Kuba:Die Jungen hauen ab, den Alten bleibt der Niedergang

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"Patria y vida", Vaterland und Leben, war der Schlachtruf der Demonstranten vor zwei Jahren. Damals entlud sich viel Wut. (Foto: Yamil Lage/AFP)

Vor zwei Jahren wurde Kuba von schweren Protesten erschüttert. Vor dem Jahrestag am 11. Juli ist die Stimmung angespannt. Denn die Lage im Land hat sich nicht verbessert, im Gegenteil.

Von Christoph Gurk, Buenos Aires

Seit Tagen hat Luis Manuel Otero Alcántara nichts mehr gegessen. Nicht einmal Wasser soll der 35-Jährige getrunken haben, sicher ist das aber nicht, denn es dringen kaum Nachrichten aus dem Hochsicherheitsgefängnis in Guanajay, Kuba. Otero Alcántara einer der bekanntesten Regimekritiker auf der sozialistischen Karibikinsel. Der Künstler und Aktivist ist Mitbegründer des sogenannten Movimiento San Isidro, einer politischen Bewegung von Intellektuellen, die seit 2018 für Meinungsfreiheit kämpft und gegen Zensur. Immer wieder wurde Otero Alcántara deswegen verhaftet und verhört, immer wieder kam er aber frei, so jedenfalls war das bis zum 11. Juli 2021.

Damals brachen in Kuba überall Massenproteste aus. Konkret ging es um die ständigen Stromausfälle auf der Insel und die immer schlimmer werdende Lebensmittelknappheit. Dazu skandierten Demonstranten aber auch "patria y vida", auf Deutsch so viel wie "Vaterland und Leben", eine Textzeile, die aus einem Rapsong stammt und die zu so etwas wie einer regimekritischen Hymne in Kuba geworden ist.

Auch Minderjährige und Künstler wanderten in den Knast

Die Proteste im Juli 2021 waren die größten, die es auf der Insel in den letzten Jahrzehnten gegeben hat. Die Regierung reagierte mit Härte, Polizisten prügelten auf die größtenteils friedlichen Demonstranten ein, es gab Massenverhaftungen, sogar Minderjährige wurden festgenommen, und auch Künstler und bekannte Oppositionelle landeten im Knast, darunter auch Luis Manuel Otero Alcántara. Dort sitzt er nun, verurteilt wegen "Beleidigung von Vaterlandsymbolen, Missachtung des Gerichts und Störung der öffentlichen Ordnung". Menschenrechtsorganisationen aber sagen, der Künstler sei ein politischer Gefangener, eingesperrt vor allem deswegen, weil er offen seine Meinung gesagt hat. Otero Alcántara will darauf auch in Haft nicht verzichten, darum ist er nun in den Hungerstreik getreten, wenige Tage vor dem Jahrestag der Proteste vom 11. Juli 2021.

Zum zweiten Mal jähren sich diese nun, und die Stimmung auf der Insel ist gespannt. Im Netz berichten Exil-Medien und Kubaner von verstärkten Polizeikontrollen, Soldaten seien auf den Straßen unterwegs, es gebe Kontrollposten und Patrouillen. Die Regierung in Havanna scheint jedenfalls nervös, was auch daran liegen dürfte, dass sie weiß, dass sich die Lebensbedingungen auf der Insel in den letzten beiden Jahren nicht verbessert haben, im Gegenteil.

Es ist die schlimmste Krise seit Jahrzehnten, oft reicht das Geld kaum zum Überleben

Kuba steckt derzeit in der schlimmsten sozioökonomischen Krise seit Jahrzehnten. Die Versorgungslage auf der Insel ist katastrophal, es fehlt teilweise selbst an Grundnahrungsmitteln und auch Medizin ist knapp. Vor Läden bilden sich lange Schlangen, dazu frisst die Inflation die Gehälter auf, der staatliche Lohn reicht oft nicht mehr zum Überleben.

Dazu ist auch seit Monaten das Benzin knapp. Früher bekam Kuba seinen Treibstoff vor allem aus dem sozialistischen Bruderstaat Venezuela, dort aber steht die Ölindustrie selbst vor einem Kollaps, Lieferungen werden darum immer spärlicher und vor den Tankstellen in Kuba bilden sich nun lange Schlangen, der öffentliche Nahverkehr bricht zusammen, sogar die traditionellen Kundgebungen zum 1. Mai mussten auf der Insel wegen der Benzinknappheit verschoben werden.

Die Gründe für Kubas Krise sind vielfältig: Einerseits sind da staatliche Misswirtschaft und US-Sanktionen, teilweise schon vor Jahrzehnten verhängt, unter Donald Trump aber noch einmal massiv verschärft. Dazu kam dann 2020 noch die Corona-Pandemie: Sie brachte mit einem Schlag den für Kuba überlebenswichtigen Tourismus zum Erliegen. Und kaum durften Kreuzfahrtschiffe und Flugzeuge dann wieder in Havanna anlegen und landen, begann Russland mit seiner Invasion in der Ukraine. Aalten sich früher vor allem auch Urlauber aus Sankt Petersburg oder Moskau an den Karibikstränden von Kuba, so blieben diese nun aus, zu unsicher die Zeiten, zu kompliziert die Flugverbindungen. All das spürt man massiv in Kuba.

Inmitten des Massenexodus beschwört der Präsident noch immer die Ideale der Revolution

Inmitten der Krise hat ein Massenexodus eingesetzt. Allein letztes Jahr wurden 250 000 Kubaner an US-Grenzen registriert, und rechnet man die letzten fünf Jahre zusammen, so hat fast ein Fünftel der Bevölkerung die Insel verlassen. Für Kuba ist das eine Katastrophe, gesellschaftlich, aber auch ökonomisch, denn es sind nicht die Alten, die weggehen, sondern die Jungen.

Wie es nun weitergeht, ist fraglich. Kubas Präsident Miguel Díaz-Canel wurde trotz all der Krisen gerade erst für eine weitere Amtszeit bestätigt. 2018 galt er noch als Hoffnung auf etwas mehr Öffnung und neue Freiheiten. Tatsächlich gab es ein paar wirtschaftliche Reformen, unter anderem dürfen Kubaner nun kleinere und mittlere Unternehmen mit bis zu 100 Angestellten gründen. Inmitten der schweren Wirtschaftskrise und dem Ausbleiben von Touristen wagt das aber kaum jemand, dazu fehlen auch Kredite, und die US-Sanktionen tun ihr Übriges.

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Díaz-Canel, das ist mittlerweile auch längst klar, ist nicht der Reformer, den sich viele erhofft hatten, sondern vielmehr ein Bewahrer. Er betont immer wieder, wie wichtig die Ideale der kubanischen Revolution seien und dass es diese auch in den nächsten Jahren zu bewahren gilt. Diesem Anspruch bleibt er treu, koste es was es wolle.

Dass nun, zum zweiten Jahrestag der Proteste vom 11. Juli 2021, noch einmal große Demonstrationen ausbrechen, ist unwahrscheinlich. Die Führung in Havanna ist alarmiert, dazu sind viele Menschen in Kuba aber mittlerweile ohnehin zu sehr mit dem Überleben beschäftigt, oder sie haben die Insel schon verlassen. Andere aber, wie Luis Manuel Otero Alcántara, sitzen auch im Gefängnis: Mehr als 1000 Regimegegner, sagen Menschenrechtsorganisationen, sitzen seit den Demonstrationen vor zwei Jahren auf Kuba in Haft.

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