Krieg in Nahost:Gewaltaufrufe gegen Juden: erneut Ansammlungen in Neukölln

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Polizeibeamte stehen auf dem Hermannplatz vor einer Gruppe, aus der "Free Palestine"-Rufe kamen. (Foto: Sebastian Christoph Gollnow/dpa)

Nach Gewaltaufrufen stehen jüdische und israelische Einrichtungen unter besonderem Schutz. Viele Menschen bekunden ihre Solidarität nach dem Terrorangriff auf Israel. Doch die Stimmung in Berlin bleibt angespannt. Immer wieder muss die Polizei einschreiten.

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Berlin (dpa/bb) - Gewaltaufrufe auf der einen, Solidarität auf der anderen Seite: Während es vor allem in Neukölln auch am Freitag immer wieder pro-palästinensische Ansammlungen gab, haben in Kreuzberg mehrere Hundert Menschen vor der Synagoge am Fraenkelufer ihre Solidarität mit Israel bekundet.

Einige Menschen hatten am Freitagabend Kerzen dabei oder Fahnen und Schilder mit Davidstern. Aufgerufen zu der Mahn- und Gedenkveranstaltung hatten Berliner Bürgerinnen und Bürger mit Unterstützung der jüdischen Gemeinde. Die Polizei sprach von rund 350 Teilnehmerinnen und Teilnehmern. Am Vormittag hatte Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier die Synagoge und ihre Gemeinde als Reaktion auf Terrordrohungen gegen jüdische Einrichtungen besucht.

Verstärkter Schutz für jüdische Einrichtungen

Die Polizei hat wegen Gewaltaufrufen der islamistischen Palästinenser-Organisation Hamas den Schutz für israelische und jüdische Einrichtungen in der Hauptstadt verstärkt. Demonstrationen oder Ansammlungen palästinensischer Gruppen sollen wegen möglicher antisemitischer Inhalte genau beobachtet oder verboten werden. Wie die Polizei am Freitagabend bekanntgab, stuft sie eine für Samstag geplante Kundgebung auf dem Oranienplatz in Kreuzberg als gefährlich ein und untersagte die Veranstaltung sowie jede Ersatzveranstaltung bis zum 20. Oktober.

Ungeachtet solcher Demo-Verbote versammeln sich vor allem in Neukölln seit dem Angriff der palästinensischen Terrorgruppe Hamas auf Israel immer wieder größere Menschengruppen. Am Freitag gab es erneut pro- palästinensische Ansammlungen und kleinere Tumulte im Bereich Sonnenallee. Immer wieder zerstreuten Polizisten die einzelnen Gruppen auf den Bürgersteigen und verboten Ansammlungen. Einige Menschen wurden vorläufig festgenommen. Ähnliche Szenen hatten sich bereits am Mittwoch und Donnerstag in Berlin abgespielt.

Die Polizei hatte eine verstärkte Präsenz auf den Straßen in den nächsten Tagen angekündigt; besonders in Neukölln, in Wedding und im Regierungsviertel. Auf der Neuköllner Sonnenallee waren zahlreiche Polizisten mit Helm und viele Mannschaftswagen zu sehen. Nach Polizeiangaben waren am Freitag bis zu 400 Einsatzkräfte unterwegs.

Sicherheitsbehörden in engem Austausch

Seit dem Terrorangriff stünden die Sicherheitsbehörden im ständigen Austausch, erklärten Bundesinnenministerin Nancy Faeser und Berlins Innensenatorin Iris Spranger (beide SPD) am Freitag nach einer gemeinsamen Videokonferenz der Innenministerinnen und Innenminister. Es gehe darum, auf jegliche Veränderung schnell reagieren zu können, betonte Spranger. Als Vorsitzende der Innenministerkonferenz (IMK) hatte sie kurzfristig eingeladen. Angesichts der Gewaltaufrufe der palästinensischen Terrorgruppe Hamas sei es sehr wichtig, „ein Zeichen zu setzen“, dass man deutschlandweit gemeinsam agiere, sagte Spranger nach der Sonderkonferenz.

„Wir nehmen die aktuelle Gefahr von Solidarisierungs- und Unterstützungsaktionen für den Terror der Hamas sehr ernst“, so Faeser. Die Sicherheitsbehörden nähmen die islamistische Szene derzeit noch stärker ins Visier. Es würden alle rechtsstaatlichen Mittel genutzt, um eine Solidarisierung mit der Hamas zu unterbinden.

