Übergriffe in Köln:In Köln zeigt sich die Überforderung des Staates

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Schafft der Staat es, für Ordnung zu sorgen? Übergriffe wie in Köln lassen Menschen zweifeln - das kann für Kanzlerin Merkel und ihre Flüchtlingspolitik gefährlich werden.

Kommentar von Nico Fried, Berlin

Diesmal hat die Kanzlerin sich eingemischt. Angela Merkel ließ mitteilen, sie sei über die Geschehnisse von Köln unterrichtet worden und habe eine "harte Antwort des Rechtsstaats" verlangt. Nach dem Terrorverdacht von München in derselben Silvesternacht hingegen schwieg die Kanzlerin. Das liegt daran, dass die Ereignisse sich nicht nur in der Sache unterscheiden, sondern auch politisch: In München hat der Staat funktioniert - in Köln versagt.

Nervosität bestimmt die politische Lage in Deutschland, der Zuzug von Flüchtlingen und seine vielschichtigen Folgen fordern die Gesellschaft. Merkel hat auf Köln reagiert, weil sie weiß, welche Wirkung Gewalttätigkeit und sexueller Missbrauch durch Täter mit Migrationshintergrund in dieser Stimmung entfalten können. Dabei ist gar nicht entscheidend, ob es sich um alte, neue oder überhaupt um Flüchtlinge handelt. Entscheidend ist die Unsicherheit, dass der Staat eine Situation nicht mehr beherrscht.

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"Eine harte Antwort des Rechtsstaats" - nach dem derzeit praktisch ergebnislosen Stand der Ermittlungen wäre man schon für eine ganz normale Antwort dankbar. Aber selbst dafür fehlt das wichtigste: der Adressat. Deshalb offenbaren die Statements der Kanzlerin und von Justizminister Heiko Maas trotz starker Worte gerade nicht die Stärke des Staates, sondern seine Überforderung. Dass sich aber in Köln im Kleinen das Große der Migrationspolitik gespiegelt haben könnte - diese Wahrnehmung ist die größte politische Gefahr: So ein Staat will die noch viel gewaltigere Aufgabe des Flüchtlingszuzugs in den Griff bekommen?

In ihrer Neujahrsansprache hat Merkel den gesellschaftlichen Zusammenhalt beschworen. Der ist ohnehin schon nicht mehr so stark, wie die Kanzlerin suggeriert. Und er wird bestimmt nicht stabiler, wenn die Politik hilflos erscheint. Dabei geht es nicht um die Hetzer rechtsradikaler Parteien, nicht um die Pöbler von Pegida oder die Populisten der AfD. Es geht nicht um jene öffentlichen Kritiker einer humanitären Flüchtlingspolitik, die jede vermeintliche Bestätigung ihrer vorgefassten Meinung gierig ausschlachten.

Es geht um jene Menschen, die mehr oder weniger guten Willens sind, um jene, die mit ihrer Hilfe dem Staat schon seit Monaten aus der Patsche helfen, um jene, die Merkels Politik für richtig halten oder zumindest tolerieren oder sogar nur hinnehmen - und jene, die abends während der Fernsehnachrichten einfach nur murmeln: "Wenn das man gut geht."

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Diese Leute merken, dass Maas und Merkel, indem sie die Selbstverständlichkeit einer rechtsstaatlichen Antwort so betonen, die Selbstverständlichkeit erst so richtig infrage stellen. Diese Leute beginnen zu zweifeln, wenn ein Staat, dessen Kanzlerin nach eigenen Worten Ordnung in die chaotische Zuwanderung nach Europa bringen will, nicht mal die Ordnung vor einem Hauptbahnhof erhalten kann.

Es gibt noch einen interessanten Unterschied zwischen Köln und München: Dem womöglich drohenden Terrorismus begegnen die Deutschen mit geradezu bewundernswertem Fatalismus. Die Gesellschaft akzeptiert den Lehrsatz, dass Freiheit und absolute Sicherheit sich gegenseitig ausschließen. München war abstrakt, aber Köln war konkret. Diebstahl, Rudelbildung, sexuelle Belästigung, darunter kann jeder und jede sich etwas vorstellen, viele Menschen leider, weil sie es schon am eigenen Leib erlebt haben.

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Etliche Fragen zu den Ereignissen in Köln sind noch ungeklärt. Niemand weiß, ob der Flüchtlingszuzug etwa möglichen Hintermännern die Rekrutierung ihrer Handlanger erleichtert. Aber selbst wenn Flüchtlinge unter ihnen sind, die gerade erst ins Land kamen, ließe sich von einigen Dutzend Straftätern nicht auf eine Million eingereiste Verbrecher schließen. Es schlussfolgert ja auch niemand aus Tausenden Neonazis, dass 80 Millionen Deutsche rechtsradikal sind.

Wahrscheinlicher ist ohnehin, dass es um Leute geht, die schon länger hier leben. Das relativiert aber die Sorgen nicht, im Gegenteil. Denn dann wäre Köln das Ergebnis einer bei diesen Menschen bereits gescheiterten Integration. Es würde das illustrieren, was Merkel selbst in ihrer Neujahrsansprache die Fehler der Vergangenheit genannt hat. Diese zu benennen erhöht aber nicht die Zuversicht, dass mit einer Million Flüchtlingen nun besser läuft, was bei viel geringeren Zahlen schiefgegangen ist.

Auch dafür braucht der Staat das Vertrauen und die Mitwirkung der Gutwilligen. Wenn die verloren gehen, scheitert nicht nur Merkel. Dann scheitert mit ihrer Flüchtlingspolitik ein zweifellos unvollkommenes, aber auch das einzige politische Konzept, das - außer totaler Abschottung - bisher für eine der größten Aufgaben der Gegenwart entworfen wurde.

© SZ vom 07.01.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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