Klausur in St. Ingbert:Merz in der Zwickmühle

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Der CDU-Chef drängt, der Kanzler bleibt stoisch: Friedrich Merz und Olaf Scholz im Bundestag. (Foto: Odd Andersen/AFP)

Die CDU treibt derzeit eine Frage um: Wie kann sie im Ukraine-Konflikt staatspolitisches Verantwortungsbewusstsein zeigen, ohne als reiner Mehrheitsbeschaffer für die Ampel wahrgenommen zu werden?

Von Henrike Roßbach und Robert Roßmann, Berlin

Der CDU-Bundesvorstand ist am Freitag zu seiner ersten Klausurtagung unter dem neuen Vorsitzenden Friedrich Merz zusammengekommen. Bei dem Treffen im saarländischen St. Ingbert sollte es eigentlich vor allem um das geplante neue Parteiprogramm gehen. Doch jetzt überschattet der Krieg in der Ukraine die Klausur. Die Partei will in St. Ingbert nun auch darüber reden, wie sie auf die "Zeitenwende" in der Außen- und Sicherheitspolitik reagieren soll, die Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) angekündigt hat. Dabei geht es insbesondere um das von Scholz geplante Sondervermögen in Höhe von 100 Milliarden Euro für die Bundeswehr.

CDU-Generalsekretär Mario Czaja sagte zum Auftakt der Klausur, seine Partei halte "es für richtig und für sinnvoll, unsere Bundeswehr anständig auszustatten und unseren Verpflichtungen in der Nato nachzukommen". Man werde sich in Gesprächen über das Sondervermögen deshalb "konstruktiv" verhalten.

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Die CDU steckt dabei jedoch in einer Zwickmühle. Auf der einen Seite will sie nicht den Eindruck erwecken, während eines Krieges in Europa parteipolitisch zu agieren. Auf der anderen Seite möchte sie aber auch nicht reiner Mehrheitsbeschaffer für die Ampelkoalition sein. In der SPD und bei den Grünen gibt es bereits die ersten Abgeordneten, die 100 Milliarden Euro für die Bundeswehr für zu viel erachten. Die CDU will deshalb jetzt erst einmal abwarten, was Scholz und seine Regierung konkret vorlegen, bevor sie sich selbst festlegt. Dabei geht es auch um die Frage, ob das Sondervermögen durch eine Grundgesetzänderung abgesichert werden soll.

Der Zwangsumarmung der Ampel will sich die Union nicht hingeben

Auch die Ampelkoalition steckt in einem Dilemma. SPD, Grüne und FDP wissen, dass sie der sicherheitspolitischen Zeitenwende angesichts des russischen Angriffs auf die Ukraine gerecht werden müssen. Gleichzeitig aber wollen sie ihre Signature-Projekte aus dem Koalitionsvertrag nicht ohne Weiteres einer besseren Ausstattung der Bundeswehr opfern. Die Grünen bangen um ihre Klimaschutzmilliarden, die FDP im Allgemeinen und ihr Finanzminister im Besonderen um die Schuldenbremse, die 2023 wieder greifen soll, und vor allem der linke Flügel der Sozialdemokraten um die Sozialausgaben, die hauptsächlich von SPD-Sozialminister Hubertus Heil verwaltet werden.

Das Rechtskonstrukt, das jetzt geschaffen werden soll, ist deshalb aus Sicht der Regierung ein formschöner Ausweg. Das Sondervermögen Bundeswehr soll nämlich, so ist es aus Haushälter- und Regierungskreisen zu hören, als eigene Verfassungsregel im Grundgesetz verankert werden, etwa im Artikel 87. Das Sondervermögen stünde dann gleichrangig neben dem Artikel 115 zur Schuldenbremse. Das Ergebnis dieser Grundgesetzänderung wäre, dass die Regierung 100 Milliarden Euro neue Schulden aufnehmen könnte, ohne dafür mit einer Notlage und der Ausnahmeklausel der Schuldenbremse argumentieren zu müssen. Und mitzählen bei der zulässigen Schuldenobergrenze würde das Sondervermögen auch nicht.

Im Regierungslager findet man, dass die Union schon deshalb für das Sondervermögen sein müsse, weil das Verteidigungsressort in den vergangenen 16 Jahren in Unionshand gewesen sei - und deshalb CDU und CSU für den schlechten Zustand der Bundeswehr verantwortlich seien. Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) gab Merz schon in der Sondersitzung des Bundestags am vergangenen Sonntag wenig subtil zu verstehen: "Friedrich Merz, wir werden nicht danach fragen, wer die Verantwortung für den Zustand der Bundeswehr hat. Wir werden nicht mit dem Finger aufeinander zeigen. Aber wir erwarten, dass beim Blick in die Zukunft und bei der Schaffung einer Bundeswehr, die wieder ihren Bündnisverpflichtungen gerecht werden kann, die Opposition die Bundesregierung unterstützt."

Die Union ist aber keineswegs gewillt, sich ohne Weiteres der Zwangsumarmung durch Kanzler und Finanzminister hinzugeben. Im Bundestag bot Merz zwar "umfassende und konkrete Hilfe und Unterstützung" an, sagte mit Blick auf die neuen Schulden aber auch: "Das machen wir dann in allen Teilen gemeinsam, nicht in der Arbeitsteilung, dass wir für Sie bei den unangenehmen Dingen den Kopf hinhalten und Sie in Ihrer Koalition unverändert alle Wohltaten weiter zulasten der jungen Generation verteilen, Herr Bundeskanzler."

In der Union wird außerdem darauf verwiesen, dass das Verteidigungsministerium zwar lange von Ministern aus ihrem Lager geführt worden sei, dass es in dieser Zeit aber immer die SPD gewesen sei, die höhere Verteidigungsausgaben verhindert habe.

Am Freitag zeichnete sich ab, dass die Ampelkoalition durchaus zu Angeboten an die Union bereit sein wird. Der haushaltspolitische Sprecher der FDP-Fraktion, Otto Fricke, sagte der Süddeutschen Zeitung: "Zu einem fairen Miteinander muss gehören, dass die CDU bei der Verfassungsänderung ein klares Mitspracherecht hat, das sollte auch an vielen Stellen letztlich beim Sondervermögen so sein. Beim Kernhaushalt sollte es aber bei der demokratisch legitimierten Parlamentsmehrheit bleiben."

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