Köln:"Ich habe noch nie so viele heulende Frauen gesehen"

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Als Steffi an Silvester am Kölner Hauptbahnhof aus der Bahn steigt, herrscht Chaos. Schilderungen einer verstörenden Nacht.

Protokoll von Tanja Mokosch

Steffi* hat Silvester in Kerpen gefeiert, in einer Kleinstadt wenige Kilometer westlich von Köln. Kurz nach Mitternacht will die 31-Jährige zurück nach Hause fahren - in die Kölner Südstadt. Schon als sie losfahren will, gibt es Probleme: Züge fallen aus, weil auf einer Brücke, die zum Kölner Hauptbahnhof führt, Menschen auf den Gleisen sind. Die Brücke ist zu voll. Eine Panik kann nur knapp verhindert werden. Um kurz nach eins fahren die Bahnen wieder. Steffi steigt in den Zug in Richtung Kölner Hauptbahnhof. Als sie dort aussteigt, herrscht Chaos:

"Ich kam an den Gleisen ganz hinten am Bahnhof an. Nach dem Aussteigen fühlte ich mich wie in einem fremden Land. Es war so voll und so laut. 'Gut', dachte ich, 'es ist Silvester und der Hauptbahnhof ist eben ein Hotspot.' Also versuchte ich, mich zu irgendeiner Treppe durchzukämpfen, weg vom Bahnsteig. Auf dem Weg sind mir schon unzählige weinende Frauen entgegen gekommen. 'Meine Güte, was ist hier los?, dachte ich. 'Sind die alle so betrunken?'

An der Treppe zur Bahnhofshalle standen Polizisten in voller Montur. Es hieß, die lassen einen runter, aber man konnte sich alleine gar nicht durch die Massen kämpfen. Auch unten in der Bahnhofshalle waren viel zu viele Menschen. Plötzlich kam von links ein Trupp Polizisten, der eine Gruppe pöbelnder Männer vor sich hertrieb wie eine Schafsherde.

Dann tat sich eine Lücke auf, ein paar Leute gingen nach unten. Ich bin schnell hinterher gelaufen. Mein Ziel war die U-Bahn am anderen Ende des Bahnhofs. Ein Weg, der fast unmöglich zu bewältigen schien. Ich hatte schon 20 Minuten gebraucht, nur um vom Bahnsteig in die Halle zu kommen.

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"Schlampe", "Fotze", "dumme Hure"

Dann hat mir eine Freundin geschrieben, ob wir uns am Hauptbahnhof treffen wollen - sie war in der Nähe. Also habe ich versucht, mich in Richtung Domseite durchzukämpfen. Für die paar Meter brauchte ich bestimmt eine Viertelstunde. In dieser Situation fiel mir zum ersten Mal auf, dass alles voll war mit arabisch oder nordafrikanisch aussehenden Männern. Man muss vorsichtig sein, wenn man so etwas sagt, aber es ist mir wirklich aufgefallen. Und ich komme aus der sozialen Arbeit, ich habe Freunde aus allen möglichen Kulturkreisen. Ich stand da und habe kein Wort verstanden von dem, was um mich herum geredet wurde. Immer wieder wurden anzügliche Bemerkungen gemacht. Die Beschimpfungen habe ich dann doch verstanden. Im Laufe der Nacht wurde mir mehrmals 'Schlampe' an den Kopf geworfen, 'Fotze' und 'dumme Hure'.

Irgendwann hatte ich es in die Nähe der U-Bahn geschafft. Vor einem Backshop wollte ich auf meine Freundin warten. Da sah ich ein junges Mädchen. Ich weiß noch, dass sie lange blonde Haare hatte. Sie war völlig verweint, hatte eine zerrissene Strumpfhose, der Rock hing schief, sie war fix und fertig.

Aus der Menge kam ein junger Kerl auf sie zu und machte anzügliche Bemerkungen. 'Kann ich dir helfen? Ich weiß, dass ich dir helfen kann', sagte er mit starkem Akzent - und machte obszöne Bewegungen mit der Hand. Als sie weggehen wollte, folgte er ihr. Da habe ich sie zu mir gezogen und dem Typen gesagt, dass er sich verpissen soll. Zum Glück war in der Nähe ein Minitrupp Polizisten. Wir gingen in ihre Richtung. Als ich mich umdrehte, war der Typ weg. Letztendlich haben wir gar nicht mit den Beamten gesprochen, man sah schon, dass sie nichts würden ausrichten können. Es sind ja ständig Mädchen und junge Frauen auf die paar Polizisten zugelaufen und haben auf irgendjemanden gezeigt. Die sind hinterher, haben in der Menge aber niemanden erwischt.

