Griechenland scheint auf dem Weg zur Rettung zu sein, nun sorgt sich Europa um Deutschland. Aus etlichen EU-Ländern kommt Kritik, Berlin habe sich gegenüber Athen hartherzig und unsolidarisch verhalten, demütige die Griechen und trete wie ein Hegemon in Europa auf. EU-Parlamentspräsident Martin Schulz weist diese Vorwürfe zurück. Zwischen der öffentlichen Wahrnehmung Deutschlands in manchen Ländern und dessen tatsächlicher Politik bestehe ein "dramatisches Missverhältnis", sagte Schulz der Süddeutschen Zeitung.
Europa habe Hunderte Milliarden Euro an Garantien und Direkthilfen bereitgestellt, um Banken und Staaten zu retten und das Währungssystem zu stützen. Ein Großteil davon komme aus Deutschland. Das zeige, wie solidarisch die Deutschen seien. "Aber wahrgenommen werden wir als kalte und hartherzige Menschen."
Schulz kritisierte die im Europäischen Rat vereinten Staats- und Regierungschefs, die in der Krise alle Entscheidungen an sich gezogen hätten. Daher komme es zwangsläufig zu Duellen, etwa zwischen Bundeskanzlerin Angela Merkel und dem griechischen Premier Alexis Tsipras, aus denen nur Sieger und Verlierer hervorgehen könnten. Dies wiederum führe zu großen Verletzungen. Die Staats- und Regierungschefs sollten daher wieder stärker auf die EU-Institutionen, also die Kommission und das Parlament setzen, wo Mehrheitsentscheidungen möglich seien. Diese Gemeinschaftsmethode sei besser geeignet, die Interessen auszugleichen.
"So viel Argwohn gegenüber Deutschland in Italien niemals erlebt"
Schulz warnte davor, die Kritik an Deutschland zu dramatisieren. Zwar würden in der veröffentlichten Meinung in einigen EU-Ländern anti-deutsche Klischees gepflegt. Das sei besorgniserregend, schlage sich aber bisher nicht in einer Deutschen-Feindlichkeit der Bürger nieder. "Weit über 90 Prozent aller Menschen in Europa, egal wo ich hinkomme, haben ein positives Bild von Deutschland und mit den Deutschen überhaupt kein Problem", sagte der Parlamentspräsident.
Dem stehen die Analysen von Politikforschern in Frankreich und Italien gegenüber, die die Süddeutsche Zeitung zum Deutschland-Bild befragte. "Ich beschäftige mich seit Jahrzehnten mit Deutschland", sagte der Turiner Politikprofessor Gian Enrico Rusconi. "Aber so viel Feindschaft und Argwohn gegenüber Deutschland habe ich in Italien noch niemals erlebt." Hans Stark von der Pariser Universität Sorbonne sagte: "Das Bild des hässlichen Deutschen ist leider wieder da." Deutschland müsse seine Wirtschafts- und Finanzpolitik ändern, wenn es wieder ein besseres Image bekommen wolle.