischen Verhältnisse" in den kommenden fünf Jahren aussehen.

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