Schicksal der "Landshut":Der Flieger, der Geschichte machte

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Die Entführung und Befreiung der Lufthansa-Maschine 1977 war eine der prägendsten Episoden der deutschen Nachkriegsgeschichte. Nun gibt es Geld und Ideen dafür, was mit dem Flugzeugrumpf gemacht werden könnte.

Von Joachim Käppner, München

Es war, als ob das Jahr 1977 noch nicht genug Prüfungen für Jürgen Vietor gebracht hätte. Am 13. Oktober entführte ein Terrortrupp der palästinensischen Extremistengruppe PFLP-SC die Lufthansa-Maschine L andshut, um die im Gefängnis von Stuttgart-Stammheim einsitzenden Gesinnungsgenossen der "Roten Armee Fraktion" freizupressen.

Vietor flog die Boeing 737 am Beginn einer tagelangen Odyssee des Schreckens als Co-Pilot -und dann allein, nachdem die Entführer in Aden den Flugkapitän Jürgen Schumann ermordet hatten.

Qual, Schläge, Drohungen, Psychoterror, die Verantwortung für die Passagiere und Besatzungsmitglieder - das alles war plötzlich vorüber, als am 18. Oktober die Polizeispezialtruppe GSG 9 die Landshut auf dem Flughafen der somalischen Hauptstadt Mogadischu stürmte und drei von vier Terroristen erschoss. Eine Mittäterin überlebte schwer verletzt.

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In Stammheim beging die RAF-Spitze Suizid, zur Rache erschossen Bandenmitglieder den entführten Arbeitgeberpräsidenten Hanns Martin Schleyer. Es war der Höhepunkt des "Deutschen Herbstes", des Angriffs des Linksterrorismus auf die Republik.

Für Jürgen Vietor hatte all das ein leicht gespenstisches Nachspiel: Als er nach einer Erholungspause erstmals wieder seinen Job antrat und ein Lufthansa-Cockpit bestieg - da war es tatsächlich jenes der Landshut, die, inzwischen von Blut und Dreck gereinigt, die Einschusslöcher ausgebessert, einfach weiterflog. Und genau das tat auch Jürgen Vietor.

Er hat seitdem den Weg der später ausgemusterten, mehrmals weiterverkauften Maschine stets verfolgt und war 2017 mitbeteiligt, als der damalige Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) kurz vor der Bundestagswahl das Wrack der Landshut von einem Flugzeugfriedhof im brasilianischen Fortaleza nach Deutschland heimbringen ließ.

Es war ein spektakulärer und zugleich symbolischer Akt, die Boeing 737 sollte zu einem Erinnerungsort an jene Jahre des linksextremen Terrors werden. In Friedrichshafen wurde sie in einen Hangar gestellt - und dann passierte drei Jahre lang nichts.

Es ging um das Geld, um den passenden Standort, um ein Museumskonzept; und nur leicht verkürzt ausgedrückt: Nichts davon war wirklich da.

Der Rumpf der ehemaligen Lufthansa-Maschine "Landshut" wird am 23. September 2017 auf dem Flughafen von Friedrichshafen auf einen Tieflader gehoben. Das 1977 von Terroristen entführte Flugzeug wurde von Brasilien nach Deutschland transportiert und zunächst in einem Hangar gelagert. (Foto: Karl-Josef Hildenbrand/dpa)

Bis vergangenen Donnerstag, als der SPD-Abgeordnete Martin Gerster während der Etatdebatte im Bundestag die Wende verkündete: Die Landshut bleibt in Friedrichshafen, sie wird restauriert und erhält 15 Millionen Euro für die "Umsetzung eines Ausstellungskonzepts", die Hälfte davon ist ein Betriebskostenzuschuss über zehn Jahre.

Federführend bei dem Projekt soll die Bundeszentrale für politische Bildung sein. Darauf hatten sich die Haushälter von Union und SPD geeinigt.

Das neue Museum soll viele Menschen erreichen, weshalb, so das Vorhaben, der Eintritt maximal fünf Euro kosten wird. "Die Befreiung der Landshut ist bis heute Symbol unserer wehr­haften Demokratie und einer freien Gesellschaft, die sich von Terror nicht unterkriegen lässt", sagte Gerster. Und überhaupt: "Irgendwann muss man Dinge mal entscheiden."

Was hatte es, bevor sich die Bundestags-Haushälter in einer Nachtsitzung einigten, nicht für Ideen gegeben. Die Landshut sollte ans Hauptquartier der GSG 9 im rheinischen Hangelar. Oder zum Haus der Geschichte nach Bonn. Oder nach Fürstenfeldbruck.

Zuletzt ersann das Kulturstaatsministerium sogar die Idee, sie beim Militärhistorischen Luftfahrt-Museum in Berlin-Gatow aufzustellen oder die Maschine auseinanderzunehmen und diverse Standorte mit Einzelteilen zu beliefern.

