Zu der Debatte um Kollektivierung und Enteignung, also um den Juso-Vorsitzenden Kevin Kühnert und die Deutsche Wohnen, passt ein Werbespot der Sparkasse aus den Neunzigerjahren ganz gut. Vor allem zu den Reaktionen auf diese Vorstöße: Zwei Schulfreunde treffen im mittleren Alter zufällig in einem Restaurant wieder aufeinander. Es folgt ein gegenseitiges Messen wie am Pokertisch, wobei Fotos der Reichtümer die Karten ersetzen - "mein Haus, mein Auto, mein Boot". Ich besitze, also bin ich, das ist die Aussage dieses Clips.
Schaut man sich an, wie hysterisch Union, FDP, aber auch viele Genossen und manche Grüne auf die Überlegungen zu solidarischem Eigentum reagieren, scheint noch heute der Geist der Neunziger zu herrschen. Kühnerts Gedanken zeigten "das rückwärtsgewandte und verschrobene Retro-Weltbild eines verirrten Fantasten", kommentierte Verkehrsminister Andreas Scheuer von der CSU. Dabei ist die Frage, ob die Kritiker damit nicht selbst ein ziemlich rückständiges Weltbild demonstrieren. Denn das Privateigentum ist zum Fetisch fast aller Parteien geworden.
Kühnert und der Sozialismus:Warum die SPD so dünnhäutig auf den Juso-Chef reagiert
Kühnert hat der Partei kurz vor der Europawahl eine Sozialismus-Debatte aufgezwungen. Es steht die Frage im Raum: Wofür steht die SPD wirklich?
Viele jüngere Leute wollen längst gar kein Auto mehr besitzen und auch keine Waschmaschine. Zwei Drittel der Menschen unter 29 Jahren in Deutschland sind bereit, Fahrräder, Bohrmaschinen oder gar Kleider von anderen zu leihen, ergab eine Umfrage vor wenigen Jahren. Umgekehrt zeigen Studien, dass mehr als die Hälfte der Internetnutzer ihren eigenen Besitz mit anderen teilen würden. Dahinter steckt die Idee der "Sharing Economy", des Wirtschaftens durch Teilen. Vorläufer sind zum Beispiel die Maschinenringe in der Landwirtschaft, in denen Bauern quer durch Europa seit Jahrzehnten teure Gerätschaften gemeinsam nutzen.
Das Internet hat die Idee des Teilens neu belebt: Die Menschen vernetzen sich zu Mitfahrgelegenheiten, zu Kleiderkreiseln, zum Wohnungstausch. Jede Menge totes Kapital könne so zum Leben erweckt werden, so die Idee. Etwa der Staubsauger an sechs von sieben Tagen oder das Auto auf dem Parkplatz vor dem Büro. Seit einem Jahr betreibt selbst der Kaffeeröster Tchibo ein Portal zum Teilen von Kinderkleidung, der Waschmaschinenhersteller Miele bietet seine Geräte inzwischen auch zur Miete an. Ökonomen wie der Amerikaner Jeremy Rifkin sehen in der Sharing Economy gar den Vorboten für ein Wirtschaftssystem jenseits des Kapitalismus.
Rifkin prophezeit, dass allein durch das Carsharing weltweit ein Drittel weniger Autos gebraucht würden. Die Idee "nutzen statt besitzen" ist so zur Vision einer ganzen Generation geworden, nachdem die Marktwirtschaft bewiesen hat, dass sie weder die Natur schützen noch den Klimawandel aufhalten kann.
Natürlich ist der Idealismus der Sharing Economy längst streng kapitalistischen Mechanismen gewichen. Konzerne wie Mercedes, Uber oder Airbnb dominieren große Teile des Geschäfts. Die Sharing Economy ist zu einer Art kapitalistischem Kollektiv geworden. Doch vielleicht liegt genau in dieser Kombination eine Idee, das Wirtschaften der Zukunft zu organisieren. Eine Debatte wäre es wert. In der Vorstellung von "mein Haus, mein Auto, mein Boot" zu verharren, hilft jedenfalls mit Sicherheit nicht weiter.