Energiewende:Je später der Kohleausstieg, desto schmerzhafter

Vor allem aber nennt Gabriel die Dinge beim Namen: Implizit macht er die Kohlekraft zur endlichen Technologie. Und das in Deutschland, wo die Kohle über Generationen Bedingung für Wohlstand und Arbeitsplätze war. Allein das erklärt den heftigen, teils überzogenen Widerstand der Gewerkschaften. 100 000 Jobs sehen Verdi und IG BCE in Gefahr, es drohe gar ein "Strukturbruch" in den Revieren.

Das Gegenteil ist der Fall. Nicht Gabriels Vorstoß bringt einen Strukturbruch, dafür ist der Klimabeitrag viel zu moderat bemessen. Nein, den Strukturbruch könnten die Gewerkschaften selbst heraufbeschwören - sollte es ihnen gelingen, die Pläne zu vereiteln. Je später und abrupter der Kohleausstieg kommt, desto schmerzhafter wird er. Etwa, wenn der EU eine Reform ihres Klimaschutz-Werkzeugs Emissionshandel gelingt, denn das könnte den CO₂-lastigen Strom erheblich verteuern. Oder erst recht, wenn immer mehr Privatleute sich lieber billigen Strom vom Solardach holen als teuren aus der Steckdose.

Keine ewige Zukunft vorgaukeln

All das ist so absehbar, wie es die Folgen des Klimawandels und einer unverminderten Verbrennung von Kohle mittlerweile sind. Verantwortliches Handeln läge darin, den Ausstieg aus der Kohle möglichst sanft und planvoll zu gestalten, den Strukturwandel in den betroffenen Regionen rechtzeitig abzufedern. Vor allem aber heißt es, den Beschäftigten nicht länger eine ewige Zukunft vorzugaukeln, die es nicht geben kann und nicht geben wird. Gabriel hat den ersten Schritt getan.

Nun muss die Kanzlerin auch einen tun. Anfang Juni will sie den Industriestaaten-Club G 7 auf den Klimaschutz einschwören, die Pläne ihres Vizekanzlers dürften ihr da ganz gelegen kommen. Sie stärken Deutschlands Glaubwürdigkeit im Kreis der Mächtigen, mehr noch: Sie könnten die "Klimakanzlerin" neu erstehen lassen. Zugleich aber sieht sie tatenlos zu, wie der Wirtschaftsflügel der Unionsfraktion sich auf Gabriels Ideen einschießt, teils mit hanebüchenen Vorschlägen. Angela Merkel weiß genau, wie es um die Kohle bestellt ist. Es wird Zeit, dass sie ihr Schweigen bricht.

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