Ankunft Tausender Migranten:Lampedusa ruft Notstand aus

Lesezeit: 3 min

Migranten flüchten aus dem Hotspot auf Lampedusa. (Foto: YARA NARDI/REUTERS)

Mehr als 5000 Menschen sind in Booten auf der Insel angekommen - innerhalb von 24 Stunden. Das Aufnahmelager ist völlig überfüllt, der Bürgermeister schlägt Alarm. Beim Versuch der Küstenwache, Menschen zu retten, fällt ein Säugling ins Wasser und ertrinkt.

Wie dramatisch die Lage auf Lampedusa ist, verdeutlichen drei Zahlen und ein Zitat. Auf der im südlichen Mittelmeer gelegenen, zu Italien gehörenden Insel kommen immer mehr Menschen an, die mit dem Boot über das Wasser geflüchtet sind. 5100 waren es am Dienstag innerhalb eines Tages, berichtet die italienische Nachrichtenagentur Ansa, so viele wie noch nie.

6800 Geflüchtete halten sich derzeit auf der Insel auf, die meisten von ihnen in einem Erstaufnahmelager. Dessen Kapazität: 400 Personen, eigentlich.

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Das Zitat stammt von Filippo Mannino, dem Bürgermeister von Lampedusa. "Jeder hat in irgendeiner Weise den Migranten geholfen, die Hilfe brauchten. Aber jetzt ist es wirklich an der Zeit, nach einer strukturellen Lösung zu suchen."

Tausende Menschen, die mit Booten über das Mittelmeer kamen, sind auf der italienischen Insel Lampedusa angekommen. Die Erstaufnahmelager sind überfüllt. (Foto: Marcello Valeri/dpa)

Der Gemeinderat von Lampedusa hat den Notstand ausgerufen. Die Bürger seien verzweifelt und verlangten mehr Unterstützung, so der Bürgermeister. Es sei in dieser Lage, "trotz immenser logistischer Anstrengungen" unmöglich, eine angemessene Hilfe für die Migranten zu gewährleisten.

Salvini verschärft den Ton

Welche konkreten Auswirkungen der jetzt ausgerufene Notstand hat, ist unklar. Wegen der hohen Migrationszahlen über die Mittelmeerroute hat auch die von einer rechten Koalition gebildete Zentralregierung in Rom bereits im April einen Notstand ausgerufen. Italien müht sich seit Jahren um mehr Solidarität der anderen EU-Staaten bei der Verteilung der Geflüchteten.

Matteo Salvini, Chef der rechten Lega und Juniorpartner in der Koalition von Ministerpräsidentin Giorgia Meloni, verschärft den Ton, wie der italienische Rundfunk berichtet. "Wenn 120 Boote zur gleichen Zeit auf Lampedusa ankommen, ist dies kein einzelner Vorfall, sondern ein Kriegsakt. Das führt nicht nur Lampedusa, sondern die gesamte italienische Gesellschaft zum Zusammenbruch", so Salvini. Man werde nun in der Regierung darüber beraten, wie die Migration zu stoppen sei und wie man künftig verhindern könne, dass sich Szenen wie derzeit auf Lampedusa wiederholen.

Nach Zahlen des italienischen Innenministeriums wurden seit Beginn des Jahres bereits fast 124 000 Menschen registriert, die auf Booten Italien erreichten - im Vorjahr waren es von Januar bis Mitte September etwa 65 000. Sollte der Trend anhalten, könnte bis Ende des Jahres gar die Rekordzahl von 2016 übertroffen werden. Damals kamen 181 000 Menschen.

Lampedusa liegt 190 Kilometer von der tunesischen Küstenstadt Sfax entfernt und gehört seit Jahren zu den Brennpunkten der Migration nach Europa. Am Hafen spitzte sich die Lage am Mittwochnachmittag zu. Hunderte Migranten versuchten nach übereinstimmenden Medienberichten, den Hafen zu verlassen und Absperrungen zu durchbrechen. Wie auf Videos zu sehen war, drängte die Polizei die Menschen zurück.

In der Nacht auf Mittwoch kam es zu einem Unglück: Als die Küstenwache versuchte, 46 Menschen von einem Boot an Land zu bringen, fiel ein erst fünf Monate alter Säugling ins Wasser und ertrank. Die Familie des Babys - die Mutter ist minderjährig, wie italienische Medien berichten - hatte sich aus Guinea auf den Weg nach Europa gemacht. Ihr Boot kam, wie die meisten Flüchtlingsboote, aus der tunesischen Stadt Sfax. Auch andere Menschen seien im Wasser gelandet, hätten sich aber retten können. Für das kleine Kind jedoch kam jede Hilfe zu spät.

Streit zwischen Berlin und Rom

Der Umgang mit den Migranten sorgt auch für neue Diskussionen zwischen der Bundesregierung und der rechten Regierung in Italien. Berlin setzte ein Programm zur freiwilligen Aufnahme von Migranten aus Italien aus, wie das Bundesinnenministerium bestätigte. Ursprünglich hatte Deutschland zugesagt, 3500 Asylbewerber aus besonders belasteten Staaten an Europas Außengrenzen im Süden zu übernehmen.

Bislang wurden über den sogenannten freiwilligen europäischen Solidaritätsmechanismus - an dem sich Staaten wie Ungarn oder Polen weigern teilzunehmen - 1700 Schutzsuchende überstellt. Sie können ihr Asylverfahren in Deutschland durchlaufen. Weitere Aufnahmen seien nun jedoch nicht mehr geplant, sagt die Bundesregierung.

Als Grund gibt Berlin neben dem "hohen Migrationsdruck nach Deutschland" und einer "angespannten Situation bei der Aufnahme und Versorgung von Flüchtlingen" auch Probleme bei der Rückübernahme von Migranten nach den sogenannten Dublin-Regeln an. Diese Regeln, im Juni 2022 neu gefasst, sehen vor, dass Asylbewerber ihren Antrag - bis auf wenige Ausnahmefälle - im ersten EU-Land stellen müssen, in dem sie registriert wurden. Wer es dennoch in einem anderen Staat versucht, kann dorthin zurückgeschickt werden. Italien nimmt jedoch seit einiger Zeit keine Migranten mehr zurück.

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