In der Altstadt von Havanna hängt seit ein Plakat, vor dem sich die Touristen und Einheimische verwundert die Augen reiben. Raúl Castro und Barack Obama sind darauf abgebildet, Seit' an Seit', als wären sie alte Kampfkumpane. Die Nationalflaggen Kubas und der USA wehen am oberen Bildrand, fast sieht es so aus, als hätte sie jemand zusammengenäht. In den Souvenirshops nebenan gibt es Ché-Guevara-Postkarten, Fidel-Castro-Mützen und T-Shirts mit den alten Kampfparolen. Hasta la victoria siempre - und so weiter. Die Parole auf dem neuen Hochglanzplakat lautet: Herzlich Willkommen, Obama!
Als Calvin Coolidge vor 88 Jahren als bislang letzter US-Präsident den Kubanern einen Besuch abstattete, war der spätere Revolutionsführer Fidel Castro noch ein 17 Monate altes Baby, sein Bruder Raúl noch gar nicht auf der Welt. Und bis zur Geburt von Obama in Honolulu sollten noch mehr als drei Jahrzehnte vergehen. Am Sonntagabend landete Obama in Havanna, wenn der 44. Präsident der USA nun in Kuba hochoffiziell euphorisch begrüßt wird, ist das inflationär verwendete Wort "historisch" tatsächlich einmal angebracht.
Zwischen Coolidge und Obama liegen mehr als fünf Jahrzehnte erbitterte Nachbarschaftsfehde: ein kalter bis lauwarmer Krieg mit Wirtschaftsembargo, die Atomraketen-Krise sowie eine gescheiterte US-Invasion in der Schweinebucht. Zehn Obama-Vorgänger, von Eisenhower bis Bush, wären nicht im Traum auf die Idee gekommen, sich mit dem einen oder anderen Castro auf ein Abendessen im Palast der Revolution von Havanna zu treffen. Der Friedensnobelpreisträger Obama wiederum begegnet der Last der Geschichte mit demonstrativer Lässigkeit. "Wie geht's, Kuba?" Diese launigen Worte twitterte Obama unmittelbar nach seiner Landung in Havanna am Sonntagnachmittag (Ortszeit)
Allein der offizielle Reisetross Obamas belegt angeblich 1200 Hotelzimmer
. Dass ein US-Präsident nach Kuba kommt und dabei auch noch Spaß hat, ist weiterhin eine Vorstellung, die Fantasie erfordert. Seit Obama und Raúl Castro im Dezember 2014 die Normalisierung der Beziehungen angekündigt hatten, ist allerdings einiges passiert, was vorher noch undenkbar erschien: vom symbolträchtigen Handschlag der Präsidenten auf neutralem Terrain in Panama über die Wiedereröffnung der Botschaften bis hin zur weitgehenden Aushöhlung des offiziell immer noch bestehenden US-Embargos für Kuba.
Und tatsächlich: Ein bisschen Klamauk gab es auch schon. Obama telefonierte mit dem bekannten kubanischen Fernsehkomiker Pánfilo, die beiden unterhielten sich im ortsüblichen spanischen Slang - auch über die Schwierigkeiten des realsozialistischen Alltags. Der ironische Sketch war sogar im kubanischen Staatsfernsehen zu sehen. Es ist unvorstellbar, dass dies ohne die Zustimmung von Castro geschah.
Allein der Reisetross Obamas lässt aber erkennen, dass dies nicht irgendeine Vergnügungsfahrt ist, sondern der bisherige Höhepunkt der Tauwetterpolitik. Neben seiner Frau und seinen Töchtern bringt er rund 40 Senatoren und Kongressmitglieder mit, dazu zahlreiche Geschäftsleute und Exilkubaner, Hunderte Journalisten, reichlich Security sowie das gesamte Baseballteam der Tampa Bay Rays, das am Dienstag gegen die kubanische Nationalmannschaft spielt. Aus dem Weißen Haus heißt es, die offizielle Delegation sei eine der größten der jüngeren Vergangenheit, angeblich belegt sie 1200 Hotelzimmer.
Die Kubaner haben aus dem feierlichen Anlass ein paar Straßen teeren lassen, die noch vor wenigen Wochen so aussahen, als habe sie 88 Jahre lang keiner angerührt. Auch Obama schickte ein paar ernsthafte Gesten der Freundschaft voraus. Private Urlaubsreisen von US-Bürgern nach Kuba sind nun faktisch erlaubt. Das ist nicht nur für nordamerikanische Urlauber eine wichtige Neuerung, sondern auch für Millionen von Kubanern, die auf Einnahmen aus dem Tourismus angewiesen sind.
Obama will auch Regimekritiker treffen
Raúl Castro begnadigte als Zeichen der Völkerverständigung wiederum vier politische Gefangene, die allerdings vor einem Jahr schon einmal freigelassen und dann wieder eingesperrt worden waren. Die weiterhin besorgniserregende Menschenrechtslage in Kuba dürfte wohl den nicht ganz so lustigen Teil der Begegnung bestimmen. Obama hat angekündigt, dass er die Differenzen zwischen beiden Systemen klar benennen werde.
Geplant ist auch ein Treffen mit sogenannten "Vertretern der Zivilgesellschaft", das ließ Raum für Spekulationen, ob sich der Präsident mit bekannten Dissidenten zeigen würde. Obama weiß, dass er sich zu Hause viel Ärger erspart, wenn er diesen Punkt nicht völlig ausklammert. Die vom Weißen Haus ausgegebene Parole, wonach es jetzt vor allem Aufgabe der Kubaner sei, Kuba zu verändern, lässt aber erkennen, dass die heiklen Themen die neue Harmonie nicht allzu sehr stören sollen.
Für den Pragmatiker Raúl Castro geht es jetzt vor allem darum, mit US-Dollars den Sozialismus zu retten - oder was davon noch übrig ist. Für den Friedensnobelpreisträger Obama geht es um sein Erbe. Seine Abschiedstournee hat begonnen, nicht zuletzt in Havanna wird sich erweisen, was von seiner Präsidentschaft für die Geschichtsbücher zurückbleibt. Erklärtes Ziel dieser Reise ist es, Fakten zu schaffen, die den Annäherungsprozess mit Kuba unumkehrbar machen. Gerade auch für den immer noch surreal anmutenden Fall, dass demnächst ein US-Präsident namens Donald Trump versucht, die Welt auf den Kopf zu stellen.
Am Dienstag hält Obama eine mit Spannung erwartete Rede im frisch restaurierten "Gran Teatro de La Habana", einem der wenigen Prachtbauten der Stadt, die nicht explizit politisch konnotiert sind. Der hohe Gast will dort seine Vision vom Freundschaftsverhältnis der einstmaligen Klassenfeinde vorstellen, das kubanische Staatsfernsehen überträgt live. Auch das ist eine kleine Revolution.