Für die Masse an besoffenen Vollidioten waren viel zu wenig Polizisten da! Überall wurden Mädchen beschimpft und begrabscht. Ich habe noch nie so viele heulende Frauen gesehen - Frauen, die so voller Angst waren. Schlimm war, dass ich die ganze Zeit nicht wusste, was eigentlich los war. Zwischenzeitlich dachte ich, es gäbe eine Bombendrohung oder irgendwo sei eine Massenschlägerei. Die Situation war völlig entfesselt. Auch wenn man selbst nicht angegrabscht oder ausgeraubt wurde, fühlte man sich arg bedroht und bedrängt.

Schockierte Männer

Das Schlimmste aber war, dass man niemanden um Hilfe bitten konnte. Da standen nur Männer, die selbst total schockiert waren und versucht haben, ihre Freundinnen zu beschützen oder Männer, die offensichtlich zu dieser Gruppe gehörten, die dich mit höhnischem Blick auslachten.

Die Freundin, die ich treffen wollte, hatte Glück. Sie war mit syrischen Freunden unterwegs und wurde in Ruhe gelassen. Sie ist einfach nur zu ihrem Zug gegangen und glimpflich davon gekommen - abgesehen von Beschimpfungen. Das blonde Mädchen habe ich schließlich im Getümmel verloren. Ich habe keine Ahnung, was ihr passiert ist. Ich weiß auch nicht, ob sie Anzeige erstattet hat - aber ich hoffe es.

Vom Bahnhofsvorplatz her hörte man die ganze Zeit Böller knallen. Von einer Räumung, die zuvor stattgefunden haben soll, habe ich nichts mitbekommen. So voll wie es war, kann ich mir das gar nicht vorstellen. Die Informationspolitik war ohnehin eine Katastrophe - es gab sie eigentlich gar nicht. Ich mache den Polizisten vor Ort keine Vorwürfe. Ich verstehe nur nicht, warum das alles erst jetzt durchsickert.

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Es ist fünf Tage her und ich bin immer noch schockiert. Ich habe einige Jahre in Berlin-Moabit gewohnt - einem sozialen Brennpunkt. Aber sowas habe ich dort nie erlebt. Auch in Köln, wo ich seit März vergangenen Jahres lebe, habe ich bis vor Kurzem überhaupt keine schlechten Erfahrungen gemacht.

Ein bekanntes Problem?

Ich glaube auf keinen Fall, dass das Flüchtlinge waren, die da unterwegs waren. Auch weil ich selbst einige Tage zuvor ausgeraubt wurde, von Männern, die so aussahen wie die vom Silvesterabend. An Heiligabend saß ich eine Station vom Hauptbahnhof entfernt in einer S-Bahn, von draußen klopfte jemand an die Scheibe. Ich drehte mich hin - da riss jemand von der anderen Seite heftig an den Henkeln meiner Tasche. Ich versuchte alles festzuhalten, er riss noch einmal. Ich fiel in den Flur. Eine Prellung am Oberschenkel habe ich davon immer noch, der Bluterguss ist schon etwas besser - und meine Schulter ist steif.

Bei der Bundespolizei im Hauptbahnhof hat man mir gesagt, dass es dieses Problem schon länger gibt. Die Räuber kennen sich aus, sie wissen, wo es keine Kameras gibt und so weiter - sie müssen also schon länger hier sein. Hoffnungen, dass die Täter erwischt werden, haben die Polizisten mir nicht gemacht. Ob ich zu Karneval vor die Tür gehe, weiß ich noch nicht - aber sicher nicht in die Nähe des Hauptbahnhofs."

Pressekonferenz in Köln, "Wir waren sehr überrascht" (Video: Süddeutsche Zeitung/wochit)

*Ihren Nachnamen will sie nicht nennen, er ist der Redaktion jedoch bekannt.

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