Jürgen Vietor hat vor allem Letzteres erbost: "Von der Idee, die Maschine zu zerlegen, halte ich gar nichts. Hier ein Türchen, dort das Leitwerk, anderswo die Treppe und der Rest kommt in die Schrottpresse und wird zu Coladosen verarbeitet - was soll das?"

In Friedrichshafen war man zunächst nicht begeistert

Für eine Dauerausstellung, gar ein Museum um den "Deutschen Herbst" 1977 herum bietet sich kein spezieller Standort an - die ganze Republik war vom RAF-Terror betroffen. Friedrichshafen, das Vietor und andere Überlebende der Landshut unterstützt hatten, bietet diverse Vorteile.

Es ist bis heute eine Region der Luftfahrttechnik, es gibt ein Zeppelin- und ein Dornier-Museum, der nahe Bodensee garantiert Besucher. "Sicher, es mag theoretisch noch andere gute Standort geben", sagt Gerster: "Aber Friedrichshafen die bestmögliche Lösung, denn dort gibt es, was anderswo fehlt: ein Grundstück, und die Maschine selbst befindet sich schon dort. Dazu die Bereitschaft, das Konzept umzusetzen."

Das Grundstück gehört David Dornier, der sich eben erst als Direktor und Stiftungsvorsitzender des Dornier-Museums verabschiedet hat.

Als Privatmann will er mithelfen, die berühmte Lufthansa-Boeing in Friedrichshafen der Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Er wolle, wie es heißt, ein privates Grundstück neben dem Dornier-Museum dafür bereitstellen.

Endlich angekommen: Mit dem Rumpf der "Landshut" posieren (von links nach rechts) der ehemalige Direktor und Stiftungsvorsitzende des Dornier-Museums, David Dornier, Ex-Pilot Jürgen Vietor, die ehemalige Passagierin Diana Müll und die frühere Stewardess Gabriele von Lutzau. (Foto: Arnd Wiegmann/REUTERS)

Jürgen Vietor freut das: "Mit Friedrichshafen bin ich sehr zufrieden - das ist jetzt eine gute Lösung nach langen Jahren der Warterei."

Auch Martin Rupps, Mitglied des Wissenschaftlichen Beirats für die Geschicke der Landshut und maßgeblich an der Rettung des Flugzeuges beteiligt, sieht das so: "Ich würde mich freuen, wenn das Ausstellungskonzept die Ereignisgeschichte einbettet in eine Auseinandersetzung mit dem Prinzip der wehrhaften Demokratie - denn auch, wenn die Terroristen heute andere wie Neonazis und Islamisten sind, die Bedrohung der freiheitlichen Gesellschaft gibt es ja auch heute."

Die Stadt Friedrichshafen übrigens hatte zunächst aus Angst vor den Kosten und offenbar auch vor Assoziationen ihres Namens mit der RAF ein wenig ungnädig auf Vorschläge reagiert, die Landshut auf dem Gemeindegebiet aufzustellen.

Aber man hat sich mit dem Schicksal, ein weiteres großes Museum zu erhalten, nun wohl doch abgefunden. Eine Sprecherin erklärte in der Lokalpresse, es sei "ein gutes Signal, dass sich nun wohl eine bundespolitische Lösung und Finanzierung abzeichnet".

"Das packt einen hier, es ist ein authentischer Lernort"

Euphorie mag anders klingen, aber andere Beteiligte sind voll davon. Zum Beispiel der Haushälter Gerster, dessen Wahlkreis Biberach in der Nähe liegt und der das Wrack bereits besichtigt hat: "Ich bin in Friedrichshafen in die Maschine gestiegen. Das Gefühl, was es bedeuten muss, fünf Tage und fünf Nächte in einer so engen Kabine zu sitzen, in Lebensgefahr - das packt einen hier, es ist ein authentischer Lernort."

Währenddessen ist Jürgen Vietor schon beratend auf einer weiteren geschichtspolitischen Baustelle aktiv. Hier wäre die Lösung, für die er eintritt, einfacher und auch preiswerter, aber ebenso einsichtig.

Die Hans-Joachim-Marseille-Kaserne im schleswig-holsteinischen Appen soll umbenannt werden und künftig den Namen des ermordeten Landshut-Piloten Jürgen Schumann tragen, Vietors Freund und Kollege. Dieser hatte, bevor er zur Lufthansa kam, bei der Luftwaffe den Starfighter geflogen.

Marseille war während des Zweiten Weltkrieges einer der erfolgreichsten, von der Nazipropaganda bejubelten deutschen Jagdflieger gewesen. Er hat, bei 158 Abschüssen, Leben genommen; Schumann hat durch seine Umsicht viele Leben gerettet und das eigene gegeben.

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