In mehreren deutschen Städten sind geplante palästinensische Demonstrationen wegen Sicherheitsbedenken, möglicher antisemitischer Ausrufe oder Gewaltverherrlichung verboten worden.

Rigideres Vorgehen gegen israelfeindliche Parolen

Eine Berliner Polizeisprecherin sagte, es gebe keine Hinweise auf konkrete Gefahren durch schwere Straftaten. „Wir rechnen in Berlin mit dem, was wir auch in den letzten Tagen gesehen haben.“ Die Polizei sei aber vorbereitet für einen möglichen großen Einsatz zusätzlich zum bestehenden Schutz für jüdische Einrichtungen.

Zugleich wollen Staatsanwaltschaft und Polizei rigider gegen israelfeindliche Parolen bei Kundgebungen von Palästinensergruppen vorgehen. Die Staatsanwaltschaft prüfe, ob die Verwendung der oft verwendeten Parole „From the River to the Sea, Palestine will be free“ als strafbar eingeordnet werde, hieß es von den Behörden. Mit dem Satz ist gemeint, es solle ein freies Palästina geben auf einem Gebiet vom Fluss Jordan bis zum Mittelmeer - dort, wo sich jetzt Israel befindet. Entsprechende Landkarten zeigen bei Demonstrationen das Gebiet ganz in Grün, der Farbe des Islam.

Zahlreiche Solidaritätsbekundungen

Der Besuch von Bundespräsident Steinmeier bei der Synagoge in Berlin war eine Reaktion auf die Drohungen gegen jüdische Gemeinden. „Der heutige Tag ist ein Tag der Angst für Juden weltweit und hier in Deutschland“, sagte er nach einem Gespräch mit Mitgliedern der jüdischen Gemeinde. „Deshalb ist mein Platz heute unter Ihnen. In dieser Stunde stehe ich stellvertretend für unsere ganze Nation an der Seite unserer bedrohten Landsleute, an der Seite aller Jüdinnen und Juden in Deutschland.“

Anlässlich des jüdischen Ruhetages Schabbat versicherte Bischof Christian Stäblein der jüdischen Gemeinschaft die Solidarität der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz (EKBO). An diesem Sonntag (15. Oktober) soll bei einem stadtweiten Gottesdienst in der Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche für den Frieden und die Freilassung der Geiseln der Hamas gebetet werden.

Viele besorgte Juden in Berlin

Viele Juden in Berlin waren wegen des anstehenden Wochenendes sehr besorgt. Manche Restaurants bleiben geschlossen, zahlreiche Familien schickten am Freitag ihre Kinder nicht zur Schule und wollten am Wochenende lieber zu Hause bleiben, wie „Berliner Zeitung“ und „Tagesspiegel“ berichteten. Der Zentralrat der Juden in Deutschland sieht die Gefahr von „Trittbrettfahrern und Einzeltätern“. Seit Mittwoch kursierten in Internetportalen und Chatgruppen Aufforderungen zu Gewalt gegen jüdische Einrichtungen.

Die Polizei berichtete von entsprechenden Straftaten. So haben Unbekannte auf die Eingangstür eines Mehrfamilienhauses in Berlin-Prenzlauer Berg einen Davidstern geschmiert. Am Rathaus Reinickendorf wurde eine angebrachte Israel-Flagge angezündet. Zurück blieb ein Brandloch, wie das Bezirksamt am Nachmittag mitteilte. Am Roten Rathaus hatte ein Unbekannter bereits am Mittwoch eine Israel-Flagge heruntergerissen.

„Wir werden unser Restaurant nicht öffnen. Ich habe sehr viel Angst“, sagte die Besitzerin eines israelischen Ladens, die anonym bleiben wollte. Sie habe beschlossen, ihr Restaurant bis Samstag zu schließen, weil sie sich nicht sicher fühle. Das israelische Restaurant „Feinberg's“ in Berlin erhält nach eigenen Angaben seit den Angriffen der Hamas verstärkt Hassanrufe, berichtete der Besitzer Yorai Feinberg.

© dpa-infocom, dpa:231013-99-556943/4

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