Es ist endlich Frieden in Kolumbien, zumindest auf dem Papier. Nach 52 Jahren Bürgerkrieg mit mindestens 220 000 Toten und mehr als sechs Millionen Vertriebenen, nach unzähligen gescheiterten Vermittlungsversuchen und zuletzt vier zähen Verhandlungsjahren kann nun eine neue Ära beginnen. Oder sollte man besser sagen: könnte?
Kolumbiens Staatspräsident Juan Manuel Santos und Rodrigo Londoño, der Anführer der linken Guerillaorganisation Farc, unterzeichneten jedenfalls einen 297 Seiten dicken Vertrag, der den ältesten bewaffneten Konflikt der westlichen Hemisphäre offiziell beendet. Bis ins letzte Detail wurde die Zeremonie in der kolumbianischen Küstenstadt Cartagena de Indias am Montagabend durchgeplant. Für die Unterschriften von Santos und Londoño, besser bekannt unter seinen Kampfnamen Timoleón Jiménez oder "Timochenko", wurde eigens ein Kugelschreiber aus einem Maschinengewehrprojektil gefertigt. Darauf ist der Satz eingraviert: "Die Kugeln schrieben unsere Vergangenheit - die Bildung schreibt unsere Zukunft."
Es handelt sich um einen Akt von größter symbolischer Kraft, den man ohne Zweifel als "historisch" bezeichnen darf. Über diesem Symbol schwebt allerdings auch eine sehr konkrete Ungewissheit. Die Kolumbianer müssen auf ihre friedliche Zukunft noch eine Woche warten. Mindestens.
Das Wort "Columbexit" geistert durch die Medien. Auch den Brexit hielt niemand für möglich
Manch einer sagt: Nach rund 19 000 Kriegstagen komme es auf ein paar Tage mehr oder weniger auch nicht mehr an. Fest steht aber auch, dass der Friede auf dem Papier wertlos bleibt, wenn am kommenden Sonntag doch noch irgendetwas schiefgehen sollte. An diesem 2. Oktober 2016, dem mutmaßlichen Schicksalstag Kolumbiens, soll das Volk in einem Referendum über eine Frage abstimmen, die so einfach klingt und für viele doch so schwer zu beantworten ist: Ja oder Nein?
Nahezu alle Umfragen deuten darauf hin, dass es für das Ja reichen wird, also für die Annahme des Friedensvertrags. Kaum ein unabhängiger Beobachter rechnet mit einem anderen Ergebnis. Vielleicht auch deshalb, weil es so schwer vorstellbar ist, was das bedeuten würde: alles auf null, die Fortsetzung des Krieges. Das kann niemand ernsthaft wollen. Allerdings weiß man auch in Kolumbien, dass solche Referenden letztlich unberechenbar sind. Das Wort "Brexit" geistert als düstere Vorahnung durch das Land. Vereinzelt wird schon mit Wortspielen wie "Colombexit" experimentiert.
Laut den Demoskopen ist der scheinbar komfortable Vorsprung für die Zustimmung zum Friedensabkommen zuletzt wieder geschrumpft. Der Staatsakt von Cartagena dient deshalb vor allem als Höhepunkt der von Präsident Santos angeführten Werbekampagne für das Ja. Es gibt einige Spekulationen darüber, weshalb ausgerechnet das ehemalige Piratennest an der Karibikküste für diese bedeutungsschwere Zeremonie ausgewählt wurde - und nicht etwa die Hauptstadt Bogotá.